Kolumne Denkanstoss Kraft im Umgang mit der Angst

Mönchengladbach-Rheydt · Die Pandemie führt auch in Mönchengladbach zu Angstreizen, auf die man verantwortungsvoll reagieren kann. Laut Pfarrer Dedring kann göttlicher Trost dabei helfen. Das ist auch gerade im Zuge der Corona-Krise relevant.

 Stephan Dedring, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Rheydt

Stephan Dedring, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Rheydt

Foto: Bauch, Jana (jaba)

Angst ist eine schützende Einrichtung in Gottes Schöpfung. Tiere reagieren bei Angst unterschiedlich: Eichhörnchen laufen weg in die Kronen der Bäume, Gänse mit Küken werden aggressiv, Igel rollen sich zusammen und warten stachelig ab. Wenn manchmal Tiere nicht sofort instinktiv zwischen Flucht und Angriff unterscheiden können, fangen sie plötzlich an, unpassend Alltägliches zu tun, zum Beispiel das Fell zu putzen. Verhaltensforscher nennen das „Übersprungshandlung“.

Mir scheint, dass in der Corona-Krise auch Angstreaktionen der Menschen zu beobachten sind: manche schotten sich ab und fürchten in jedem den Virus-Feind, besonders gerne in den kulturell oder religiös anderen. Manche entwickeln eigenartigen Gehorsam und möchten sich gerne sagen lassen, was richtig sei. Das führt bei einigen zum „Blockwart-Verhalten“: Im Fenster liegend wird der Abstand zwischen zwei Menschen auf 1,48 statt 1,50 Meter geschätzt und beim Ordnungsamt gemeldet. Wieder andere erwarten eindeutige Aussagen von der Wissenschaft und sind erschüttert, wenn auch Virologen unterschiedliche Perspektiven diskutieren. Manche vermuten eine Verschwörung dahinter. Aber auch Naturwissenschaften waren noch nie eindeutig. Es gibt auch solche, die einfach den früheren Alltag praktizieren und beispielsweise in Massen die Rheinterrassen belagern. Ist das auch eine Übersprungshandlung oder Gleichgültigkeit?

Ich habe den Eindruck, dass die Krise bei den Menschen gewisse Charaktereigenschaften verstärkt. Heinrich Heine meinte zur Reaktion der Menschen bei der Cholera in Paris 1832: „Angst ist bei Gefahr das Gefährlichste!“

Nun kann man gegen Angst nicht viel machen. Der Satz „Du brauchst keine Angst zu haben“ hilft meist nicht. Aber Jesus soll nach dem Johannes-Evangelium einmal gesagt haben: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost!“ Mir gefällt daran, dass Jesus die Angst nicht ignoriert, aber er weiß um eine Gegenkraft: den Trost göttlicher Hilfe. In dieser Kraft steckt die Chance, auf Angstreize nicht automatisch reagieren zu müssen wie die Tiere, sondern vor Gott die Angst und die Situation ins Verhältnis setzen zu können. Daraus erwächst Verantwortung. Dann brauchen wir keine Abschottung, keinen Obrigkeitswahn, keine Bespitzelung und Denunziation, keine Verschwörungstheorien, keine Gleichgültigkeit. Dann übernehmen wir Verantwortung und gestalten sie, mit Vorsicht und Rücksichtnahme, mit Mut und Phantasie, mit Respekt vor dem Virus und den Menschen dennoch zugewandt.

Der Neurologe und Psychiater Viktor Frankl hat einmal geschrieben: „Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum. In diesem Raum haben wir die Freiheit und die Macht, unsere Reaktion zu wählen. In unserer Reaktion liegen unser Wachstum und unsere Freiheit!“ Auch in solcher Perspektive verbinden sich Glaube und Menschenwürde.

Stephan Dedring ist Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Rheydt.

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