Einmal quer durch die Stadt Das Ende der Radlosigkeit

Mönchengladbach · Auftakt einer Serie über Radfahren in Mönchengladbach: Ein Novize testet die Leihräder von Nextbike und erlebt sein blaues Wunder.

 Aha! Nach kurzem Kampf mit der App ist der Tester registriert und mit Guthaben versehen.

Aha! Nach kurzem Kampf mit der App ist der Tester registriert und mit Guthaben versehen.

Foto: Bauch, Jana (jaba)

Zwei Bekenntnisse vorab Erstens: Radfahren ist toll – wenn es nicht regnet, wenn es nicht zu heiß und nicht zu kalt ist, wenn der Wind nicht bläst, wenn nicht Laub die Wege zu Rutschbahnen macht. Schnee geht auch nicht. Aber sonst ist Radfahren toll, wie gesagt.
Zweitens: Ich besitze kein Fahrrad, weil – siehe oben.

Die Versuchsanleitung Bekehrt das Angebot an Leihfahrrädern in der Stadt einen Abstinenzler zum Radfahren und  erweist sich diese Art der Fortbewegung als praktisch? Dazu ist die Stadt zu durchqueren – brutalstmöglich von Neuwerk bis Wanlo, geleitet von der Navigations-App des Allwissenden, also Google.

Erstes Handicap Ein Blick ins Internet auf eine Karte mit fast drei Dutzend Leihstationen von Nextbike macht den Plan zunichte. In den Citybereichen von Gladbach und Rheydt gibt es viele Stationen. Doch die Außenbezirke sind eine Wüstenei. Die äußersten Außenposten im Nextbike-Universum sind der Bahnhof Lürrip und das Elisabeth-Krankenhaus. Planänderung: Wir fahren von Ost nach West, von Lürrip nach Merreter, winken über den Acker den Wegbergern zu, machen kehrt und liefern das Leihrad am „Eli“ ab.

Zweites Handicap Am Bahnhof Lürrip steht eine Handvoll Räder in Docking-Stationen. Erst mal den Sattel testen, weil unser Gesäß bei längerer Beanspruchung gewiss sensibel reagiert. Drucktest – es fühlt sich kommod an. Doch irgendwie müssen wir das Fahrrad ein wenig aus seiner Station bewegt haben. Jedenfalls piept es plötzlich. Huch! Dabei müssen wir doch erst einmal die Formalitäten erledigen, die an einer Tafel erklärt sind. Smartphone zücken, Nextbike-App runterladen und registrieren. Handynummer eingeben, palimm, palimm, kommt auch schon eine SMS mit einem Pin-Code. Den jetzt beim Registrieren eingeben, und schon wird man zur Kasse gebeten. Zahlen per Kreditkarte, Paypal, Bankeinzug? Wir geben Kreditkartendaten ein. Ein neues Fenster öffnet sich. Können wir nun die Ausleihe starten? Nö. Einiges Info- und Foto-Gerödel auf unserem Display. Hektisches Tippen, noch mehr Gerödel. Dann die Idee: App beenden und noch mal öffnen. Und siehe, es hat doch funktioniert. Wir haben einen Euro Guthaben. Das reicht für eine halbe Stunde Radeln. Können wir da noch was aufbuchen? Ist auf Anhieb nicht zu erkennen. Dann sehen wir halt, ob am Ende abgerechnet wird. Fahrrad rausgezogen, Sattel mit einem simplen Hebelgriff auf stattliche Höhe gehievt – und los!

Der Zauber des Beginnens Der Große Google schickt uns zur Korschenbroicher Straße. Ein Radweg wäre jetzt schön. Gibt es auch, auf der anderen Straßenseite – also brav an der Ampel gewartet, rüber, und dann gleiten wir  rumpelfrei dahin. Vierspurig sausen die Autos, wir dagegen haben viel Zeit, die Welt neu kennenzulernen. Zum Beispiel gut einen Kilometer lang eine Parade von Wahlplakaten der Marxistisch-Leninistischen Partei zu studieren. Parole Nummer vier oder fünf belehrt die Werktätigen und Fahrtüchtigen: „Revolution ist kein Verbrechen“. Hmm.

