Neuer Landgerichtspräsident im Interview „Der Rechtsstaat ist gefährdet“

Mönchengladbach · Siegfried Mielke, neuer Präsident des Landgerichts, spricht über seine Aufgaben, Querulanten und Populisten.

 „Ich bin ein Ruhrgebietskind“, sagt Siegfried Mielke, der neue Präsident des Mönchengladbacher Landgerichts, über sich. Er lebt noch in Mülheim an der Ruhr.

„Ich bin ein Ruhrgebietskind“, sagt Siegfried Mielke, der neue Präsident des Mönchengladbacher Landgerichts, über sich. Er lebt noch in Mülheim an der Ruhr.

Foto: Ilgner Detlef (ilg)

Herr Mielke, Sie haben am 25. Januar Ihre Ernennungsurkunde überreicht bekommen und sind nun der neue Landgerichtspräsident. Sie kommen nicht aus Mönchengladbach. Wie nehmen Sie die Stadt wahr?

Mielke Sehr positiv. Ich habe aber erst begonnen, die Stadt kennenzulernen. Die Mitarbeiter des Landgerichts haben mich sehr freundlich und erwartungsvoll aufgenommen. In den elf Monaten ohne Präsidenten wurde das Gericht hervorragend geführt. Trotzdem wartet man mit bestimmten Entscheidungen, bis der neue Präsident da ist. Die gehe ich jetzt an und erfahre dabei viel Unterstützung aus meinem Haus.

Woher kommen Sie und wo waren Sie bisher tätig?

Mielke Ich bin ein Ruhrgebietskind und lebe auch heute noch in Mülheim an der Ruhr. Die Menschen im Ruhrgebiet  zeichnen sich durch Verlässlichkeit aus. Unter Tage mussten sich die Bergleute blind aufeinander verlassen können. Das hat mich geprägt. Während der letzten neun Jahre war ich Vizepräsident des Landgerichts Wuppertal. Die Wuppertaler sind übrigens tendenziell noch sturer als die Menschen am Niederrhein. Streitigkeiten sind oft schwer zu schlichten.  Man hat mir immer erklärt, das läge an den langen Wintern in den tiefverschneiten Tälern im Bergischen Land. (lacht)

Gibt es eigentlich Unterschiede beim Strafmaß zwischen den Gerichten? Wie groß ist der Ermessensspielraum?

Mielke Jede Kammer entscheidet in Würdigung des Einzelfalls. Es gibt einen großen Spielraum bei Strafsachen, denn es geht nicht nur um die Tat, sondern auch um die Hintergründe. Nicht im Einzelfall, aber in der Statistik kann man tatsächlich gewisse Trends feststellen. Trunkenheitsfahrten beispielsweise scheinen auf dem Land tendenziell strenger bestraft zu werden als in der Großstadt. Wissenschaftlich ist das aber nicht ausreichend untersucht.

Welche Aufgaben hat ein Landgerichtspräsident und was haben Sie in Ihren ersten Arbeitstagen getan?

Mielke Kernaufgabe des Präsidenten ist es, sich um das richterliche Personal zu kümmern. Dazu gehören die Auswahl und die Personalentwicklungsplanung. Die Beurteilung junger Kollegen ist Teil der Aufgabe, aber auch die Frage, wo wer bestmöglich eingesetzt wird. Außerdem liegt die Verantwortlichkeit für die Rahmenbedingungen beim  Präsidenten, also zum Beispiel für Bau- und Sanierungsarbeiten, Möbel oder die Ausstattung der Bibliothek. In die Arbeit  in Mönchengladbach steige ich langsam ein. Ich habe sehr viele Kennenlerntermine im Kalender, rede mit den Mitarbeitern, höre zu und stelle mich den Gremien vor.

Dann sind Sie nicht mehr als Richter tätig?

Mielke Doch, die richterliche Tätigkeit möchte ich nicht missen. Es ist üblich, dass Präsidenten selbst als Richter tätig sind. Dadurch wird Augenhöhe mit den Kollegen gesichert. Das hat sich bewährt. Ich selbst bin Vorsitzender der 4. Zivilkammer, einer von zwei Kammern, die über Berufungen gegen Urteile der Amtsgerichte aus unserem Bezirk entscheiden.

Gab es in Ihrer bisherigen Laufbahn Verfahren, die besonders eindrücklich waren? Die Sie so schnell nicht vergessen?

Mielke Da fallen mir zwei Prozesse ein. Der erste ist ein Schmerzensgeldprozess, den eine vergewaltigte Frau anstrengte und der mit einer historisch hohen Schmerzensgeldsumme endete, nämlich 100.000 Euro. Das werde ich nie vergessen. Der zweite Fall begegnete mir als Jugendrichter in Düsseldorf. Es war ein Prozess gegen einen Fußballtrainer, der ihm anvertraute Jugendliche missbraucht hatte. Das ist mir sehr nahe gegangen.

