Serie: Was macht eigentlich Peter Meyer: das Schlitzohr, das von der Eckfahne traf

Mönchengladbach · Peter Meyer erzielte in seinen ersten 15 Spielen für Borussia 19 Treffer. Seine Torejagd in Gladbach dauerte aber nur ein halbes Jahr, ein Beinbruch stoppte ihn im Januar 1968. Schon zuvor bei Fortuna Düsseldorf hatte er sich in die Geschichtsbücher geschossen.

Peter Meyer - Beinbruch stoppte Torejagd
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Peter Meyer ist seit gerade sieben Bundesliga-Minuten ein Borusse, als er sich in der Schalker Glückauf-kampfbahn den Ball zur Ecke schnappt. Doch anstatt ihn von der rechten Eckfahne aus vor das Tor zu schlagen, läuft Meyer andersherum an, schießt stramm mit dem rechten Außenrist. Ehe Verteidiger Friedel Rausch und Torwart Norbert Nigbur realisiert haben, dass dies ein Torschuss ist, fliegt der Ball auch schon ins Netz. "Die Mannschaft wusste schon, was ich da mache. Ich hatte die Eckbälle schließlich mit Trainer Hennes Weisweiler geübt. Doch als dann tatsächlich drei Schalker mit dem Ball im Tor lagen, wollte ich zunächst meinen Augen nicht trauen", erzählt Meyer heute.

Spätestens mit diesem Tor wissen wohl alle Gladbacher im Sommer 1967, was für ein schussgewaltiges Schlitzohr sie da von Fortuna Düsseldorf losgeeist haben. Und das ist erst der Anfang einer beispiellosen Vorrunde, die Meyer in der Folge für Borussia spielt. 19 Tore nach der Hinserie — eine Marke, an der sich danach Generationen von Gladbacher Stürmern die Zähne ausbeißen und die in der Bundesliga-Geschichte nur einmal von Gerd Müller um ein Tor überboten wird. "Dä Pitter" aus Düsseldorf ist Borussias neues Sturm-Ass — genau ein halbes Jahr lang. Dann stoppt ein Beinbruch seine Torejagd. Doch darüber redet Peter Meyer zunächst nicht.

Der 72-Jährige hat einen prall gefüllten Ordner voller Fotos und Zeitungsausschnitte, die ihn an seine große Zeit als Torjäger erinnern. Auch in seiner Geburtsstadt hat er sich in die Geschichtsbücher geschossen. Noch heute ist Meyer mit 119 Toren Fortunas Rekordschütze. "Ich habe überall meine Duftmarken hinterlassen. Die Fans haben mich gemocht, weil sie nie wussten, was ich als nächstes machen würde", sagt Meyer, der vor dem Tor intuitiv das Richtige tat und von seiner Beidfüßigkeit profitierte. Mit diesen Vorzügen landet Meyer als junger Spieler bei Fortuna Düsseldorf — und beinahe schon 1961 bei Borussia Mönchengladbach.

"Ich war zum Probetraining eingeladen worden, was ich nur Fortunas Platzwart Peter Nießen anvertraut hatte. Der hat mich dann beim Vorstand verraten." Und so kommt es, dass bei Borussias Training plötzlich Fortunas Schatzmeister Heinz Hahn auftaucht und Meyer vom Platz holt. Wenige Wochen später ist der 21-Jährige Vertragsspieler bei Fortuna. Sechs Jahre lang reiht er für sein Team Tor an Tor. Doch als Düsseldorf 1967 aus der Bundesliga absteigt, wird Meyer aussortiert.

"Der Vorstand sagte mir, dass ich gehen könne, wenn ich dem Verein 100 000 Euro brächte", erzählt Meyer. Fortunas Verantwortliche stören sich an seinem Draufgängertum, denn Meyer gibt sich stets volksnah und ist auch den schönen Dingen des Lebens nicht abgeneigt. Die alten Geschichten wie jene vom Privatdetektiv, der ihm zur Kontrolle in die Altstadt folgte, kann Meyer heute nicht mehr hören. "Ich konnte doch gar nicht so oft in die Altstadt gehen, weil mich jeder dort kannte."

Ob er bei Fortuna geblieben wäre, wenn er noch erwünscht gewesen wäre, weiß er nicht. Stattdessen hat der 27-Jährige im Sommer 1967 ein Angebot vom MSV Duisburg auf dem Tisch liegen. Meyer will es annehmen, doch da schaut Günter Netzer in seinem Düsseldorfer Kupplungsbau-Betrieb vorbei. "Trainer Weisweiler und Manager Helmut Grashoff hatten ihn geschickt. Ich musste nicht lange überlegen, über Geld haben wir gar nicht gesprochen", so Meyer.

