Redaktionsgespräch mit Quartiersmanager „Die Altstadt erinnert an das Westberlin der Acht­zi­ger­jah­re“

Mönchengladbach · Bevor Frank Jessen seinen Job als Quartiersmanager für die Gladbacher City antrat, kannte er die Stadt schon von Einkaufstouren in einem Skate-Shop. Im RP-Gespräch äußert er sich zu Waldhausener Straße, Westend-Promenade, Bürgerbeteiligung und Transparenz.

 Frank Jessen ist Skater und Quartiersmanager.

Frank Jessen ist Skater und Quartiersmanager.

Foto: Bauch, Jana (jaba)

Herr Jessen, was ist eigentlich Quartiersmanagement? Was machen Sie den ganzen Tag?

Jessen Quartiersmanagement hat viel mit Management zu tun. Das heißt, wir setzen nicht so sehr eigene Ideen um, als dass wir vermitteln. Zwischen Bürgern und Stadtverwaltung zum Beispiel. Wir sammeln Anregungen und geben sie weiter, wir bündeln und strukturieren. Wir bringen Netzwerke zusammen, wir moderieren. Wir haben das ganze Quartier im Blick und nicht nur Teile davon wie die meisten Akteure. Und wir haben die Möglichkeit, spannende Projekte auch finanziell zu unterstützen.

Sie sind aber nicht bei der Stadt Mönchengladbach angestellt.

Jessen Nein, als Ibis-Institut sind wir Auftragnehmer. Der Auftrag ist auf bis zu zehn Jahre angelegt. Wir sind ein Dreier-Team, wobei ein Kollege sich in erster Linie um die Altstadt kümmert und eine Kollegin um das Westend. Das Quartiersbüro ist an der Hindenburgstraße 31 zu finden, aber wir werden auch mit dem Lastenfahrrad und einem mobilen Stand unterwegs sein.

Hatten Sie schon Laufkundschaft im Büro?

Jessen Ja, durchaus. An der Wand des Büros hängen Pläne und man kann Kärtchen mit Anregungen anbringen. Jemand hat zum Beispiel einen Rikschafahrdienst auf der Hindenburgstraße vorgeschlagen.

Sie kommen nicht aus Mönchengladbach und haben einen Blick von außen auf die Stadt. Wie haben Sie die Stadt bisher wahrgenommen?

Jessen Stimmt, ich komme eigentlich aus Niebüll in Nordfriesland, aber ich wohne schon lange in Viersen. Von daher habe ich den Blick aus der Nachbarstadt auf Mönchengladbach. Ich schätze das Museum Abteiberg sehr, aber als erstes kommt mir die Hindenburgstraße als Einkaufsmöglichkeit in den Sinn. Auch bestimmte Läden wie zum Beispiel der Skateshop Titus. Ich bin Skater, deshalb habe ich in diesem Zusammenhang natürlich ein besonderes Interesse.

 Frank Jessen ist Skater. Auch zum RP-Gespräch kam er mit dem Board.

Frank Jessen ist Skater. Auch zum RP-Gespräch kam er mit dem Board.

Foto: Bauch, Jana (jaba)

Das Gebiet, um das Sie sich als Quartiersmanager kümmern sollen, umfasst die Gladbacher Innenstadt zwischen dem Platz der Republik, Gründerzeitviertel und der Altstadt. Dazu kommt das Westend. Das ist nicht nur ein Quartier, das sind mehrere Quartiere.

Jessen Das Gebiet ist sehr divers, das ist wahr. Es umfasst mindestens vier kleinere Quartiere, die alle anders ticken. Der Vorteil ist aber, dass überall schon viele Initiativen und Gruppen aktiv sind. Ich erlebe Mönchengladbach als sehr bewegte Stadt, in der die Bürger aktiver als in anderen Städten mitgestalten. Allerdings sind nicht alle sozialen Milieus in gleichem Maße aktiv dabei. Ich sehe es auch als eine unserer Aufgaben an, die Milieus zu öffnen, mehr Durchlässigkeit zu schaffen. Plätze und bestimmte Orte dienen als Membranen. Auf der Hindenburgstraße zum Beispiel treffen alle Milieus aufeinander – vom Obdachlosen bis zur Dame mit der Gucci-Handtasche. Solche Begegnungsräume sind wichtig. Auf der Westend-Promenade soll auch eine solche Membran entstehen.

