Interview „Seestadt klingt nach Disneylandkulisse“

Mönchengladbach · Der Bezirksvorsteher spricht über den Hardterbroicher Markt, die Neubauprojekte in seinem Bezirk Ost und die größten Baustellen.

 Für Hermann-Josef Krichel-Mäurer heißt der Stadtteil Pesch immer noch Pesch und nicht Seestadt.

Für Hermann-Josef Krichel-Mäurer heißt der Stadtteil Pesch immer noch Pesch und nicht Seestadt.

Foto: Reichartz,Hans-Peter(hpr)

Herr Krichel-Mäurer, erklären Sie uns doch mal, was den Bezirk Ost schön macht.

Krichel-Mäurer Wie die ganze Stadt Mönchengladbach ist der Bezirk Ost  schön, man muss die Schönheit nur erkennen und zu schätzen wissen. Es gibt von der Donk bis Schelsen eine wunderbare Landschaft und viele engagierte und hilfsbereite Menschen.

Der Bezirk Ost ist durch seinen Zuschnitt speziell, weil er unterbrochen ist. Können Sie Zugereisten den Osten, der gar nicht nur im Osten liegt, erklären?

Krichel-Mäurer Der Bezirk Ost fasst die ehemaligen Bezirke Neuwerk, Volksgarten und Giesenkirchen zusammen. Er hängt räumlich nicht zusammen. Ich habe 2008 gegen den Zuschnitt geklagt, weil ich ihn nicht für sachgerecht gehalten habe, aber jetzt arbeite ich damit. Ich sehe den Osten als eine Sammlung sympathischer Bezirke und Honschaften, wobei mancher Giesenkirchener in Abwandlung des Udo-Jürgens-Hits singt: „Ich war noch niemals in Neuwerk…“ Aber das ist überall so. Ein Schelsener sieht sich als Schelsener, ein Bettrather als Bettrather. Jeder Stadtteil hat seine eigenen Traditionen und Liebenswürdigkeiten. Selbst die Schützenvereine sind überall unterschiedlich und haben andere Strukturen und Bezeichnungen. Besonders in Neuwerk und Giesenkirchen ist vieles uralt gewachsen. Im Volksgarten waren dagegen manche Strukturen jahrelang verschollen.

Der Volksgarten hat gerade sein 125-jähriges Bestehen gefeiert.

Krichel-Mäurer Ja, und dabei wurde deutlich, wie viel in den letzten Jahren an Vernetzung stattgefunden hat. Pesch zum Beispiel ist praktisch wiederbelebt worden. Ralf Horst hat da eine großartige Netzwerkarbeit mit mehr als 25 Organisationen geleistet. Schon vorher hat die evangelische Kirchengemeinde mit der Gründung vom 55+ mehr als 200 Leute mobilisiert. Die Multiplikatoren in Pesch sind im Runden Tisch organisiert. Das Ganze ist eine tolle Leistung, durch die vorhandene Ressourcen gehoben werden können, wie man jetzt beim Jubiläumsfest sehen konnte.

Welches sind Ihre Lieblingsorte im Stadtbezirk?

Krichel-Mäurer Ich liebe es, im Herbst von der Peter-Krall-Straße aus den mit Buchen gesäumten Waldweg zur Kleingartenanlage „Am Stammen“ entlangzugehen. Man hat das Gefühl, durch eine Kathedrale zu gehen. Den Niersgrünzug mit dem Rad entlang zu fahren, ist ebenfalls ein Erlebnis. Schade, dass Gladbach touristisch so wenig daraus macht. Und wenn man abends auf einer Bank am Volksgartenweiher sitzt und ein bisschen Geduld hat, kann man wunderbare Beobachtungen auf der Insel machen und sogar Eisvögel sehen.

Stichwort Volksgartenweiher: Die Brücke zur Insel ist immer noch gesperrt. Wann wird sich das ändern?

