Interview Michael Heck und Gregor Bonin „Wir wollen bei Rathaus-Neubau Venlo übertreffen“

Mönchengladbach · Der Kämmerer und der Planungsdezernent sprechen über das Sparpotenzial des Projekts, die Chancen für Rheydter Innenstadt und die Hoffnungen der Mitarbeiter.

 Gregor Bonin (rechts), Stadtdirektor und Planungsdezernent, mit Kämmerer Michael Heck auf dem Balkon von dessen Büro. Früher war das eine Wohnung.

Gregor Bonin (rechts), Stadtdirektor und Planungsdezernent, mit Kämmerer Michael Heck auf dem Balkon von dessen Büro. Früher war das eine Wohnung.

Foto: Bauch, Jana (jaba)

Der Stadtrat hat mit breiter Mehrheit dem Siegerentwurf für das neue Rathaus zugestimmt. Sind Sie erleichtert?

Bonin  Erleichtert ist nicht das richtige Wort. Es ist ein weiterer Zwischenschritt auf einem langen Weg. Wir beschäftigen uns seit zweieinhalb Jahren intensiv mit diesem Thema. Wir haben eine komplette Bestandsaufnahme hinter uns, haben über Finanzierung, Organisation, Arbeitsprozesse und Umsetzung nachgedacht. Die Arbeit geht jetzt  weiter.

Finanzierung ist das Stichwort. Die Stadt ist hochverschuldet. Warum brauchen wir ein neues Rathaus?

Bonin Weil Nichtstun keine Option ist. Wir müssen handeln. Es gibt eine zehnjährige Vorgeschichte zu diesem Projekt. 2009 hat der Rat die Zentralisierung der Verwaltung als HSK-Maßnahme beschlossen.

Das müssen Sie erklären. Was ist eine HSK-Maßnahme?

Heck HSK steht für Haushaltssicherungskonzept. Mönchengladbach hat zwischen 1994 und 2009  16 Haushaltssicherungskonzepte aufgelegt. 2012 folgte der Beitritt zum Stärkungspakt Stadtfinanzen und die Verabschiedung des Haushaltssanierungsplans (HSP). Sowohl im HSK als auch im HSP ist die Zentralisierung verankert.

Der Rathausneubau und die Zentralisierung sind also Sparmaßnahmen?

Heck Ja, obwohl ich als Kämmerer lieber von Optimierungsmaßnahmen rede. Die Soll-Situation wird günstiger als die Ist-Situation. Langfristig gesehen soll der Haushalt der Stadt geringer belastet werden. Hierzu muss die Wirtschaftlichkeit des Projektes gegeben ist. Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit sind zudem Bedingungen für eine Zustimmung der Bezirksregierung. Als Bürger dieser Stadt bin ich der Meinung, dass dies auch so sein muss.

Um einen Dauerkritikpunkt aufzugreifen: Warum werden für das Geld nicht Schulen saniert oder Kitas gebaut?

Heck Die Bezirksregierung genehmigt die zusätzliche Kreditaufnahme nur für dieses Projekt.

Bonin Richtig: wir haben das Geld nicht. Es ist nicht im städtischen Haushalt und kann nicht für andere Projekte verwendet werden. Es fließt übrigens mehr Geld in Sanierung von Schulen und Neubau von Kitas als je zuvor. Wir bekommen sehr viele Fördermittel für diesen Bereich.

160 Millionen Euro sollen ausgegeben werden. Wo liegt das Einsparpotenzial des Neubaus?

Bonin Die jetzigen Gebäude sind energetisch desolat: Einfachverglasung, undichte Fenster, defekte Heizungen. Wir geben sehr viel Geld für Energie, aber auch für veraltete Anlagen aus. Der Fahrstuhl im Rathaus Rheydt zum Beispiel kostet jedes Jahr 200.000 Euro Wartung und Unterhalt, unter anderem weil es keine Ersatzteile mehr gibt und wir sie aus ausrangierten Fahrstühlen nehmen müssen. Das neue Gebäude wird der Nachhaltigkeit Rechnung tragen. Es soll sich tendenziell selbst mit Energie versorgen. Auf dem Dach wird eine Photovoltaikanlage installiert. Außerdem ist ein Biogas-Blockheizkraftwerk geplant ebenso wie Erdwärmepumpe, Regenwasser- und Grauwassernutzung. Das grüne Gewächshaus in der gläsernen Magistrale sorgt für Frischluft. Das Rathaus in Venlo ist unser Vorbild, das wir aber möglichst noch übertreffen wollen. Und wir halbieren unseren Raumbedarf. Der Zuschnitt der heutigen Räumlichkeiten, die zum Teil in ehemaligen Wohnungen untergebracht sind, ist sehr ungünstig.

Wie hoch sind die Energiekosten der Stadt heute? Und wie hoch sollen sie nach Bezug des Neubaus sein?

