Kolumne Denkanstoß Mit dem Tode umgehen ist die Schule des Glaubens

Mönchengladbach · Die Corona-Pandemie hat bei Bestattungen oft das würdige Abschiednehmen verhindert, schreibt unser Autor. Gerade jüngeren Menschen gibt ein Trauergottesdienst Wichtiges mit auf den Weg.

 „Mit dem Tode umgehen ist die Schule des Glaubens“, sagte Martin Luther. Grabfigur auf dem Ev. Friedhof Rheydt.

„Mit dem Tode umgehen ist die Schule des Glaubens“, sagte Martin Luther. Grabfigur auf dem Ev. Friedhof Rheydt.

Foto: Olaf Nöller

Irgendwie und irgendwo hat uns das vermaledeite Corona-Virus doch alle erwischt! Auch wer sich nicht infizierte bekommt trotzdem damit zu tun. Covid-19 hat unser Leben verändert, und wir sind lange noch nicht „an Schmitz Backes vorbei“, wie meine Oma gesagt hätte. Eine befreundete Ärztin im Raum Köln erzählte mir kürzlich, sie habe jetzt verstärkt mit jungen Leuten zu tun, denen es richtig schlecht ginge… Es sieht also so aus, als würden die Viren nicht so schnell wieder von uns weichen. Wichtig erscheint mir darum, bewusst zu reflektieren, was das mit uns macht. Ich denke dabei auch an die Auswirkungen der Pandemie auf unsere Bestattungs- und Trauerkultur.

Ja, im zurückliegenden Jahr ging mir das oft unter die Haut, wenn Hinterbliebene berichteten, dass sie über Monate Angehörige und Freunde nicht besuchen oder im Sterbeprozess begleiten konnten. Gerade das würdige Abschiednehmen wurde so verhindert. Bei allem Verständnis für Krankenhäuser und Pflegeheime, das hinterließ manchen Druck auf der Seele. Und dann die Abläufe der Beerdigungen selbst! Offen gestanden: Ich war immer Gegner der „Bestattung in aller Stille“. Zu oft beobachtete ich, wie enttäuschend es für scheinbar Außenstehende war, wenn Angehörige den Tod privatisierten. Sie ahnten oft nicht, wie viele Spuren der Verstorbene auch im Leben anderer hinterlassen hatte.

Jetzt, in den Corona-Zeiten, werden Beerdigungstermine wie „Staatsgeheimnisse“ behandelt. Sie werden erst bekannt gegeben, wenn die Beerdigung bereits stattgefunden hat. Die Teilnehmerzahlen wurden begrenzt, die Trauerhallen auf städtischen Friedhöfen sind verschlossen, so dass ich dort mit Trauernden im strömenden Regen stehen oder bei klirrender Kälte schlottern musste. Aber auch das sage ich ohne Vorwurf, denn Hygieneschutz ist wirklich unabdingbar – dafür habe ich zu viele Menschen bestatten müssen, die an und mit Corona starben. Aber wir müssen auch dessen bewusstwerden, was wir zu verlieren drohen!

Zum einen sind es die Bestattungsrituale, in denen sich über lange Zeit Erfahrungen verdichtet haben. Sie trösten, geben Rückhalt und helfen, diesen oft schwersten aller Momente im Leben durchzustehen. Der Trauergottesdienst, er schließt etwas ab, aber er öffnet auch neue Türen – an einem Krisen- und Wendepunkt des Lebens! Zum anderen: Ist es nicht ein Jammer, dass derzeit so viele wundervolle Menschen mehr oder weniger sang und klanglos begraben werden? Die bewegten Lebensgeschichten, die ich im Trauergespräch zu hören bekomme, sie sind oft so kostbar, dass es lohnt, sie in der Predigt noch einmal zu verdichten und im Licht des Wortes Gottes zu betrachten.

Was mir in 35 Jahren Dienst gerade bei Beerdigungen an menschlicher Größe begegnet ist, erfüllt mich mit Respekt und Demut. Es hat meine eigene Lebenshaltung beeinflusst, wenn ich erfuhr, was Menschen in Kriegszeiten oder Lebenskrisen tapfer durchgestanden und in mutiger Verantwortungsbereitschaft bewältigt haben. Oft war der Glaube letzter Halt vor dem Sturz in die Sinnlosigkeit. Das alles im Trauergottesdienst noch einmal zu bündeln stärkt in der Trauergemeinde die Dankbarkeit und relativiert auch eigene Fragen und Sorgen. Gerade jüngeren Menschen gibt es Wichtiges mit auf den Weg, das ihnen Ermutigung sein kann, sich selber Widerständen des Lebens zu stellen.

Geht da zurzeit etwas verloren? Ich hoffe, meine Sorge ist übertrieben! Es ist Tatsache, dass das Thema Sterben und Tod in unserer modernen Gesellschaft oft beiseitegeschoben wird. Allerdings entlarvt die Pandemie gerade jene Illusion des modernen westlichen Menschen, alles sei planbar und machbar, und wir hätten unsere Geschicke selbst in der Hand. In Wahrheit sind wir – trotz aller Gestaltungsmöglichkeiten, die wir hierzulande reichlich haben – immer auch zerbrechliche Geschöpfe, die jeden Tag aus dem Verkehr gezogen werden können. Ist das ein Grund Trübsal zu blasen? Ich denke nicht! Unser Abgang muss ja – Gott sei Dank! – nicht ohne die kühne Hoffnung sein, dass es seine unsterbliche Liebe gibt, die uns auch dann noch nicht preisgibt, wenn kein anderer mehr an uns denkt.

Olaf Nöller ist evangelischer Pfarrer in Rheydt.

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