Krichel-Mäurer Gar nicht. Es wäre mit Kosten in sechsstelliger Höhe verbunden, die Wege auf dem sumpfigen Gelände herzurichten, und wir würden viel von dem zerstören, was sich dort inzwischen entwickelt hat. Statt das Naturleben zu beobachten, könnten wir dann wieder Lkw-weise Müll von der Insel schaffen. Die Brücke steht unter Denkmalschutz, und wir haben sie saniert, weil sie als Jugendstilelement erhalten bleiben soll.

Was sind die größten Baustellen im Bezirk Ost?

Krichel-Mäurer In Neuwerk und Giesenkirchen ist eine Reihe von Projekten in der Umsetzung. Am massivsten ist es sicher im Volksgarten. Dort entsteht einerseits die City Ost, andererseits wird das Reme-Gelände bebaut. Letzteres habe ich 2013 als Wohngebiet ins Gespräch gebracht und bin zuerst ausgelacht worden. Das wird in Kombination mit der Renaturierung des Gladbachs und der Nähe zur S-Bahn-Station ein attraktiver Wohnstandort.

An welchen Orten im Bezirk sehen Sie weiteren Handlungsbedarf?

Krichel-Mäurer Ich neige dazu, erst einmal die genannten Dinge abzuarbeiten, die schon begonnen wurden. Das wird uns noch lange beschäftigen. Dann gibt es beispielsweise in Bettrath ein Gelände parallel zur Hansastraße, wo ursprünglich mal eine Umgehungsstraße geplant war. Dort müssen wir jetzt über die Entwicklung nachdenken.

Jahrelang ist nichts am Hardterbroicher Markt passiert, jetzt wird er Thema im Rat. Was erwarten Sie von Politik und Verwaltung?

Krichel-Mäurer Es ist Zeit, die Situation neu zu bewerten. Schon Jahre vor der Insolvenz hat der Investor auf mich nicht mehr den Eindruck gemacht, dass er das Projekt noch mit wirklicher Ernsthaftigkeit verfolgt. Es darf aber nicht sein, dass sich ein Investor städtische Grundstücke einlagert, ohne die damit verbundenen städtebaulichen Ziele umzusetzen. Dann würden diese Grundstücke zur Spekulationsmasse. Wenn es sein muss, muss versucht werden, die Verträge rückabzuwickeln und in anderen Konstellationen neu anzufangen.

Es gibt doch einen städtebaulichen Vertrag, der den Investor verpflichtet hat, das Konzept bis Ende 2015 umzusetzen. Warum ist trotzdem nichts passiert? Hat die Stadt weggeschaut? Muss die Vertragsstrafe greifen?

Krichel-Mäurer Verträge müssen eingehalten werden! Vertragsstrafen auch, sonst braucht man sie nicht zu vereinbaren. Ich frage seit Jahren in regelmäßigen Abständen bei den Verantwortlichen nach, warum hier nicht eingeschritten wird. Eine zufriedenstellende Antwort erhalte auch ich nicht. Möglicherweise hat dieses Projekt in der Verwaltung nicht die gleiche Priorität wie andere Projekte in dieser Stadt.

Wohin kurzfristig mit der Kita Mummpitz?

Krichel-Mäurer Es ist für mich unerträglich, wie hier Investoreninteressen auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden. Als Stadt müssen wir für die Kinder gegebenenfalls eine Unterbringung auf anderem Wege sichern. Den Konflikt zwischen Träger und Investor können wir allerdings nicht lösen.

Als politische Baustelle ist die Kinderbetreuung auszumachen. Wird genug getan? Werden die Investoren eingebunden?

Krichel-Mäurer Wir haben im Bezirk Ost viel für die Kinderbetreuung getan, haben auch aus der Bezirksvertretung heraus aktiv interveniert und initiiert. Beispiele sind Hephalino und die Waldkindergärten. Aber es ist natürlich ein Dauerthema, da wir ja durch die großen Bauprojekte mit einem größeren Einwohnerzuwachs rechnen. Auch in der City Ost oder auf dem Reme-Gelände werden Einrichtungen entstehen.

Sie sprechen immer von der City Ost. Gefällt Ihnen der neue Name Seestadt nicht?