Heck Diese Fragen lassen sich auf die Schnelle nicht beantworten. Wir wollen mit dem Rathausneubau von den aktuell laut Strabag überdurchschnittlich hohen Energiekosten möglichst weit in Richtung Null. Das konkret zu erreichende Sparpotenzial wird mit dem Architektenbüro in den nächsten Arbeitsschritten noch errechnet werden. Durch einen deutlich geringeren Energieverbrauch soll das neue Rathaus aber nicht nur Kosten einsparen sondern auch einen Beitrag zum Klimaschutz in unserer Stadt leisten.

Wäre es nicht auch eine Nummer kleiner gegangen?

Bonin Wir reduzieren die Fläche auf das absolut Notwendige und gehen von einer Halbierung der Flächen aus. Durch den Einsatz moderner Arbeitsmodelle wird vor Ort nicht für jeden einen Arbeitsplatz erforderlich sein. Wir stellen jedoch auch Platz für die städtischen Gesellschaften zur Verfügung. Die Zusammenarbeit  beispielsweise mit der EWMG ist eng. Sie sind Teil des Konzerns Stadt und es ist sinnvoll, unter einem Dach zu sitzen.

Heck Auch diese Zusammenführung ist eine HSP-Maßnahme ebenso wie die Prüfung, ob die beiden städtischen Wohnungsbaugesellschaften Kreisbau AG und GWSG zusammengelegt werden können. Das Ergebnis der Prüfung war aktuell negativ, eine Fusion hätte steuerlich negative Auswirkungen. Aber operativ wird im Tagesgeschäft bereits sehr eng zusammengearbeitet.

Wird immer noch über eine städtische Holding als Dach für alle Stadttöchter nachgedacht?

Bonin Das ist eine politische Entscheidung, die sich um die Frage dreht, wie die Stadt ihr Beteiligungsportfolio steuert. Eine Holding hätte eine andere Struktur: Anstelle des Oberbürgermeisters und des Stadtrats träte ein Geschäftsführer und ein Aufsichtsrat.

Wir reden über 160 Millionen Euro. Was enthält diese Summe?

Bonin 126,5 Millionen davon sind Baukosten, der Rest sind Kosten während der Bauzeit wie Unterhalt der Gebäude, Umbaukosten und so weiter.

Demgegenüber stellen Sie rund 199 Millionen Euro für die notwendigen Sanierungen der Bestandsgebäude. Wie wurde das berechnet?

Heck Um hier für Transparenz zu sorgen, haben wir uns externe Unterstützung geholt. Das Gutachten wurde von der Strabag, einem der führenden Immobiliendienstleister, erstellt.

Bonin Es gibt für jedes Gebäude einen Steckbrief, der die entsprechenden Daten enthält. Außerdem liegen die technischen Unterlagen vor. Durch die vielen Jahre des Sparens gibt es einen enormen Sanierungsstau. Zum Teil war noch nicht mal das Geld für einen neuen Anstrich da. Nur das Notwendigste wurde abgearbeitet.

Heck Die Gebäude sind abgewirtschaftet. Die Stadt konnte ihre Bausubstanz über Jahre nicht werterhaltend unterhalten. Das betrifft nicht nur die Verwaltungsgebäude, sondern die gesamte Infrastruktur wie beispielsweise Brücken, Straßen oder Schulen.

Erst in fünf bis sieben Jahren soll der komplette Neubau frühestens fertig sein. Wie realistisch ist es, dass die Kosten gehalten werden?

Heck Die Gefahr einer Kostensteigerung besteht bei beiden Varianten, beim Neubau und bei der Sanierung der vorhandenen Gebäude. Bei einer Sanierung können die Kosten sogar noch stärker steigen, weil Gebäude eventuell sehr schnell vom Netz müssen und die Anmietung neuer Räume dann ebenfalls schnell gehen muss. Und wenn die Not groß ist, steigen auch die Mieten.

Bonin Großprojekte müssen zudem nicht teurer werden als kalkuliert, das hat der Kö-Bogen in Düsseldorf gezeigt. Projekte gehen oft schief, wenn unnötigerweise Zeitdruck entsteht, also wenn zu einem Jubiläum oder anderen Termin unbedingt ein bestimmter Zustand erreicht werden soll. Wenn das Projekt aber gut strukturiert ist, die Verantwortung klar und Umplanungen vermieden werden, lassen sich die Kosten steuern. Zusätzliche Wünsche sind Kostentreiber. Deshalb muss vorher der Bedarf ermittelt sein.

Diskutiert wird auch der Entwurf an sich. Weshalb hat sich die Jury dafür entschieden?

 Der Siegerentwurf für das neue Rathaus in Rheydt von oben: ein langer Glasriegel als verbindendes Element.

Der Siegerentwurf für das neue Rathaus in Rheydt von oben: ein langer Glasriegel als verbindendes Element.

Foto: Stadt Mönchengladbach/sop architekten GmbH, Düsseldorf

Bonin Die Kriterien waren in der Ausschreibung festgelegt: die Energieversorgung zum Beispiel, aber auch architektonische und städtebauliche Aspekte spielten eine Rolle. Außerdem der funktionelle Zusammenhang: wie wird das Arbeiten der Zukunft ermöglicht? Wie flexibel ist das Konzept?

Ist es nicht zu modern, wie ein Fremdkörper?