Erzählen Sie mal, was hinter dem Schlagwort Westend-Promenade steckt.

Jessen Bei der Westend-Promenade handelt es sich um den Umbau eines ganzen Straßenzugs zwischen Blumenberger Straße und Knopsstraße. Das Jugendclubhaus mit dem Platz davor soll einbezogen werden, die katholische Gemeinde dort hat Ideen im Zusammenhang mit der Kirche und dem umliegenden Gelände. Im Westend steckt viel Potenzial.

Auch die Altstadt fällt in Ihren Aufgabenbereich. Sie soll mehr als eine Partymeile sein. Wie ist das gemeint?

Jessen Als Partymeile allein funktioniert die Waldhausener Straße nicht mehr. Aber es gibt dort viel Freiraum für Kreative. Es erinnert mich an das Westberlin der 80er Jahre. Das Hof- und Fassadenprogramm ist dort außerdem eine Möglichkeit, mit den Eigentümern ins Gespräch zu kommen.

Es gibt junge Menschen, die die Altstadt meiden, weil sie sich dort unsicher fühlen. Stattdessen fahren sie nach Düsseldorf. Gute Initiativen, das zu ändern, gibt es bereits. Was fehlt?

Jessen Gegen ein Gefühl der Unsicherheit hilft Licht. Ein Lichtkonzept ist ja auch bereits in Arbeit. Außerdem braucht die Altstadt eine Belebung am Tag. Auch da tut sich schon einiges. Mit dem Projekt Vakanz soll die Aufmerksamkeit auf Ladenlokale gelenkt und über ihre Nutzung nachgedacht werden. Auch mehr Büroraum würde der Altstadt gut tun.

Die obere Hindenburgstraße kämpft mit Leerständen. Was kann man tun?

Jessen Dort müssen wir komplett neu denken. Die Entwicklung zum Museumsquartier mit Ateliers für Kreative und bildende Künstler wäre spannend. Es wäre auch ein Ort für neue Wohnformen. Es fehlt günstiger, aber hochwertiger Wohnraum für ältere Menschen in der Innenstadt. Bisher bleiben die Menschen dort nicht lange wohnen, durchschnittlich nur ein Jahr.

In Mönchengladbach wird gern sauber getrennt. Wäre es nicht sinnvoll, mehr Freiraum, mehr Unkonventionelles zuzulassen?

Jessen Es ist wichtig, dass Quartiere ihr eigenes Image, ihren eigenen Charakter entwickeln. Die Hindenburgstraße sollte natürlich Vorzeigecharakter haben, in den Nebenstraßen wie der Wallstraße beispielsweise kann auch etwas anderes entstehen. Das polyglotte Gesicht der Stadt spiegelt sich in den Quartieren wider.

Europaplatz, Problemumfeld Hauptbahnhof, Obdachlose – wie gehen Sie damit um?

Jessen In Mönchengladbach ist es üblich, mit der Szene ins Gespräch zu kommen. Einfach vertreiben hilft nichts, dann verlagert sich das Problem nur. Wir werden sicher auch mit den Streetworkern sprechen. Wir sind in erster Linie Vermittelnde.

Es ist immer viel von Bürgerbeteiligung die Rede und es werden auch viele Veranstaltungen angeboten, aber ist das nicht nur Augenwischerei? Werden die Anregungen der Bürger wirklich aufgenommen? Wenn nicht, führt das Ganze nur zu frustrierten Bürgern, die sich abwenden.

Jessen Ich habe mich lange mit diesem Problem im Rahmen eines Projekts der Bertelsmann-Stiftung beschäftigt. Es ist essentiell, von vorne herein die Grenzen der Beteiligung aufzuzeigen und Entscheidungen transparent zu machen. Sonst entwickelt sich tatsächlich Frustration. Ich erlebe Mönchengladbach aber als sehr offen. Im Rahmen des Integrierten Handlungskonzepts gab es viel Bürgerbeteiligung. Viele haben mitgeredet. Unterschiedliche Meinungen muss man dann auch aushalten können.

Wie soll der von Ihnen betreute Bereich in zehn Jahren aussehen? Was ist Ihr Wunschziel?

Jessen Ich wünsche mir eine florierende Hindenburgstraße, ein künstlerisches Museumsquartier und eine kreativ-alternative Altstadt. Ein Westend, in dem Verbindungen entstanden sind, in dem die Bürger zusammen etwas machen.

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