Urbane Selbsternte „Echte Helden ackern selbst“

Mönchengladbach · Mitten in der Stadt kann man bio-zertifizierte Flächen mieten und eigenhändig mit regionalem Gemüse bepflanzen. Das Projekt schärft bei den Beteiligten das Bewusstsein für den Umgang mit Lebensmitteln.

Ackerhelden vermieten Gärten

Ackerhelden vermieten Gärten

Foto: Ilgner Detlef (ilg)

Tobias Paulert wird emotional, wenn sein Blick über den Acker in Mönchengladbach-Venn schweift. In gelben Gummistiefeln steht er inmitten einer Art Beet, die helle Herbstsonne strahlt auf die Pflanzen zu seinen Füßen: Salate, Kohl, Mangold der Sorte „Rainbow“ – deren Stängel haben bunte Farben. Paulert erzählt: Studiert und gearbeitet habe er im Bereich Sportmarketing, dann habe er gekündigt. „Uns geht es nicht ums Geld“, sagt er, während er behutsam über einen Wirsing steigt: „Wir wollen die Menschen zum Nachdenken bringen, sie dazu bewegen, sich gesünder zu ernähren. Einen anderen Wert für Lebensmittel vermitteln.“ Er zeigt auf eine riesige, fast 50 Zentimeter große Zucchini, neben den anderen ihrer Sorte sticht sie seltsam hervor. „Nur rund 40 Prozent der Gemüseernte landet im Handel“, sagt Paulert. „Der Rest ist zu groß, zu klein, nicht-konform. Und wird aussortiert, also entsorgt.“

Paulert ist selbsternannter „Ackerheld“, sein Job ist es, andere zu „Ackerhelden“ zu machen. „Echte Helden ackern selbst“, lautet das Motto des Unternehmens, das der Essener 2012 gemeinsam mit seinem Freund Birger Brock gegründet hat. Die beiden kennen sich noch aus dem Schulgarten, mit den Jahren reifte ihre Idee: urbane Selbsternte von saisonalem Gemüse, statt Massenkonsum und Discounter-Mentalität. Die „Ackerhelden“ vermieten Acker, von Mai bis Ende November, für 199 Euro pro Saison. Eine Parzelle ist zwei Meter breit, 20 Meter lang, also 40 Quadratmeter groß – in Mönchengladbach liegt sie nicht mal zehn Minuten Autofahrt vom Stadtzentrum entfernt. „Dieser Standort war damals unser zweiter“, sagt Paulert. Das urbane Gartenprojekt hat Erfolg: Inzwischen gibt es 15 Standorte in Deutschland und einen in Österreich. Mit über 3500 Kunden.

„Dreiviertel der Parzelle ist vorbepflanzt mit einer Auswahl an bis zu 150 Gemüsesorten“, erklärt Paulert das Konzept: „Der Rest steht den Mietern frei.“ Sechs Monate lang können sie mit eigenen Händen das frische Gemüse ernten, nach Belieben neu säen, hegen und pflegen. Dazu gibt es professionelle Beratung, einen Einführungsworkshop, Telefon- und E-Mail-Service und einen regelmäßigen Newsletter mit Kochrezepten. Gartengeräte und Gießwasser sind vor Ort.

Was den „Ackerhelden“ besonders wichtig ist: Acker und Gemüse haben Bio-Qualität, und darum gleich „ganz anderen Geschmack“, sagt Paulert. Für ein Selbsternte-Projekt sei das bundesweit einmalig. Das Land gehört regionalen Betrieben zertifizierter ökologischer Landwirtschaft, die ohne Pestizide, Herbizide oder chemischen Dünger arbeiten. In Venn besteht der Kooperationsvertrag mit dem Bioland-Betrieb von Reiner und Marcus Brungs.

Anke Ehlers ist mit ihrem Sohn zum Acker gekommen, denn es ist Erntezeit. „Wir hatten uns eigentlich nach einem Schrebergarten umgeschaut und per Zufall im Radio von den ‚Ackerhelden’ gehört“, sagt sie. Dass sie sich nur für eine Saison verpflichten muss, habe ihr damals zugesagt. Sie habe zunächst klein angefangen, „das ein oder andere Gemüse aus Versehen mit raus gezupft.“ Dann kam die Routine, die Ehlers sind jetzt seit sechs Jahren dabei. Bei den Einführungsveranstaltungen mache sie schon gar nicht mehr mit. „Unsere Ernährung hat sich umgestellt“, sagt Anke Ehlers. „Ist saisonaler geworden. Wir haben neue Gemüsesorten ausprobiert, den Mangold zum Bespiel, und dadurch unsere Gerichte erweitert.“ Rote Beete habe sie früher überhaupt nicht gegessen, jetzt gehöre die Rübe auf ihren Ernährungsplan. „Natürlich, Kinder haben ihren eigenen Geschmack“, sagt Ehlers. „Hier aber lernen sie, wie Gemüse wächst und entwickeln ein Bewusstsein dafür, wie man damit umgeht. Eben weil sie es selbst angepflanzt haben.“

Auch für Unternehmen haben die „Ackerhelden“ ein Angebot: Bio-Gemüsehochbeete am Unternehmensstandort, mit zertifizierter Ernährungsberatung und E-Learning-Plattform. Die Ackerflächen sind für die Saison 2019 bereits vermietet. Gegebenenfalls könnten aber Anfang November reservierte Gärten aus einem Stammkundenkontingent frei werden. Weitere Informationen gibt es auf der Website www.ackerhelden.de

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