Upps, in Höhe des Koenigs-Karrees endet der Radweg jäh. Was tun? Einfach die Straße überqueren, auf der anderen Seite geht es weiter, über geschmackvoll geröteten Radweg gen Innenstadt. Die Blitzer-Säule an der Kreuzung Breitenbachstraße kann uns heute nix anhaben, pah! Wir halten an, machen ein Foto von dem Trumm. Als wir das Rad an einen Zaun lehnen, läutet es plötzlich. Wir haben die Klingel entdeckt! Zufällig, am linken Lenkergriff. Ein kräftiger, aber gefälliger Ton. Plötzlich riecht es auch kräftig. Nach Marihuana. Die junge Frau, die die Kreuzung überquert, zieht an einer Zigarette. Hmmm. Als Radler ist man halt an der frischen Luft.

Die Spannung steigt Am Ende der Korschenbroicher Straße gebietet das Navi einen Linksschwenk auf die Theodor-Heuss-Straße. Aufregend! Schließlich hört man von Radlern doch immer, wie schlecht der Radweg dort sei. An der Bushaltestelle rät ein Radwegweiser auch gleich, die Straße zu verlassen und sich halbrechts ins Häuserdickicht zu schlagen. Bis Rheindahlen sollen es 9,0 Kilometer sein. Nichts da, wir folgen stur dem Navi! Und die Theodor-Heuss wollen wir uns auch nicht verpassen! Es geht bergauf. Zumindest wenn man ganz genau hinsieht. Dann erkennt man die Steigung. Ächz!

Unser blaues Wunder An der Ecke Brandenberger hat das Navi ein Einsehen und weist uns zur Richard-Wagner-Straße. Jippieh! Es geht auf die berüchtigte Blaue Route, Mönchengladbachs erste Fahrradstraße. Wir rollen erstmals ein langes Stück über eine echte Fahrbahn. Auf dem Fußweg kommt eine junge Frau entgegen. Der Wind spielt in ihrem langen, brünetten Haar. Da, einige Pedaltritte weiter, geht auch zur Linken eine. Klar, wir nähern uns der Hochschule. An der Webschulstraße kreuzt eine ganze Gruppe Studentinnen die Fahrbahn. Doch ja, als Radfahrer kann man die Welt viel intensiver wahrnehmen. An der Ecke Mühlenstraße ist das blaue Wunder schon wieder vorbei. War das jetzt so großartig anders als auf den Radwegen bisher? Nö.

Die Bergetappe Das Handy schickt uns nach einigen Metern Mühlenstraße über die Friedrich-Ebert-Straße zur Bachstraße. Dort beginnt eine lange Durststrecke. Schier endlos geht es immer der Straße nach. Und immer bergauf. Erstaunlich, wie viele Achttausender es in Mönchengladbach gibt. Die Oberschenkel machen sich bemerkbar. An der Ecke Trierer Straße überholt uns eine Dame. Sie ist etwas älter als wir. Humpf!

Beswingtes Auftanken Eine Tankstelle erscheint vor uns. Keine Fata Morgana. Wir halten an, um aufzutanken. Als wir unsere Flasche  mit Brause neben die Kasse stellen, fragt die Kassiererin: „Nur das?“ Ja, nur das. So billig sind wir an der Tanke  selten weggekommen. Frisch bebraust geht es am Stadtwald vorbei. Der Radweg hat ein paar kleinere Untiefen. Aber nicht weltbewegend. 12.58 Uhr: Die A 61 ist erreicht. Wir halten an und nehmen noch einen Schluck Brause. Vor uns: Automobile in voller Fahrt, rechts: das Schild des örtlichen Swinger-Clubs für „aktive Damen und Herren“. Öha. Aber eigentlich wollen wir ja nach Merreter. Wir swingen uns also wieder aufs Fahrrad. Man kann auch mit den Beinen aktiv sein.

