Mönchengladbach Niederländer erzählt deutsche Geschichte

Mönchengladbach · Der Regisseur und Schauspieler Hans Croiset las in der Zentralbibliothek aus seinem neuen Buch "Maskenball Unter den Linden". Maren Jungclaus vom Literaturbüro NRW stellte den Autor des Literarischen Sommers vor.

Mönchengladbach: Niederländer erzählt deutsche Geschichte
Foto: Stadt MG

"Er ist Theater. Der Mann hat das Theater in den Genen." Mit dieser liebevollen wie zugleich wahrhaftigen Charakterisierung begrüßt Maren Jungclaus vom Düsseldorfer Literaturbüro NRW die Zuhörer in der Zentralbibliothek. Sie sind zur dritten Lesung des Literarischen Sommers gekommen. Hans Croiset, niederländischer Regisseur und Schauspieler, stellt sein drittes Buch vor - die erste seiner Schriften, die ins Deutsche übersetzt wurde: "Maskenball Unter den Linden". Eine Geschichte, die zur NS-Zeit im Berlin des Jahres 1935 spielt. Eine Geschichte, mit der Croiset ein Stück seiner eigenen Lebensgeschichte aufarbeitet, nicht weil er sie bisher nicht bewältigen konnte, sondern weil er viele Fragen hatte. Sein Vater war Jude, immer wieder hat er nach den Ursachen für die Entstehung des Zweiten Weltkriegs geforscht.

Croiset - er ist vom Jahrgang 1935 und es ist kein Zufall, dass der Roman in seinem Geburtsjahr spielt - entstammt einer Theaterfamilie: Seine Eltern, Großeltern, sogar sein Urgroßvater waren Schauspieler. Obwohl er Geschichte oder Architektur studieren wollte, packte ihn schon mit 17 Jahren die Theaterlust. Er ging als Volontär ans Theater und erhielt mit 19 seine erste Hauptrolle.

Hans Croiset erzählt in aller Bescheidenheit in hervorragendem Deutsch - obwohl er das selbst an diesem Abend immer wieder bezweifelt - von einer imposanten Theaterkarriere: Mit 25 Jahren wurde er Regisseur, mit 30 Intendant des Arnheimer Theaters. 15 Jahre leitete er das Stadttheater in Amsterdam. Dann hält er kurz inne und erinnert sich an das Gespräch mit Maren Jungclaus bei seiner letzten Düsseldorfer Lesung. "Ich bin ein sehr glücklicher Mensch. Das fällt mir erst jetzt auf."

Weise ist Hans Croiset auch: Nach einer außerordentlich erfolgreichen Theateraufführung sagte er sich: "Jetzt musst du aufhören. Am nächsten Morgen habe ich dann angefangen zu schreiben."

Croiset sitzt auf dem leicht erhöhten Podium fast regungslos und erzählt mit warmer, ruhiger Herzlichkeit, so dass ihm alle Sympathie entgegenfliegt. Aus dem Roman selbst erfährt das Publikum indes gar nicht viel. Ausführlich liest Croiset den Prolog. Er blendet aus der Perspektive eines Neugeborenen in die Krisenwelt von 1935. Der Winzling ist verantwortlich dafür, dass Vater Moritz allein nach Berlin reisen muss, um dort seine Filmrolle ins Deutsche zu synchronisieren. Im Verlauf der Geschichte gerät der Jude, dem die Deutschen arische Abstammung bescheinigen, in den faszinierenden Sog der Theaterwelt, ein Spiel mit dem Feuer beginnt.

Gerade noch versunken in seine Rolle als Vorleser blickt Croiset vom Buch auf und kommentiert: "Die deutsche Übersetzung ist wunderbar. Manche Sätze sind besser als im Original." Die niederländische Perspektive auf deutsche Geschichte macht den Reiz dieses Buchs aus. "Vielleicht verstehen mich die Deutschen besser", meint Croiset.

Die letzte Lesung des literarischen Sommers folgt am Freitag, 29. August, um 19.30 Uhr in der Stadtteilbibliothek Rheydt. Hatice Akyün liest aus "Ich küss dich, Kismet."

(apo)
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