Mönchengladbach Neue Durchblicke gewinnen

Mönchengladbach · Unser Autor schreibt über Sichtachsen, Bäume und Baumfällungen und eine selbstbewusste Bürgerschaft.

 Freigestellt und in exponierter Lage: Die Kaiser-Friedrich-Halle von 1903, bevor sie 1964 niederbrannte und danach baulich stark verändert wurde.

Freigestellt und in exponierter Lage: Die Kaiser-Friedrich-Halle von 1903, bevor sie 1964 niederbrannte und danach baulich stark verändert wurde.

Foto: Sammlung Nöller

Sichtachsen finde ich großartig. Wer’s nicht glaubt, fahre nach Kleve. Dort gibt es einen Landschaftspark, den Prinz Moritz von Nassau-Siegen, Statthalter des brandenburgisch-preußischen Kurfürsten, Mitte des 17. Jahrhunderts anlegte: mit weitläufigen Alleen, künstlichen Aussichtshügeln, Rondellen, einem eindrucksvollen Wasserkanal und einer kilometerlangen Sichtachse, die sogar bergauf führt. Atemberaubend! Diese Gestaltung war maßgeblich für die Gartenanlagen in Potsdam. Auch der 100 Jahre später geschaffene Park von Sanssouci ist von imposanten Blickachsen geprägt. Sie lenken das wache Auge immer wieder auf architektonische Highlights.

In unserer Stadt gibt es das in viel bescheidener Form auch: im Schmölderpark oder im Bunten Garten. Im Stadtbild sind es oft die Kirchtürme oder Jugendstilgebäude, wie der Gladbacher Wasserturm und die Kaiser-Friedrich-Halle. Sie setzen Akzente. Wer wäre nicht froh darüber? Was der Luftkrieg nicht zerschlug wurde in der Nachkriegszeit vielfach durch Abrisswut weiter verstümmelt. Stadtbildpflege? Fehlanzeige! Heraus kam zumeist ein plan- und gestaltloser „Architekturbrei“, der dem aufmerksamen Auge weh tut. Man kann von Glück sprechen, wenn heutige Stadtplanung hier etwas korrigieren kann.

Wenn ich die Bismarckstraße hinauffahre, frag ich mich allerdings: Wer kam auf die Idee, auf der Mittelinsel Pfahleichen zu pflanzen? Sicher, das war gut gemeint, um den tristen Straßenraum zu begrünen. Bei aller Liebe zu Straßenbäumen, hier würde ich mal dem freien Ausblick auf unser Wahrzeichen den Vorrang geben! Ich finde es daher auch schlüssig, die Ev. Kirche Odenkirchen im Zuge der geplanten Neugestaltung des Umfeldes aus einer mittlerweile zu dichten grünen Umklammerung zu lösen. Sie ist ein seltenes und kostbares Beispiel des Barock. Bei der Neugestaltung des Umfeldes der Citykirche bin ich anderer Meinung. Hier würde ich die bestehenden Bäume erhalten.

 Ein städtebaulicher „Supergau“: Der Europaplatz vor dem Hauptbahnhof.

Ein städtebaulicher „Supergau“: Der Europaplatz vor dem Hauptbahnhof.

Foto: Olaf Nöller

Mir ist bewusst, dass ich jetzt manche Baumfreunde verärgert habe. Ich bin übrigens selber einer. Immer noch trauere ich jener stattlichen Linde nach, die auf dem Rheydt Markt stand und die hässliche Brücke zwischen Rathaus und Karstadt verdeckte. Ich war fassungslos, als sie abgesägt wurde – unter den Augen von Politikern, die sich sonst eifrig für den Erhalt von Bäumen stark machen. Als Friedhofsbeauftragter weiß ich aber auch, dass nicht jeder Baum zu halten ist. Wir mussten auf dem Ev. Friedhof Nordstraße zwei das Gesamtbild prägende Baumriesen niederlegen, weil sie krank waren. Die Verkehrssicherheit wog schwerer.

Inzwischen habe ich auch gelernt, dass die Mags nicht blindwütig absägt. Im Internet kann man sich informieren, welche Bäume gefällt werden sollen. Viele sind krank und oft wird auch nach längeren Gesprächen mit unterschiedlichen Interessensgruppen entschieden. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Mir geht‘s nicht darum, dass wir alles fraglos hinnehmen, was im Hinblick auf die Entwicklung des Stadtbildes „von oben“ kommt. Im Gegenteil: Ich wünsche mir eine hellwache, selbstbewusste Bürgerschaft, die Kritik äußert und sich ideenreich in Denkwerkstätten einbringt, bevor die Stadtplaner an die Arbeit gehen.

Nur eindimensionales Denken hilft nicht weiter, wozu auch gehört, dass sich heute viele für absolute Experten auf fast allen Gebieten halten… Nein, das Tolle in den berühmten Landschaftsparks sind auch die Quer- und Schrägachsen sowie mitunter völlig überraschende Wegführungen, die ungeahnte „Durchblicke“ und „Ausblicke“ eröffnen! Solche – für alle Beteiligten fruchtbare und erkenntnisreiche Denkprozesse würde ich mir wünschen, weil es um Entscheidendes geht: Mönchengladbach muss durch innovative Projekte und aktive Stadtplanung weiterentwickelt werden.

Übrigens, der Prophet Jeremia in der Bibel forderte seine im Exil lebenden Zeitgenossen auf: „Suchet der Stadt Bestes!“ Das war damals die Aufforderung, sich zu identifizieren und aktiv zum Wohle aller einzubringen. Überwinden wir auch heute die Zuschauermentalität und seien wir offen und neugierig mit dabei, um gemeinsam unsere Heimatstadt voranzubringen!

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