Unfall verhütet Hinter der Autobahn passieren wir eine Haltestelle. Ein Bus stoppt, eine junge Frau steigt aus – und geht ohne sich umzuschauen auf den Radweg. Immer diese Fußgänger! Wir erinnern uns unserer Klingel: Krawing, Krawing! Die junge Dame dreht sich um und geht zur Seite. Die guckte ein bisschen angezickt, oder? Dann tut sich die endlose Weite des Rheindahlener Landes auf. Vorbei an Feldern geht’s bis zur Ortseinfahrt Rheindahlen. Google will über die Umgehungsstraße, wir aber wollen mitten durch. Das Navi zeigt dafür auch eine Alternativroute an. Nach diversen Schwenks halten wir an der Erkelenzer Straße vor einem Ortsschild: Mönchengladbachs Ende ist hier so ziemlich erreicht, dann kommt sieben Kilometer nicht viel, und danach kommt noch Erkelenz.

Radfahrers Zorn Bis jetzt ist alles super gelaufen. Kein Stress, keine rücksichtslosen Autofahrer und die Radwege aus Sicht eines Novizen völlig in Ordnung. Doch hinter der ersten Ausfahrt des Kreisverkehrs müssen wir abrupt bremsen. Weil nebenan an einem Logistikzentrum gebaut wird, haben die Bauarbeiter wohl Platznöte. Die Weiterfahrt versperrt ein Schlauch, der in einen Holzkasten auf dem Weg mündet. Sapperlot! Aber jetzt können wir endlich mitreden, wenn’s um Hindernisse für uns Radfahrer geht.

Merreter, Du meine Sehnsucht Am Horizont tun sich Häuser zwischen den Feldern auf. Merreter! Nie haben meine müden Schenkel so nach Dir verlangt! Jetzt noch über eine Brücke gestrampelt, die sich in elegantem Schwung im niederrheinischen Flachland erhebt. Der Aufstieg kostet noch einmal Kraft. Kaum ist der Scheitel überquert, rollt das Rad von alleine. Wir stehen auf dem Pedal. Der Fahrtwind zaust die schütteren Locken. Jetzt die Titanic-Nummer! Die Arme ausbreiten als wären es Schwingen, als könnten wir fliegen... Aber wer lenkt dann? Besser ich, und zwar bis zum Ortsschild Merreter. Ergriffen halten wir eine Weile inne. Eine kleine Fahrt für die Menschheit, ein großer Schritt für einen Radlosen! Noch ein Erinnerungsfoto, dann machen wir kehrt. Schließlich müssen wir das Rad noch am Elisabeth Krankenhaus abgeben.

Der Abschied Die Rückgabe ist kurz und schmerzlos. Wir schieben das Rad in eine Docking Station, drücken einen Hebel am Heckschloss – und fertig. Ein Blick in die App,  unsere „Ausleihhistorie“ wird angezeigt: Start: 11.34.00 Uhr; Ende 14.10.21. Kosten: Fünf Euro. Gegenüber hält ein Bus der Linie 19. Keine Zeit für Abschiede und Sentimentalitäten. Wir steigen ein, fahren bis Gladbach Hauptbahnhof, warten eine Viertelstunde auf die S-Bahn 8 und steigen in Lürrip aus. 14.57 Uhr. Als wir die Treppen zum Parkplatz hinuntergehen, fühlen sich die Beine etwas wackelig an.

Fazit Hat Spaß gemacht. Wir könnten öfter mal Radfahren. Wenn wir Zeit haben, wenn es nicht regnet...

Wo es Nextbike-Leihstationen in der Stadt gibt, wie die Ausleihe funktioniert und wie die Preise gestaffelt sind, wird unter  www.nextbike.de/moenchengladbach erklärt.

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