Norbert Jers sichtet Nachlass Archiv bewahrt Erlemanns Erbe

Mönchengladbach · Als Jugendlicher erlebte Norbert Jers Ferienfahrten mit Edmund Erlemann. Heute sichtet der Professor das Erbe des früheren Propstes. Und das enthält auch Texte, die im Radio nicht gesendet werden durften.

 Prof. Norbert Jers baut das Erlemann-Archiv auf.

Prof. Norbert Jers baut das Erlemann-Archiv auf.

Foto: Bauch, Jana (jaba)

Der braune Ledersessel ist kein Edelstück, aber er sieht trotz der vielen Kratzer in Lehnen und Sitzfläche einladend aus – ein Platz, an dem man sich wohlfühlt und willkommen. Norbert Jers hat den Wunsch des Gastes anscheinend gleich bemerkt. „Das ist Eddies Sessel, setzen Sie sich ruhig“, sagt der Professor. Eddie – so nannten viele, die Edmund Erlemann begegnet sind, den früheren Propst. Das war liebevoll gemeint, nicht despektierlich. Im Gegenteil: Edmund Erlemann, der jedwedem Gegenüber nicht als abgehobener Geistlicher, sondern als Seelsorger und Mit-Mensch begegnete, wurde und wird in dieser Stadt von nicht wenigen geradezu verehrt. Und so klingt auch bei Norbert Jers, der seit geraumer Zeit Erlemanns Erbe sichtet, Hochachtung durch, wenn er über den 2015 Verstorbenen spricht. „Erlemann“, sagt er meistens, doch immer wieder rutscht ihm auch ein „Eddie“ dazwischen.

Kein Wunder, denn der Aachener kennt Erlemann noch aus Jugendtagen. Damals war Erlemann junger Kaplan in der Aachener Pfarre St. Fronleichnam, ein Arbeiterviertel. Eine Umgebung und eine Zeit, die für Edmund Erlemann entscheidend wurden. „Er war ein Intellektueller, von Jesuiten ausgebildet, hatte vielleicht auch wissenschaftliche Ambitionen“, sagt Jers. Doch schon in der Aachener Zeit in einem Viertel der vermeintlich „kleinen Leute“ erlebte Erlemann etwas, das er seine „Bekehrung nach unten“ nannte. „Er hat einmal gesagt: ,Die Fragen, die ich hatte, waren nicht die Fragen, die die Menschen hatten’,“ berichtet Jers. Dass er Jahrzehnte später einmal Leiter der Projektgruppe „Kirche und Arbeiterschaft“ im Bistum Aachen werden sollte, hat sich Erlemann damals wahrscheinlich im Traum nicht vorgestellt. Eher hätte er ahnen können, dass sein Eintreten für einen sozial engagierten Katholizismus an der Seite der Benachteiligten nicht jedem Kirchenoberen gleichermaßen gefallen würde.

 Erlemann im Jahr 2015.

Erlemann im Jahr 2015.

Foto: Raupold, Isabella (ikr)

Jers, der im ehemaligen Arbeitszimmer Erlemanns mit Blick auf die Citykirche dessen kleine Bibliothek und einen Nachlass aus hunderten Briefen, Aufsätzen, Reden und Predigten ordnet, hat noch lebhafte persönliche Jugenderinnerungen an Erlemann. „Er war ein flinker, rundlicher Typ, immer gut gelaunt und fröhlich“, sagt der Professor. Ein Priester, der im Ferienlager einfach einen Tisch auf eine Wiese stellte und daran eine Messe feierte, der mit dem Brevier zwischen den spielenden Jungs umherging und betete. „Er integrierte das alles. Integrieren war eine seine großen Stärken“, sagt Jers. „Und er war einfach und direkt. Er hatte keine Angst und machte Dinge einfach.“

Wie unkonventionell Erlemanns Hinwendung zu den Menschen, zu deren alltäglichen Sorgen und Nöten mitunter empfunden wurde, beweisen auch Morgenandachten, die Jers im Nachlass gefunden hat. Sechs Texte, die Erlemann fürs Radio verfasste. Darin berichtete der Priester, wie er bei einer Geburt dabei gewesen war: „Der Vater und ich hielten die Mutter fest und dann, dann kam das Kind aus dem Bauch der Mutter. Alles kann man erklären, was in dieser Geburtsstunde geschah, und trotzdem ist es ein Wunder.“ Auch wenn es sich um den natürlichsten Vorgang seit Anbeginn der Menschheit handelte – das Verdikt der Radioredaktion lautete 1994: nicht sendefähig. Erlemann ließ die Texte drucken und verbreitete sie selbst.

Gepflegt wird Edmund Erlemanns Hinterlassenschaft von der Stiftung Volksverein, wie er sich das in seinem Testament gewünscht hat. Dabei geht es um schriftlichen Nachlass, aber auch um das geistige Erbe. „Es geht um seine Gedanken zu sozialer Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, die er uns mit auf den Weg gegeben hat“, sagt Johannes Eschweiler, ehrenamtlicher Geschäftsführer der Stiftung. „Wenn wir die in die nächste Generation übertragen bekommen, haben wir es geschafft, dass er weiterlebt.“ Dafür soll auch ein Buch mit Texten von und über Erlemann sorgen, das bis Jahresende erscheinen soll.

In Erlemanns ehemaligem Arbeitszimmer am Kirchplatz steht nicht nur sein alter Ledersessel. Am Fenster liegt auch eine Bibel. Aufgeschlagen ist die Stelle aus dem Johannesevangelium, in der berichtet wird, wie Jesus am Abend vor seiner Kreuzigung seinen Jüngern die Füße gewaschen haben soll. Lag die Bibel auch schon so da, als Erlemann das Zimmer – vielleicht zum letzten Mal – nutzte? Jers und Eschweiler schauen sich an. Wohl nicht, sind sich die beiden einig. Aber es hätte gut sein können. Diese Bibelstelle, findet Eschweiler, „das passt“.

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