Mönchengladbach Nach der Flüchtlingswelle

Mönchengladbach · Das Abebben des Flüchtlingsstroms hat einige Unterkünfte in Mönchengladbach überflüssig gemacht. Die Stadt schließt nach und nach einzelne Häuser. Einiges verschwindet damit, vieles aber bleibt. Ein Rück- und Ausblick.

Mönchengladbach: Nach der Flüchtlingswelle
Foto: Jürgen Kirchner

Auf dem Hofweihnachtsmarkt in der Nachbarschaft Ahren in Giesenkirchen gab es dieses Mal neben Kunsthandwerk, Glühwein und Gebäck ein ganz neues Angebot - eine persische Suppe, gekocht von einer Frau und zwei Männern aus Afghanistan, die in der ehemaligen Schule Friesenstraße untergebracht waren. Die Suppe bereicherte den Markt - nicht nur geschmacklich, sondern auch, weil sie ein Beispiel dafür ist, dass Integration vor allem durch ein aufgeschlossenes Miteinander erlebbar wird.

Als 2014 die Unterkunft in Giesenkirchen mit etwa 70 Plätzen vor allem zur Unterbringung von Familien mit Kindern geplant worden war, hatte es bereits spürbare fremdenfeindliche Strömungen in der Gesellschaft gegeben. Der Bezirksvorsteher im Stadtbezirk Mönchengladbach-Ost, Hermann-Josef Krichel-Mäurer, kam mit dem katholischen Pfarrer Guido Fluthgraf auf die Idee, die positiven Kräfte in der Nachbarschaft zu bündeln, bevor sich ein negativer Trend gegen die Einrichtung formieren konnte.

 Auf dem Fahrradparcours lernten die Kinder den Umgang mit ihren Rädern.

Auf dem Fahrradparcours lernten die Kinder den Umgang mit ihren Rädern.

Foto: Jürgen Kirchner

Im "Forum Flüchtlingshilfe Giesenkirchen" zogen schon bald die Kirchengemeinden, Caritas und die Giesenkirchener Vereine an einem Strang und nutzten ihre bestehenden Strukturen, so dass die hohe Hilfsbereitschaft von Bürgern auch praktisch organisiert werden konnte. Als dann die Flüchtlingsunterkunft in der Schule Friesenstraße im Sommer 2014 in Betrieb ging, standen die Menschen aus der Nachbarschaft bereit, um die Bewohner auf ganz unterschiedlichste Art und Weise zu unterstützen: vom Sprachunterricht und Schwimmkurs über Kochprojekt, Mal-Ort für Kinder und Erwachsene bis hin zur Spielgruppe für Kleinkinder. Dazu kam die praktische Hilfe, etwa bei Behördengängen und Arztbesuchen, bei der Suche nach einem Praktikumsplatz, Umzug, Fahrradwerkstatt und mehr. Auch eine Steinwurf-Attacke im August 2014 gegen das Heim konnte die Ehrenamtler nicht entmutigen.

Rückblickend nennt Krichel-Mäurer die Arbeit für das Flüchtlingsheim sein "schönstes Erlebnis in 35 Jahren Kommunalpolitik", denn hier habe sich die ganze positive Kraft der Zivilgesellschaft gezeigt. Das Engagement der Ehrenamtlichen habe ganz entscheidend dazu beigetragen, dass das Land die Flüchtlingswelle 2015/2016 bewältigen konnte. Die vielzitierte "Flüchtlingskrise" sei letztlich eine Krise der öffentlichen Institutionen, die durch den Einsatz der Bürger vor einem Kollaps bewahrt wurden. Ungezählte Menschen haben Millionen unbezahlte Stunden geleistet, um denen, die hier Schutz gesucht haben, den Start in ein neues Leben zu erleichtern. Und sie machten die Erfahrung: Wer in der Flüchtlingshilfe mitarbeitet, gewinnt eine ganz andere Perspektive auf die Zuwanderer, kommt ganz nah ran, lässt sich berühren.

 Am bunten Buffet konnten sich alle stärken.

Am bunten Buffet konnten sich alle stärken.

Foto: Jürgen Kirchner

Das Heim an der Friesenstraße wurde im November 2016 geschlossen - jedoch, die meisten der Menschen, die dort gewohnt haben, sind noch da. Viele leben jetzt in eigenen Wohnungen. Durch die ehrenamtlichen Angebote sind Freundschaften entstanden, die weiter gepflegt werden, mancher hat in einem Sportverein Anschluss gefunden, die Kinder integrieren sich schnell über Kindergarten und Schule und nehmen ihre Eltern dabei mit. Die meisten Bildungs- und Kreativ-Angebote sind in die städtische Jugendeinrichtung K 5 am Giesenkichener Kreisel umgezogen. Der Erlös der Wohltätigkeitswanderung der Grundschule wird verwendet, um für ein Jahr die Stelle einer Integrationshelferin zu finanzieren, die direkt an der Grundschule die Flüchtlingskinder und ihre Familien unterstützt. Auch die drei Suppenköche vom Ahrener Weihnachtsmarkt konnten mit ihren Familien eigene Wohnungen beziehen, haben gut Deutsch gelernt und bemühen sich um eine Arbeit. Die Helfer, die in Giesenkirchen weiter aktiv sind, treffen sich alle drei Monate zu einer Austauschrunde. Der nächste Termin ist am 8. Februar um 19 Uhr im Rathaus Giesenkirchen. "Unsere Arbeit ist nicht zu Ende", sagt Pfarrer Albrecht Fischer, "was bleibt, sind auch die Bindungen, die entstanden sind."