Respektlosigkeit gegen Polizeibeamte oder Feuerwehrleute macht sich immer mehr breit. Ist das auch vor Gericht ein Problem?

Mielke Das ist höchst selten. In der Situation vor Gericht haben sich die Emotionen meist schon gelegt. Falls es tatsächlich vorkommt, wirken die Wachtmeister mäßigend ein. Was uns eher beschäftigt, ist der Schriftverkehr mit Querulanten. Ein Beispiel: ein pensionierter Beamter bekommt einen Bußgeldbescheid und weigert sich, die Gebühren zu bezahlen. Er beschäftigt Zeitungsredaktionen, das Amtsgericht, die Gerichtsverwaltung und mit einer Petition sogar den Landtag. Dabei geht es um insgesamt 28 Euro. In solchen Fällen fehlt es oft an Dialogbereitschaft. Es ist kein massives Problem, aber es bindet Arbeitskraft.

Stimmt es, dass immer mehr Fälle vor Gericht landen? Sind wir eine Nation von Rechthabern?

Mielke Es gibt tatsächlich eine Tendenz zur Verrechtlichung. Andere Streitschlichtungsmechanismen wie die Mediation setzen die Bereitschaft zum Dialog voraus. Menschen gehen heute oft direkt vor Gericht in der Erwartung, der andere sei nicht einigungsbereit. Es gibt zum Teil erbitterte Streitigkeiten um Kleinigkeiten. Aber das ist eigentlich nichts Neues. Ein Teil der Menschen hat schon immer den Streit um des Prinzips willen gesucht. Das Sprichwort „Fiat iustitia et pereat mundus“,  also: es soll Gerechtigkeit geschehen, und wenn die Welt darüber zugrunde geht, ist schon sehr alt. Diese Haltung gab es schon immer. Aber wir haben vielfältige andere Möglichkeiten als Gerichtsverfahren, um Streitigkeiten zu schlichten.

Welche Möglichkeiten der Streitschlichtung gibt es?

Mielke Es gibt Schiedsleute, Schlichtungsstellen und in Gerichten auch die Mediation. Die Mediation endet in mehr als der Hälfte der Fälle erfolgreich. Sie stiftet letztendlich mehr Rechtsfrieden als ein Urteil, denn es gibt keine Verlierer. Für Menschen, die in langfristigen Beziehungen zueinander stehen, ist die Mediation oft das bessere Verfahren. Bei Erbstreitigkeiten in Familien zum Beispiel. Wir haben speziell für die Mediation fortgebildete Richter. Scheitert das Mediationsverfahren, kann immer noch ein Prozess geführt werden, aber bei einem anderen Richter. Bisher wird die Mediation aber nicht so häufig in Anspruch genommen. Die Fallzahlen sind verhältnismäßig gering.

Gesetze werden immer wieder überarbeitet, angepasst oder durch neue ersetzt. Gab es schon einmal eine Veränderung, die Sie besonders gefreut hat?

Mielke Nein. Ich habe vielleicht eine private Meinung zu einem Sachverhalt, aber die hat im Amt nichts zu suchen. Als Richter haben wir dem Gesetz die Treue geschworen und bewegen uns innerhalb der Spielräume, die das Gesetz lässt. Allerdings werden mit der zunehmenden Komplexität der Welt auch die Gesetze immer schwerer zu verstehen. Es bleibt manchmal Klärungsbedarf. Und dann freuen sich Richter über Klarstellungen durch den Gesetzgeber oder durch Grundsatzurteile.

Welche Themenfelder werden für Ihre Tätigkeit in Zukunft besonders wichtig?

Mielke Da sehe ich drei Gebiete, die in den Fokus rücken. Zum einen die Digitalisierung der Justiz. Man wird zwar auch in naher Zukunft nicht per Email Klage erheben können, aber  Akten müssen digitalisiert werden. Der Prozess hat begonnen und muss bis 2026 abgeschlossen sein. Der zweite Punkt ist die Nachwuchsgewinnung in allen Dienstzweigen. Es droht Fachkräftemangel in einem Bereich, dessen Arbeit für die Gesellschaft entscheidend  ist. Der dritte Punkt ist die Werbung für den Rechtsstaat. Der Rechtsstaat ist gefährdet. Es gibt bar jeder Rechtskenntnis Anfeindungen von gerichtlichen Entscheidungen. Populisten untergraben das Vertrauen in den Rechtsstaat. Das macht mir Sorge. Wir müssen das Vertrauen der Bürger durch maximale Offenheit und Transparenz gewinnen.

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