Denkanstoß zu Heiligabend in Mönchengladbach Bei der Krippe noch mal neu anfangen

Mönchengladbach · Das Jahr 2021 hat für Pfarrer Olaf Nöller viele bedrückende Bilder bereitgehalten. Umso wichtiger sind Bilder, die guttun – etwa jenes von der Geburt Christi und der „Anbetung der Hirten“. Unser Autor schreibt über himmlische Ruhe, wo eben noch Sorgen drückten.

 Gerrit van Honthorst, Anbetung der Hirten, 1622, Öl auf Leinwand, Wallraf-Richartz-Museum in Köln. Das Gemälde hängt dort in Saal 2 der Barocksammlung mit weiteren Gemälden, die Krippenszenen zeigen.

Gerrit van Honthorst, Anbetung der Hirten, 1622, Öl auf Leinwand, Wallraf-Richartz-Museum in Köln. Das Gemälde hängt dort in Saal 2 der Barocksammlung mit weiteren Gemälden, die Krippenszenen zeigen.

Foto: RBA Köln

Mal ehrlich: Sind Sie auch ausgelaugt und erschöpft? Das liegt ja nicht nur an der Corona-Pandemie, die uns immer wieder einholt und zwischenzeitlich geschöpfte Hoffnungen über den Haufen wirft. Es ist auch sonst 2021 so vieles passiert. Bedrückende Bilder wühlen in meinem Kopf: Von der Erstürmung des Kapitols in Washington am 6. Januar; von der schrecklichen Flut im Juli, die so viele Landsleute in Not und Verzweiflung stürzte; unfassbare Szenen am Kabuler Flughafen, als die Taliban zurückkehrten… Dazu habe ich selbst so manches Weinen gesehen, als ich leider viel zu oft auf dem Friedhof war. Und jetzt nehmen bei den Beerdigungen die Corona-Opfer wieder zu – kontrastiert von den Bildern Demonstrierender, die überzeugt sind, sie lebten in einer „Corona-Diktatur“. Ich finde das echt anstrengend!

Ist es nicht höchste Zeit, mal den Kopf frei zu kriegen? Ich jedenfalls brauche Bilder, die mir guttun, die mir Mut machen, mich neu motivieren all dem, was auf einen eindringt, tapfer zu widerstehen und auch die Ängste vor Krankheit und Tod im Zaum zu halten. Als ich kürzlich in meiner Materialsammlung herumstöberte, um mich auf eine Adventsfeier vorzubereiten, da fiel mir die Abbildung eines Gemäldes in die Hand, das im Wallraff-Richartz-Museum zu Köln hängt. Es heißt „Anbetung der Hirten“ und stammt von dem niederländischen Maler Gerrit van Honthorst. 1622 wurde es gemalt, als der Dreißigjährige Krieg in Europa wütete und entsetzliche Bilder produzierte.

Mich fasziniert, wie es dem Künstler gelingt, das Wunder aller Wunder darzustellen! Er scheut nicht den Kontrast. Völlig realistisch gibt er die erbärmliche Situation von Menschen wieder, die bislang in ihren Lebensnöten gefangen waren. Da ist die dreiköpfige Flüchtlingsfamilie, die auf Geheiß eines Diktators in Rom ihre Heimat in Galiläa verlassen musste und nun in Judäa unter Fremdenfeindlichkeit leidet. Ihr Kind bringt die blutjunge Maria, die einen wesentlich älteren Verlobten hat, in einer Notunterkunft zur Welt. Auf Stroh ist das Neugeborene gebettet. Tiere spenden Wärme, damit es nicht erfriert. Daneben raue Gestalten, neugierig herbeigeeilte Hirten, die damals zu den „Underdogs“ gehörten, gesellschaftliche Randsiedler, Parias, denen jeder normale Bürger aus dem Weg ging.

Diese bunte Mischung ist vereint in der Begeisterung für ein Baby, dass der Maler in überirdischem Licht aufleuchten lässt. Es erhellt die Finsternis derer, die bislang kaum was zu lachen hatten. Die Gesichter sind freudig-entspannt. Da wo eben noch Sorgen drückten, wo geflucht und geschimpft wurde auf „die da oben“, macht sich himmlische Ruhe breit.  Alle sinnieren, nur aus dem Jüngsten platzt es heraus. Vermutlich begreift er gerade, dass wahr ist, was der Engel Gabriel über den dunklen Feldern von Bethlehem gerufen hat: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ (Lukas 2,10f).

Wer so malt, den muss diese Botschaft auch gepackt haben. Und auch mich lässt sie nicht los. Sie berührt mich umso mehr, je älter ich werde. Ich möchte sie in unsere Zeit hinein buchstabieren. Was für kraftvolle Bilder, die Lukas mit Worten malt, was für eine durchschlagende Nachricht: Der Ewige scheut sich nicht davor, unser Fleisch und Blut anzunehmen! In seiner radikalen Liebe kommt Gott in Israel zur (ganzen) Welt! Darüber den Kopf zu schütteln, dass Gott nicht „oben“ im Himmel sondern „unten“ bei den Menschen gefunden werden will, das ist völlig okay. Es könnte die Gottesfrage, die für einen selbst schon abgehakt war, noch einmal aufwerfen. Martin Luther spürte das auch. Er stellt fest: „Wir fassen keinen anderen Gott als den, der in jenem Menschen ist, der vom Himmel kam. Ich fange bei der Krippe an.“

Olaf Nöller ist evangelischer Pfarrer in Rheydt.

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