Kolumne Denkanstoß Billig muss es sein

Mönchengladbach · Unser Autor warnt vor dem eigentlichen Preis, den wir für Billig-Textilien zahlen.

 Eine Textilfabrik in Bangladesch.

Eine Textilfabrik in Bangladesch.

Foto: dpa/Nick Kaiser

Vorgestern erst wieder auf der Titelseite dieser Zeitung: Überquellende Altkleider-Container. Eigentlich ja eine gute Idee: Das, was mir nicht mehr passt, an Menschen weitergeben, die sich vielleicht nicht immer den letzten Schrei aus den Mode-Boutiquen leisten können. Außerdem leert sich damit mein Kleiderschrank, der eh schon chronisch aus den Nähten zu platzen droht. Also eigentlich eine klassische „win-win-Situation“ – es gibt nur Gewinner – auf allen Seiten. Sollte man meinen. Doch die Wirklichkeit des Jahres 2019 sieht leider anders aus: Auf der einen Seite überquellende Altkleider-Container – auf der anderen Seite eine Billig-Textil-Industrie, die im Chaos zu versinken droht.

Von 1960 bis heute sei der Textil-Müllberg um 811 Prozent angestiegen, sagt eine Studie. Unfassbar! Gut die Hälfte der abgegebenen Altkleider sei noch verwendbar. Soweit der gute Teil der Nachricht. Was mich aber erschrocken hat: Der Anteil der Altkleider, die zu absolut nichts mehr zu verwerten seien (also noch nicht einmal mehr als Putzlumpen) steige rapide an – so die schon zitierte Studie. Das liege am immer höher werdenden Anteil von Kunstfasern – und das wiederum werde hervorgerufen durch den immer höher werdenden Preisdruck auf dem Textil-Weltmarkt. Klar: denn irgendwie muss das Ein-Euro-T-Shirt ja auch produziert und finanziert werden. Qualität: Fehlanzeige. Die ist aber ja scheinbar auch gar nicht mehr erforderlich – denn: Das Billig-T-Shirt sieht nach einem Tragen  bestenfalls einen Altkleider-Sack, meistens einfach die Mülltonne, ganz selten aber noch eine Waschmaschine. Billig muss das alles sein – und das ist nicht unbedingt preiswert. Und wir wundern uns über rasant steigende Textil-Müllberge. Das ist der Preis, den wir tatsächlich für Billig-Textilien zahlen. Der Preis ist aber eigentlich noch viel höher, wenn wir auf den Beginn der Produktionskette schauen: Fabriken in Fernost, die nicht einmal den Mindest-Standards in Sachen Sicherheit entsprechen und Produktionsbedingungen, die ganze Landstriche im Gift der Textilfabriken ertrinken lassen. Qualität kostet eben – entweder Geld oder Menschenleben…

Mönchengladbach und die ganze Region ringsum ist zurecht stolz auf eine großartige Textil-Tradition. Mein Vater arbeitete in einer solchen Firma, die in Nettetal Samt herstellte. Und ich kann mich noch gut daran erinnern, welche enormen Anstrengungen dort unternommen wurden, um eine gleichbleibend hohe Qualität der aus Baumwolle gefertigten „Königin der Stoffe“ zu gewährleisten. Manche behaupten bis heute, daran sei nicht nur dieses Unternehmen schlussendlich zugrunde gegangen. Weil es eben am anderen Ende der Welt andere gab, die das alles viel billiger hinbekamen. Billiger eben – nicht unbedingt preiswerter. Und den wahren Preis beginnen wir heute so langsam zu erahnen: Mikroplastik, das sich in unvorstellbaren Mengen überall auf der Welt niederlässt. Textile Müllberge, deren wir kaum noch Herr werden… Vielleicht haben die überquellenden Altkleider-Container ja auch bei Ihnen einen Denkanstoß ausgelöst: Die nächste Shopping-Tour ist vielleicht gar nicht erforderlich, weil es die „alten“ Klamotten noch gut tun. Oder den Blick wieder eher auf saubere Qualität statt nur auf den Preis zu schauen. Oder der Weg führt nicht in eine hippe Boutique – sondern in den Second-Hand-Laden im Viertel. Wo dann gute Qualität durchaus auch noch einmal zu einem zweiten oder sogar dritten Leben erwachen kann.

Solche Überlegungen sind aus meiner Sicht genauso wichtig und nachhaltig wie die zu den Themen Energiegewinnung und Mobilität der Zukunft. Denn eines ist sicher: Wenn es um eine gute Zukunft unseres Planeten geht, dann muss es auch um unsere Hinterlassenschaften gehen. Und dafür ist letztlich jeder selbst verantwortlich. Sei es für den höchst überflüssigen „Coffee-to-go-Becher“ oder das genauso überflüssige Billig- „Einweg-T-Shirt“…

Der Autor ist katholischer Pfarrer in Sankt Jakobus Jüchen.

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