Bonin Stadtentwicklung bedeutet immer, dass zum Vorhandenen etwas Neues hinzukommt. Das war beim Minto auch so. Und was wäre die Gladbacher Innenstadt heute ohne Minto? Der Entwurf erfüllt die Ansprüche für Rheydt: es wird ein halböffentlicher Raum geschaffen, die Bücherei findet unten Platz, wo sie auch hingehört. Der Rathausneubau ist eine Riesenchance für Rheydt.

Bestehende Wegeverbindungen werden gekappt. Viele sehen das als Trennung der Rheydter Innenstadt.

Bonin Ich bin davon überzeugt, dass der Durchgang am Neumarkt tagsüber gewährleistet werden kann. Das haben die Planer als Aufgabe bekommen. Die Straße zwischen Karstadt und Stadtsparkasse machte ursprünglich nur die Stadtsparkasse erreichbar. Diesen Raum kann man anders besser nutzen.

Karstadt ist ein wichtiger Frequenzbringer für Rheydt.

Bonin Das stimmt. Wir sind Karstadt im Gespräch und werden für die Bauzeit eine Lösung finden. Insgesamt müssen wir aber im Auge behalten, dass sich der Einzelhandel wandelt. Er ist heute komplett anders als vor fünf Jahren. Wir brauchen Angebote für vielfältige Nutzungen. Die Räumlichkeiten müssen alle Möglichkeiten des Wandels zulassen.

Der Einzelhandel muss erst einmal die jahrelange Bauzeit durchstehen. Wie unterstützen Sie die Händler?

Bonin Es gibt noch kein fertiges Konzept, aber es wird auf jeden Fall einen Baustellenkümmerer geben, der täglich vor Ort  und ansprechbar ist. Es wird Aktionen geben, ein gemeinsames Freuen auf die Fertigstellung. Wir sind natürlich im Gespräch mit dem Citymanagement. Es wird während der Bauphase schwierig, aber wir gestalten im gemeinsamen Interesse.

Mit dem Neubau geht auch eine inhaltliche Neuaufstellung der Verwaltung einher. Wie wird die Behörde der Zukunft arbeiten?

Bonin Die Digitalisierung verändert die Arbeit in der Verwaltung. Die Bürger können Dienstleistungen bequemer von zu Hause aus abrufen, die Mitarbeiter können mobil arbeiten und ihre Arbeitszeit flexibler einteilen. Das erproben wir gegenwärtig in einem Pilotprojekt.

Heck Durch die Einführung der elektronischen Aktenführung verringern wir zudem auch unseren Raumbedarf.

Wie finden die Mitarbeiter die Pläne?

Bonin Es gibt eine intensive interne Kommunikation und wir arbeiten eng mit dem Personalrat zusammen. Außerdem gibt es einen Arbeitskreis junger Mitarbeiter, in dem sie ihre Vorstellungen vom Arbeiten der Zukunft einbringen können. Bisher sind die Reaktionen sehr positiv, auch bei Bewerbern.

Heck Augenblicklich ist der Leidensdruck in der Belegschaft groß. In der Verwaltung arbeiten viele fähige Menschen, die ihre Arbeitsleitung für die Bürgerinnen und Bürger aufgrund der räumlichen Verhältnisse jetzt nicht so erbringen können, wie sie es eigentlich könnten und auch wollen.

Können Sie so auch Fachkräfte gewinnen?

Bonin Ja, das Rathaus der Zukunft wirkt sich hier sehr positiv aus. Es ist attraktiv für junge Menschen. Auch der Gedanke, dass ein Team unter einem Dach arbeitet, greift.

Wo werden die gegenwärtig 900 Mitarbeiter in Rheydt während der Bauzeit untergebracht?

Bonin Wir müssen etwa 400 Mitarbeiter interimsweise unterbringen, weil wir in zwei Bauphasen arbeiten werden. Das Gebäude der Stadtsparkasse wird genutzt, reicht aber nicht aus. Wir sind noch auf der Suche, können aber auch nicht zu früh Verträge machen.

Heck Die Kosten für die Interimslösung müssen so niedrig wie möglich sein, aber wir wollen die Zeit nutzen, um die neuen Prozesse auszuprobieren.

Thema Parken: 1000 zusätzliche Mitarbeiter, aber nur 45 zusätzliche Parkplätze. Mögen Sie Konflikte?

Bonin Ich antworte als Umweltdezernent. Wir müssen ohnehin über den Verkehr nachdenken und die Stadt anders aufstellen. Wir arbeiten an einem Mobilitätskonzept und haben auch die Mitarbeiter befragt. Es wird funktionieren. Die Bewegung weg vom Auto erweist sich bei Vorstellungsgesprächen sogar als Plus.

Sollte sich das Projekt doch nicht als wirtschaftlich erweisen, was passiert dann?

Bonin Wir gehen davon aus, dass es klappt. Wenn nicht, müssen wir an dieser Stelle kleiner werden. Sanieren müssen wir den Standort Rheydt und die anderen Standorte so oder so. Wir können nicht einfach weitermachen. Wie gesagt: Nichtstun ist keine Option.

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