Auch die alte Schule am Torfbend in Dohr wurde bis zum 20. Januar 2017 als städtische Unterkunft für Flüchtlinge genutzt. Sie war im November 2015 eröffnet worden, als die große Welle von Zuwanderern ihren Höhepunkt erreicht hatte. 80 Plätze wurden überwiegend mit alleinstehenden Männern belegt. Auch hier gab es in der Bürgerschaft einige lautstarke Schwarzseher, die das Ende des Abendlandes heraufziehen sahen und das Heim am liebsten verhindert hätten. Ihnen stellte sich eine beeindruckende Anzahl pragmatischer Menschen entgegen, die das "Forum Flüchtlingshilfe Dohr" gründeten und die Zuwanderer vom ersten Tag an mit Rat und Tat willkommen hießen. Die Flüchtlinge und die Ehrenamtler kamen sich wirklich nah, aus dem Asylbewerber wurde ein lebendiger Nachbar, und man stellte fest, wie dankbar ein jeder für ein Lächeln, eine helfende Hand ist.

Die Angebote waren ähnlich wie in Giesenkirchen, wurden aber ganz anders angenommen. Was für Familien an der Friesenstraße attraktiv gewesen war - Kreativangebote, Sprachunterricht, Sport im Verein -, sprach die Männer weniger an. Sie orientierten sich eher nach außen, nahmen externen Sprachunterricht, suchten Fitnessclubs auf und trafen sich mit Freunden, die woanders untergebracht waren. Diese Menschen brauchten vor allem Hilfe beim Umgang mit den deutschen Institutionen - und Mobilität. Und so wurde der Fahrradverleih schnell der Renner. Der Montagabend, wenn der Verleih öffnete, entwickelte sich zum Dreh- und Angelpunkt für die ehrenamtliche Arbeit, während die übrigen Angebote nach und nach ausliefen. Wer ein Anliegen hatte, ob Wohnungssuche, Sprachunterricht, Arztbesuch, oder Amtsgänge, kam damit erst mal in den Fahrradkeller. Die Helfer im Verleih konnten entweder selbst Rat geben, oder sie riefen die Spezialisten an, die weitere Aktivitäten anstießen. Mit der Unterkunft wurde auch die Werkstatt aufgelöst. Die Räder, Werkzeuge und Ersatzteile erhielten das Paul-Lädchen in Mülfort und die Initiative "Fahrräder für Flüchtlinge" in Lürrip.

Die Ehrenamtler in Giesenkirchen und Dohr haben sich nach der Schließung der Häuser jeweils zu einer Abschlussrunde getroffen, um Bilanz zu ziehen und um für eventuelle zukünftige Aufgaben den Kontakt zu halten. Alle betonen, wie bereichernd es auch für sie selbst gewesen ist, hier aktiv zu sein: "Viele von uns haben erst durch das Forum Flüchtlingshilfe realisiert, in was für einer großartigen Nachbarschaft wir leben", reflektiert eine Helferin aus Dohr. "Ich glaube, dass die Freude, mit der wir uns hier zusammen eingesetzt haben, die Flüchtlinge genauso wie uns selbst und unsere Gemeinschaft gestärkt hat."

In diesen Tagen war zu lesen, dass vor allem über den Familiennachzug in diesem Jahr mit vielen weiteren Zuwanderern zu rechnen ist. Der Familiennachzug ist ein humanitärer Akt, aber auch wichtig für den sozialen Frieden bis hin zur Terrorvermeidung: Von der Familie getrennt zu sein macht unglücklich, und wer unglücklich ist, ist leichte Beute für extremistische Menschenfänger. Das wissen die Ehrenamtlichen. Sie halten den Familiennachzug für eine gute Sache, denn Familien seien für die Integration besonders empfänglich. Die Kinder gliedern sich leicht über KiTa und Schule ein, und ihre Eltern sind meistens dankbar für praktische Alltagsunterstützung. Auf diese Art sind zahlreiche Familienfreundschaften entstanden, die zeitlich und menschlich weit über die Unterbringung in einer Unterkunft hinausreichen. Für Pfarrer Fischer sind solche Patenschaften der Königsweg in der Integration: "Wo so etwas entsteht, ist das in meinen Augen das Idealziel: Flüchtlinge, die einen persönlichen Kontakt zu Deutschen haben, die sie begleiten, bis sie in einer eigenen Wohnung und mit einer angemessenen Arbeit auf eigenen Füßen stehen und außerdem in irgendeiner Weise in eine Institution eingebunden sind - Fußballverein, Sport, Kultur, Kirche, ist egal - , so dass sie von sich aus auch eine Basis haben, weitere Kontakte zu knüpfen."

"Es war eine unglaublich erfüllte Zeit, in die ich viel kreative Kraft und Zeit investiert habe. Es ist nun aber auch gut, dass es weniger wird, denn viel länger hätte ich mich nicht in diesem Maße engagieren können", sagt Andreas Grossmann, Gründer der Fahrradinitiative in Dohr. "Die Kontaktadresse fff-dohr@gmx.de halte ich aber weiter am Leben. Ich werde auch in Zukunft Räder für Bedürftige annehmen und an die Gladbacher Initiativen weitergeben."

(RP)
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