In Gladbach soll er helfen, den Weggang der Stürmer Jupp Heynckes und Bernd Rupp zu kompensieren. Mit Spielmacher Netzer versteht er sich auf Anhieb blind. Schon im Testspiel gegen den FC Fulham begeistert er die Fans und steuert einen Treffer zum 4:1-Sieg bei. "Weisweiler hat mir vertraut, und die Spielstärke des Teams hat mir zusätzliches Selbstvertrauen gegeben", sagt Meyer. So legt er mit Borussia auch in der Liga mächtig los.

Auf Schalke lässt er seinem direkt verwandelten Eckball beim 4:3-Auftaktsieg noch zwei Tore folgen, nie war ein Borussen-Debütant erfolgreicher. Nach vier Spieltagen sind es bereits neun Tore. "Es ist schon erstaunlich, was ein solcher Einstand bewirken kann. Auf der anderen Seite haben viele vergessen, dass ich danach fünf Spiele ohne Tor blieb", sagt Meyer. Als ihn am zehnten Spieltag Netzer im Heimspiel gegen Dortmund steil schickt, läuft Meyer alleine auf Torwart Bernhard Wessel zu. "Da habe ich es mit der Angst zu tun bekommen. Wie sollte ich ihn überwinden? Ich habe einfach geschossen — und ihn getunnelt. Die Zuschauer dachten, das sei Absicht gewesen. Dabei war ich einfach nur froh, dass der Ball reingegangen war", erzählt der einstige Torjäger.
Doch danach läuft es wieder: vier Tore beim 10:0 über Borussia Neunkirchen, zwei beim 5:2 in Köln. Nach 15 Spieltagen hat Meyer 19 Treffer auf seinem Konto, Borussia ist Tabellenzweiter. Dass sein Nationalmannschafts-Debüt wenig später mit dem 0:0 in Albanien und damit dem Qualifikations-Aus für die Europameisterschaft 1968 misslingt, kann die Begeisterung um ihn kaum trüben. Doch sein Lauf findet ein jähes Ende.
Als Borussia im Januar 1968 in der Sportschule Duisburg-Wedau ein Demonstrationstraining vor Verbandstrainern absolviert, rasselt Meyer mit Gladbachs Torwart Volker Danner zusammen. Der Stürmer zieht sich einen Schien- und Wadenbeinbruch zu. "Es war, als ob eine Holzlatte bricht", hat Meyer einmal gesagt. Dass er den Rest der Rückrunde verpasst, ist bei der Schwere der Verletzung verständlich. Doch der Genesungsprozess verläuft schleppend. Und es nagt an Meyer, dass er zur Untätigkeit gezwungen ist.

"Ich habe mich alle drei Tage röntgen lassen. Ich weiß nicht, woran es letztlich gelegen hat, vielleicht wollte ich zu viel", sagt Meyer heute. Nach Monaten trainiert er wieder, findet aber nicht mehr zu alter Form. Als niemand mehr mit seinem Comeback rechnet, steht er im August 1969, anderthalb Jahre nach dem verhängnisvollen Trainingsunfall, in der Bundesliga gegen Bayern München plötzlich in der Startelf. Meyer spielt eine Halbzeit, zur Pause wird er ausgewechselt.

Während Borussia den ersten Sieg über die Bayern feiert, realisiert ihr einstiger Torjäger, dass er nicht mehr mithalten kann, die Schmerzen zu groß sind. Als ihm Grashoff nur noch einen einsatzbezogenen Vertrag anbietet, macht Meyer Schluss. "Ich habe Grashoff die 20 000 Mark, die ich für die Saison bereits erhalten hatte, sogar zurückgeschickt", erzählt Meyer. Ein Dreivierteljahr später wird Borussia erstmals Deutscher Meister. Meyer dürfte sich dank seines 45-Minuten-Einsatzes auch als Meister fühlen, doch so denkt er nicht.

Er fährt weder zum entscheidenden Spiel, das Gladbach gegen den Hamburger SV 4:3 gewinnt, noch nimmt er später an den Meisterfeiern teil. "Ich habe nichts dazu beigetragen. Wenn man vorher immer wichtig war für seine Teams, möchte man sich dafür nicht feiern lassen", sagt Meyer. Es ist ein bitteres Karriereende für ihn. Wer weiß, ob er ohne den Beinbruch Borussia schon früher zur Meisterschaft geschossen und er vor Gerd Müller die 40-Tore-Marke geknackt hätte. Eines ist für Meyer heute aber sicher: "In Gladbach hatte ich trotzdem meine schönste Zeit." Eine Zeit, die mit der Rekordquote von 19 Toren in 19 Spielen endete — und einem direkt verwandelten Eckball begann.

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