Kolumne: Mensch Gladbach Schmetterlinge in der Geisterstadt

Mönchengladbach · Hochtrabende Pläne für das JHQ werden zwar unter Abriss-Schutt begraben - dafür entsteht daraus ein Naturgebiet mit Aussicht. Improvisieren muss kein Nachteil sein.

Es gibt die schöne Theorie vom Schmetterlingseffekt, demzufolge ein sehr kleines Ereignis, nämlich der Flügelschlag eines Schmetterlings, tausende Kilometer entfernt etwas sehr Gravierendes, nämlich einen Tornado, auslösen kann. Manchmal kann aber auch etwas sehr Großes bis ins Kleinste Folgen haben. Dann verändert Weltpolitik auch mal über Jahrzehnte gewachsene Strukturen in einer Stadt wie Mönchengladbach. Das Ende der Eiszeit zwischen Ost und West führte dazu, dass die Alliierten nahezu vollständig aus Deutschland abzogen. Und die Briten verließen das JHQ nordwestlich von Rheindahlen.

Ein unglaubliches Areal, eine Kleinstadt mit 2000 Gebäuden und eigener Infrastruktur auf 471 Hektar. Und das inmitten von zauberhafter Natur. So etwas weckt die Fantasie. Und entsprechend ambitioniert waren die Pläne und Ideen: Ein Wohngebiet lag nahe, schließlich war das Areal voller Häuser mit Gärten. Nur leider waren die meisten in die Jahre gekommen, die Grundrisse entsprachen nicht modernen Bedürfnissen. Ein Gewerbestandort wurde diskutiert. Doch davon hatte Mönchengladbach genug - höherrangige Behörden konnten keinen Bedarf erkennen. Unter dem Namen "Seasons" sollte eine Sport-Fun-Arena mit Einkaufszentrum, Hotels, Wohnen und Business-Park entstehen. Ein großes mehrtägiges Festival stand ebenfalls zur Debatte. All das hätte die Boom-Stimmung in Mönchengladbach verstärken sollen. Am Ende löste sich alles in Luft auf. Geblieben ist eine riesige Geisterstadt, die den Bund als Eigentümer jährlich Millionen Euro für Unterhalt und Sicherung kostet.

Faszinierend ist, wie schnell und kraftvoll die Natur dort das Regiment übernimmt. Womöglich hat das die Verantwortlichen auf allen Seiten inspiriert. Jedenfalls liegt jetzt eine Lösung auf dem Tisch, die verblüffend klingt, aber sich womöglich als echte Chance erweisen kann: Die Gebäude werden nach und nach abgerissen, müssen also nicht mehr gesichert werden. Der Schutt, zumindest die nicht belasteten Teile, wird zu einem großen Hügel aufgeschüttet und renaturiert. Die Mönchengladbacher sollen so ein Naherholungsgebiet erhalten. Was es übrigens auch war, bevor die Briten kamen. Und: Bund und Stadt können das als Ausgleichsfläche für Baumaßnahmen an anderer Stelle geltend machen. Eine Win-win-win-Situation sozusagen.

Das alles ist nicht spektakulär, bringt die Stadt sicherlich nicht in die überregionalen Schlagzeilen. Dafür bringt es den Bürgern in Mönchengladbach und den angrenzenden Regionen einen Mehrwert. Improvisieren muss kein Nachteil sein.

Mit wenig Geld Gutes schaffen - das kann unsere Stadt. Bestes Beispiel ist das Theater unter dem Intendanten Michael Grosse. Oder das Kulturbüro, das heute Abend mit "Nachtaktiv" und einem kaum zu bewältigenden Programm zeigt, wie viel Kreativität in Mönchengladbach steckt. Oder der unerwartete Erfolg der Skater-Halle in Rheydt, die eigentlich nur als Zwischennutzung auf Zeit angelegt war.

Das Unperfekte, das Spontane hat nicht nur einen besonderen Reiz, sondern lässt auch Raum, den es in durchgestylten Städten kaum mehr gibt. Flügelschläge von Schmetterlingen gibt es viele in Mönchengladbach - besonders auf dem Areal des JHQ. Vielleicht lösen sie ja etwas Großes aus.

In diesem Sinne: Ein improvisiertes Wochenende!

(RP)
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