Krichel-Mäurer Seestadt ist ein Arbeitstitel, der für mich ein bisschen nach Disneylandkulisse klingt. Der Stadtteil heißt immer noch Pesch. Im Übrigen werden Namen von Stadtteilen politisch beschlossen und nicht nach ein paar Glas Wein auf der Immobilienmesse in Cannes. Seestadt wird nicht auf dem Ortsschild stehen. Generell ist das Projekt aber gut, die Situation hinter dem Bahnhof hat sich viele Jahre lang negativ entwickelt. Das ändert sich jetzt. Eine Verteilung auf mehrere Investoren wäre mir lieber gewesen. Catella ist ein Top-Unternehmen. Top war aber auch vor Jahrzehnten die Gladbau. Nachdem deren Häuser regelmäßig in neue Hände kamen, bleibt heute nur noch der Eindruck der Renditen-Jägerei zu Lasten der Mieter. Hoffentlich bleiben Catella oder die Folgeeigentümer so, wie sie sich heute darstellen.

Befürchten Sie durch die vielen geplanten Wohneinheiten nicht eine zu starke Verdichtung im Bezirk?

Krichel-Mäurer Ich achte schon auf unsere innerstädtischen Grünachsen. Entsprechendes ist ja auch in der City Ost und auf dem Reme-Gelände vorgesehen. Wir müssen die Freiräume erhalten, aber es ist auch sinnvoll, in der Stadt zu verdichten. Wohnen in der Stadt kann das Pendeln ersetzen, durch die S-Bahn-Anbindung wird ein Auto überflüssig. Zudem verfügt der Volksgarten über riesige Grünflächen. Man kann durch und rund um die Stadt wandern und dabei immer im Grünen bleiben. Wir haben diese Verbindungen zu wenig im Fokus, wir müssen sie stärker verknüpfen und ausschildern. Zum öffentlichen Grün gehören übrigens auch die Kleingartenanlagen.

Der Masterplan Stadtteil zeigt auf, dass es ein generell geringes Nahversorgungsangebot in den Randbereichen der Stadtteile gibt. Wie wollen Sie dieses Problem lösen?

Krichel-Mäurer Der Masterplan Stadtteile ist in der vorliegenden Form noch nicht sehr hilfreich, er ist verkopft und hat nur den Außenblick. In Bungt beispielsweise soll laut Masterplan eine Schule fehlen. Dort stehen 40 Häuser, aber 10.000 Bäume. Da würde höchstens eine Baumschule Sinn machen. Es wird dringend Zeit, hier den Blick aus der Sicht der Bürgerinnen und Bürger aufzunehmen. Nahversorgungsangebote müssen wir natürlich bei der Entwicklung der Stadtteile im Blick haben, aber sie müssen integriert sein. In Giesenkirchen beispielsweise ist das nicht gut gelungen, weil die Fußgängerzone von den Discountern getrennt ist. In Hardterbroich sollte der Hardterbroicher Markt entstehen. Es gibt dort jetzt zwar Supermärkte, aber auf den Marktplatz mit Aufenthaltsqualität warten wir noch vergebens.

Sie wurden 2004 zu ersten Mal zum Bezirksvorsteher gewählt, 2009 per Losentscheid zum Bezirksvorsteher bestimmt, 2014 wurden Sie wiedergewählt. Macht Ihnen das Amt  noch Spaß?

Krichel-Mäurer Es macht heute noch mehr Spaß als am Anfang. Ich lerne täglich dazu. Nach 35 Jahren in der Kommunalpolitik gibt es natürlich einen gewissen Verschleiß, aber die Erfolgserlebnisse motivieren. Wenn sich nach jahrelangem Engagement eine Lösung für ein Problem findet, ist das ein tolles Gefühl.

Können Sie sich vorstellen, als OB-Kandidat  anzutreten?

Krichel-Mäurer Definitiv nein! Mit dann 58 Jahren sehe ich mich nicht als Zukunftsoption. Ich habe klare Vorstellungen von demjenigen, der die Qualifikation, die Bürgernähe und den jugendlichen Elan mitbringt, um diese Stadt sehr erfolgreich zu führen.

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