Kolumne Denkanstoß Zwischen Unsicherheit und Freiheit

Mönchengladbach · Je mehr wir uns dem Coronavirus anpassen, umso größer werden unsere Freiheiten, schreibt unser Autor. Denn der Mensch musste von Beginn an lernen, sein Leben den Umständen anzupassen.

 Auch Corona-Tests gehören zu unserem neuen Alltag.

Auch Corona-Tests gehören zu unserem neuen Alltag.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Wusste bereits Joachim Ringelnatz um die Corona-Pandemie? Zumindest hat er ein Diktum geprägt, das gleichsam als Überschrift für das Jahr 2020 gelten kann: „Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.“ Denn welche Haltung wir auch immer dem Virus gegenüber einnehmen, ob wir ihm leichtsinnig oder schwermütig, unbekümmert oder ängstlich, rational oder emotional begegnen, uns vereint die große Unsicherheit. Denn alle privaten und beruflichen, politischen und gesellschaftlichen Zukunftspläne müssen wir in diesem Jahr mit einem großen Fragezeichen versehen. Weil niemand weiß, in welche Richtung sich das Infektionsgeschehen entwickelt und welche Auswirkungen dies auf unseren Alltag haben wird.

Was gerade noch als sicher galt, kann kurz darauf bereits Makulatur sein. Doch Zukunft zu planen und zu gestalten, das zählt zu den konstituierenden Dimensionen des Menschseins, zudem erfahren wir darin die Konkretisierung unserer Freiheit! Aus den Erfahrungen von Gestern im Heute das Morgen zu entwerfen, durch diese Fähigkeit haben wir die Erde erobert; ist die Menschheit dahin gekommen, wo sie heute steht. Daher erleben wir die momentane Planungsunsicherheit so schmerzhaft; erfahren sie als eine Einschränkung unserer Möglichkeiten und als Begrenzung unserer Freiheit.

Aber von Beginn an musste der Mensch auch lernen, sein Leben den realen Bedingungen und Umständen anzupassen. Da konnte der Wunsch, mit wenig Kleidung auszukommen, noch so groß sein, die Kälte der Arktis ließ diesen rasch zerplatzen. Da mochte man noch so sehr das morgendliche Bad ersehnen, beim Zug durch die Wüste blieb die Sehnsucht unerfüllt. Ohne diese Anpassungsfähigkeit ist der Siegeszug der Menschheit nicht vorstellbar. Wir konnten und können rund um die Erde siedeln, weil wir uns auf die unterschiedlichsten Bedingungen einstellen können. Ob die Hitze in Afrika oder die Kälte der Arktis, ob die Weite der Wüsten oder das Dickicht des Dschungels, nichts konnte unsere Spezies auf Dauer aufhalten, abhalten, weil wir immer die angemessene Antwort   – allen Widrigkeiten zum Trotz – gefunden haben. Letztlich gilt dies für das Leben selbst, denn in unserem persönlichen Reifen hat jedes Alter sowohl seine Möglichkeiten als auch seine Begrenzungen, sowohl seine Freiheiten als auch seine Einschränkungen.

Herausforderungen können nur gemeistert werden, wenn wir die jeweiligen Gegebenheiten annehmen und in und mit ihnen unsere Möglichkeiten leben.

Vieles ist unsicher geworden, Corona vermag unsere Pläne, unsere Zukunft zu durchkreuzen. Das Adjektiv sicher ist sehr früh aus lat. securus entlehnt worden, dieses wiederum kommt von lat. cura „Sorge Pflege“; sicher  bedeutete also ursprünglich: „frei von/ohne Sorge zu sein“. Je mehr wir lernen, unser Verhalten dem Virus anzupassen, umso kleiner werden unsere Sorgen mit ihm und umso größer werden unsere Freiheiten. Diese Sicherheit schenkt uns die Zeit mit Corona, es gelingt dort, wo wir miteinander verantwortlich umgehen und füreinander die Probleme lösen. „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.“ Vielleicht hilft uns das Virus, diesen Zuruf Gottes wieder besser zu verstehen. Heilige Corona, bitte für uns!

Klaus Hurtz, Pfarrer in St. Marien, Rheydt und im Trostraum St. Josef Grabeskirche.

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