Bericht eines Mönchengladbachers So war der Papst-Besuch in Sarajevo

Mönchengladbach/Sarajevo · Unser Autor berichtet, wie der Einsatz rund um die riskante Visite Johannes Paul II. im Jahr 1997 in der bosnischen Stadt ablief.

 Papst Johannes Paul II. mit zwei bosnischen Jugendlichen am 12. April 1997 am Flughafen von Sarajevo.

Papst Johannes Paul II. mit zwei bosnischen Jugendlichen am 12. April 1997 am Flughafen von Sarajevo.

Foto: MASSIMO SAMBUCCETTI / dpa

„Colombo, noch 20 Minuten.“ 12. April 1997, der Papst im Anflug auf Sarajevo. Eine gespenstische Atmosphäre: Die Stadt ist, scheinbar, wieder so menschenleer wie drei Monate zuvor. Aber 11.000 Polizisten sind in Bereitschaft; in den Nebenstraßen warten versteckt deutsche, französische und italienische Panzer; auf den Dächern sind SFOR-Scharfschützen in Stellung gegangen. „Colombo minus 14“ – im Funkführungskreis wird es plötzlich hektisch: „Eine Gruppe Männer baut da irgendwas nahe dem Flughafen in der Einflugschneise auf“, meldet ein deutscher Spähtrupp. – „Können Sie Näheres erkennen?“ – „Die Männer tragen Tarnuniformen. Das Ding sieht aus wie ein Bügelbrett.“

„Colombo minus zehn.“ – „Schnell, fahren Sie sofort hin.“ – „Geht nicht, zu weit entfernt, dazwischen liegt ein Tal.“ Hektische Aktivitäten hinter den Kulissen: Soll der Landeanflug des Alitalia-Jets sicherheitshalber abgebrochen werden? „Colombo minus fünf“, meldet die Stimme im Funkgerät. Und überraschend folgt die Entwarnung: Die Alliierten haben sich gemeldet, die Verdächtigen sind italienische Artilleriebeobachter, die ihren Papst aus der Nähe sehen wollen und deshalb ihr Gerät aufgebaut hatten.

Trotzdem: Die Anspannung bleibt, denn von Entwarnung kann allgemein kein Thema sein. „Schon 1994 wollte Johannes Paul II. diese Reise wagen, aus Sicherheitsgründen verschob er sie jedoch auf friedlichere Zeiten. Aber auch 1997 ist dies ein Besuch unter Todesgefahr“, wird zwei Tage später die Zeitung „Die Welt“ berichten.

Schneller Standortwechsel. Das gelbe Plastik-Tuch auf unserem „Wolf“-Geländewagen, damit wir aus der Luft als „Freund“ identifizierbar sind, knattert im Fahrtwind wieder ohrenbetäubend. Ich postiere mich mit dem Fahrer irgendwo einsam an einer zugigen Straßenecke der ehemaligen Sniper-Alley. Sechs Stunden vor der Ankunft von Johannes Paul II. waren hier mit Plastiksprengstoff verbundene Panzerminen samt Fernzünder unter einer Brücke entdeckt worden, über die der päpstliche Konvoi fahren sollte. In einer ersten wirren Erklärung der Behörden ist von vier alten Minen der Serben die Rede. Das Innenministerium dementiert kurz darauf, erhöht die Zahl der Minen auf 23. Ein Attentatsversuch? Ein Propagandatrick der bosnischen Polizei, die ihre Leistungsfähigkeit beweisen wollte? Eine Drohgeste, um den Papstbesuch in letzter Minute doch noch zu verhindern? Die wildesten Gerüchte kursieren in der Stadt, gar von einer Atombombe in einem der Hochhäuser ist die Rede. Es ist bitterkalt, schneit ab und zu – eine frostige Atmosphäre im doppelten Wortsinn.

Eine dichte Menschentraube umringt uns plötzlich. Da, wo deutsche Soldaten stehen, ist es sicher, scheinen sich diese Einheimischen wohl gedacht zu haben. Die Papst-Kolonne braust heran, ist in Sekunden in Richtung Innenstadt verschwunden.

Später, beim Gottesdienst im Kosevo-Stadion, sind 40.000 Gläubige, die meisten von ihnen unter Gefahr für Leib und Leben meist aus Kroatien angereist. Darüber kreisen wachsam die damals hochmodernen und noch streng geheimen amerikanischen „Predator“-Aufklärungsdrohnen. Ich weiß, dass sie da sind, entdecke sie aber nicht im bleigrauen Himmel. Erst Wochen später sehe ich im Hauptquartier in Zagreb die Filme, kann den Papst samt gelbem Regenschirm und, so bilde ich mir zumindest ein, sogar mich erkennen. Beeindruckende Technik!

Nach aufregenden 25 Stunden steigt der Papst wieder in die Alitalia-Maschine, mit Verspätung hebt sie ab, steigt in die schneeschweren Wolken und ist schnell erkennbar außer Reichweite tragbarer Flugabwehrraketen. Vom Berghang gegenüber dem Flughafen aus setzen wir die letzte Funkmeldung an den Stab GECONSFOR ab: „Der Papst hat gesund unseren Verantwortungsbereich verlassen.“ Das Aufatmen scheint über Kilometer hinweg hörbar.

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