Gedenkveranstaltung in Mönchengladbach Reichspogromnacht – „Nie wieder!“

Mönchengladbach · Vor 84 Jahren brannten in ganz Deutschland Synagogen, jüdische Mitbürger wurden verletzt, aus ihren Häusern gezerrt, ermordet. Läden jüdischer Händler wurden zerstört. Auch in Mönchengladbach wüteten am 9. November 1938 die Nationalsozialisten. Im Innenhof des Rathauses Abtei wurde dieser schwarzen Nacht gedacht.

Kaj Fischer, Lehrer an der Hans-Jonas-Gesamtschule, präsentierte das gemeinsame Projekt „Stolpern – Erinnern – Erzählen“ von Schülern und Studierenden der Hochschule.

Kaj Fischer, Lehrer an der Hans-Jonas-Gesamtschule, präsentierte das gemeinsame Projekt „Stolpern – Erinnern – Erzählen“ von Schülern und Studierenden der Hochschule.

Foto: Ilgner,Detlef (ilg)/Ilgner Detlef (ilg)

„Nie wieder!“ Diese Mahnung fällt immer wieder an diesem Abend des 9. November im Innenhof des Rathauses Abtei. Fast 200 Menschen aus allen Bereichen der Stadtgesellschaft sind gekommen, um einer der düstersten Nächte der deutschen Geschichte zu gedenken, um die Erinnerung an das wachzuhalten, was damals geschah und den Beginn der unmenschlichen Diktatur der Nationalsozialisten markierte, in der sechs Millionen jüdische  Menschen ermordert wurden.  Am 9. November 1938 zogen Schlägertrupps durch deutsche Städte, auch durch Mönchengladbach, setzten Synagogen in Brand, zertrümmerten jüdische Geschäfte, misshandelten, verhafteten und töteten jüdische Mitbürger.

„Das war der Anfang vom Ende“, sagt Leah Floh, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Mönchengladbach. Es gebe immer weniger Zeitzeugen, immer weniger Opfer, immer weniger Täter. Mit Ruth Hermges habe man erst heute die letzte in Mönchengladbach geborene Überlebende der Shoah beerdigt. Floh erinnert an die Zusage der Stadtspitze, eine geeignete Straße nach der aus Mönchengladbach stammenden Holocaust-Überlebenden Hilde Sherman zu benennen, betont die Bedeutung der Stolpersteine, von denen der Künstler Demnig bisher allein in der Vitus-Stadt 335 in Erinnerung an Opfer der Shoah  verlegt hat, und wirbt um Unterstützung für das von Mönchengladbach und Viersen geplante NS-Dokumentationszentrum.

 Gastgeber Oberbürgermeister Felix Heinrichsund Leah Floh, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, hielten berührende Reden.

Gastgeber Oberbürgermeister Felix Heinrichsund Leah Floh, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, hielten berührende Reden.

Foto: Ilgner,Detlef (ilg)/Ilgner Detlef (ilg)

Eindrücklich macht Floh klar, wie wichtig es sei, die Erinnerung wach zu halten, insbesondere in einer Zeit, in der jüdische Menschen wegen des Kriegs gezwungen seien aus der Ukraine und aus Russland zu fliehen, in der Antisemitismus wieder zunehme, auch in der Politik, und „den man nicht unter der Maske der Israel-Kritik verstecken“ könne. „Wer stoppt den Hass gegen Juden und gegen Israel in Europa?“, fragt Floh und appelliert: „Es ist noch nicht zu spät. Erheben Sie Ihre Stimme!“

Oberbürgermeister Felix Heinrichs, Gastgeber der Veranstaltung, betont die Bedeutung solcher Solidarität: „Unser Zusammenkommen heute ist Ausdruck einer inneren Haltung und einer starken Kraft, die wir denen entgegensetzen, die den Holocaust verleugnen und seine Opfer verachten.“ Die Mahnung „Nie wieder!“ sei aktueller denn je angesichts steigender rechtsextremer Übergriffe, Hakenkreuzen auf jüdischen Gräbern, Übergriffen auf Männer mit Kippa, Brandsätzen auf Flüchtlingsunterkünfte oder antisemitischer Hetze in sozialen Netzwerken. Das verletze nicht nur Menschen, „sondern unsere Demokratie und unsere Grundwerte insgesamt“, so Heinrichs.

Tief beeindruckt berichtet er von seinem Besuch in Riga vor einigen Monaten, wohin 1941 auch 179 Frauen, Männer und Kinder aus Mönchengladbach transportiert worden waren. Viele von ihnen wurden ermordet und in Massengräbern verscharrt. Ihm sei dort die Dimension des Völkermords noch mal neu bewusst geworden. „Welch ein menschenverachtender Hohn!“ Zugleich habe er aber auch Hoffnungsvolles erlebt: Im Jewish Community Center in Riga tanzten jüdische Kinder ausgelassen. Das gebe Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben.

Beeindruckend ist vor diesem Hintergrund das gemeinsame Projekt der Hochschule Niederrhein und der Hans-Jonas-Gesamtschule in Neuwerk unter dem Titel „Stolpern  – Erinnern – Erzählen“. Unter der Leitung von Andris Breitling, Professor für Ethik, Sozialphilosophie und Kulturtheorie an der Hochschule, sowie Kaj Fischer, Lehrer für Kunst und Gesellschaftslehre an der Hans-Jonas-Gesamtschule, realisierten Studierende und Schüler gemeinsam Projekte. Ein transatlantisches Video-Treffen mit Gabrielle Jonas, der Tochter des in Mönchengladbach geborenen jüdischen Philosophen Hans Jonas, gehörte auch dazu. Ebenso wie sein berühmtes Zitat:  „Der Mensch ist das einzige Wesen, das Verantwortung haben kann. Indem er sie haben kann, hat er sie.“

Anna Scheidtweiler, Xinju Wu, Mervin Aydogan, Nils Jakobs und Anastasois Papadopulos produzierten ein „Erinnerungsvideo“, stellten zu dem Song des Rappers Trettmann mit dem Titel „Stolpersteine“ Fotos von Denkmälern und Gedenkstätten in Mönchengladbach, von der Hausfassade mit dem Bild von Hans Jonas im Gründerzeitviertel, aber auch eine beeindruckende Sammlung von Schlagzeilen zum Anstieg rechtsextremer Gewalt.

Lilly Boysen, Eridona Dika, Cleo Thomas und Elisa Szernik haben unter dem Begriff „stolperwege_mg“ im sozialen Medium Instagram einen besonderen Stadtrundgang konzipiert: Er führt zu mehreren der 335 Stolpersteine in Mönchengladbach. Bei dem Rundgang gibt es an jeder Station Informationen zu den Menschen, deren Namen auf dem jeweiligen Stolperstein stehen, den angrenzenden Häusern, in denen sie gelebt haben, teilweise ergänzt um alte Fotos.  

Das Ensemble „Toda“ der Gemeinde singt jüdische Lieder. Am Ende der Gedenkveranstaltung spricht Gabbai Boris Gerskovic von der jüdischen Gemeinde zur Erinnerung an die sechs Millionen in den Konzentrationslagern ermordeten Juden das Gebet „El Male Rachamim – Gott voller Erbarmen“ und das Kaddisch. Und vom Fenster des Ratssaals aus sorgt der Violinist Francis Norman für eine besondere musikalische Untermalung.

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