Gastbeitrag Modernes Bauen in der Textilindustrie

Mönchengladbach · Gastbeitrag Die Ex-Seidenweberei Müllers & Plücker in Geneicken und andere Gebäude tragen die Handschrift der Bauhaus-Architekten.

 Charakteristisch ist der halbrunde Treppenanbau mit den senkrechten Fensterschlitzen.

Charakteristisch ist der halbrunde Treppenanbau mit den senkrechten Fensterschlitzen.

Foto: Hans Schürings

Langsam neigt sich das „Bauhaus“-Jubiläumsjahr dem Ende entgegen. Der vor mehr als 100 Jahren angestoßene Prozess zur Modernisierung der Architektur blieb auch in Mönchengladbach nicht ohne Folgen, auch in der hier noch in den 1920er und 1930er Jahren dominanten Textilindustrie. Neben der eindrucksvollen Fabrikanlage der Gebrüder Aschaffenburg an der Sachsenstrasse in Eicken aus dem Jahr 1923, dessen Entwerfer kein geringerer als der Bauhaus-Architekt Otto Bartning (1883-1959) war, hat Mönchengladbach auch anderes zu bieten.

 Die ehemalige Seidenweberei Müllers & Plücker an der Geneickener Strasse: Die Betonplatte über dem Eingang entspricht genau den Balkonplatten der Wohnstudios am Bauhaus in Dessau.

Die ehemalige Seidenweberei Müllers & Plücker an der Geneickener Strasse: Die Betonplatte über dem Eingang entspricht genau den Balkonplatten der Wohnstudios am Bauhaus in Dessau.

Foto: Hans Schürings

Recht unbeachtet und unauffällig steht an der Geneickener Strasse 62 die ehemalige Seidenweberei von Müllers & Plücker. Insbesondere der Verwaltungstrakt mit dem halbrunden Treppenturm scheint eine architektonische Besonderheit.

Bei der Seidenweberei Müllers & Plücke, der beiden evangelischen Unternehmer Carl Heinrich Müllers (1892-1961) und Carl Plücker (1889-1960) handelt es sich um eine Übernahme der mechanischen Weberei in Samt- und Seidenwaren, die Firma Reinhard Klingelhöffer, Nachf.. Diese Firma war seit 1904 an der Geneickener Strasse 80 ansässig. Ein späterer Inhaber war Heinrich Vits. Auf einem Briefkopf der Seidenweberei Müllers und Plücker aus dem Jahr 1938 bezog man sich stolz auf die ehemalige, vermutlich schon 1863 gegründete, Firma Reinh. Klingelhöffer Nachf..

 Die Balkone der Wohnstudios am Bauhaus in Dessau von 1926.

Die Balkone der Wohnstudios am Bauhaus in Dessau von 1926.

Foto: Hans Schürings

Um das Jahr 1925, vielleicht auch schon früher, wird die Firma R. Klingelhöfer (Inh. H. Vits) an der Geneickener Strasse 80 von den beiden Fabrikanten Müllers & Plücker übernommen. Doch schon bald findet ein Standortwechsel in die unmittelbare Nähe statt, zur Geneickener Strasse 62. Dort entsteht vermutlich um 1928 eine vollkommen neue Seidenfabrik im Stil einer modernen Architekturinterpretation. Als Architekt muss der Rheydter Architekt Leo Nyssen (geb. 1892 in Eupen) angesehen werden. Konkrete Planunterlagen existieren im Bauaktenarchiv der Stadt Mönchengladbach nicht mehr.

Der zweigeschossige Verwaltungstrakt unmittelbar an der Geneickener Straße 62 in Ziegelmauerwerk mit horizontalen Bändern und Flachdach ist recht unauffällig. Lediglich durch vier horizontale Gesimse in Brüstungshöhe und über den Fenstern ist die Fassade strukturiert. Markant dagegen der halbrund anschließende Treppenanbau, der sich über den Vorbau ein Stockwerk höher erhebt. Dieser enthält zwei der damals üblichen senkrechten Fensterschlitze, den sogenannten Thermometerfenstern, die jedoch erneuert wurden. Interessant ein bemerkenswertes gestalterisches Detail: Die Betonplatte über dem Haupteingang entspricht nahezu genau den Balkonplatten der Wohnstudios am Bauhaus in Dessau, dass 1926 von Walter Gropius entworfen wurde. Die Betonplatten wurden außen nach unten abgewinkelt. Ein Hauch von Bauhaus in Rheydt.

 Seidenweberei Müllers & Plücker, Geneickener Strasse 62

Seidenweberei Müllers & Plücker, Geneickener Strasse 62

Foto: Hans Schürings

Das heute noch vorhandene, an der Straße neun Fensterachsen umfassende, ehemalige Kontorgebäude wurde Mitte der 1920er Jahre jedoch zunächst mit nur vier Fensterachsen errichtet. Nahezu homogen fand dann im Jahr 1950 eine Erweiterung um weitere fünf Fensterachsen statt. Größere Beschädigungen im Krieg sind nicht erkennbar. Nur bei genauem hinsehen, ist diese Erweiterung vom ursprünglichen Gebäude erkennbar. Das Bauwerk erscheint vielmehr heute als architektonische Einheit.

Neben der als Werk I an der Geneickener Straße 62 bezeichnete Seidenweberei Müllers & Plücker gab es auch noch das Werk II an der Ecke Schlossstraße und Heppendorfstraße.

Übernommen wurde die ehemalige Seiden- und Kunstseidenweberei, die vormalige Firma Aretz & Behle, in den Jahren 1938/39 durch Müllers & Plücker. Diese als Werk II bezeichnete Fabrikanlage, errichtet 1901, wurde erst im vergangenen Jahr komplett abgerissen.

Als Architekt für den modernen Fabrikbau fungierte Leo Nyssen, der Mitglied im Bund Deutscher Architekten (BDA) und von der Industrie- und Handelskammer Gladbach-Rheydt-Neuss vereidigter Sachverständiger für Baustoffe und Bausachen war. Er wurde am 23. Dezember 1892 in Eupen geboren. Nachweislich ist er zuerst im Jahr 1927 in Rheydt. Verschiedene Aktivitäten im baulichen Bereich durch Leo Nyssen in Rheydt sind belegt. So zum Beispiel bei verschiedenen Baumaßnahmen der Firma W. + P. Effertz am Gerstacker 37.

Sich selbst baute Leo Nyssen an der Breite Straße 102 (die damalige Ludwig Knickmann Straße) in Rheydt sein auch heute noch beachtenswertes Wohnhaus, in das er im März 1937 einzog. Auch dieses Wohnhaus huldigt der „weißen“ Moderne in Rheydt und wurde bis heute noch nicht gewürdigt (kein Denkmal).

Wann genau die mechanische Seiden- und Kunstseidenweberei Müllers & Plücker ihren Betrieb eingestellt hat, ist nicht bekannt. Auch Informationen über die Belegschaft sind bisher nicht auffindbar. Heute sind in den Räumlichkeiten verschiedene Unternehmen, Verwaltungen, Wohnungen und eine Yoga-Schule untergebracht.

Dieser Gastbeitrag von Hans Schürings ist entstanden in der Geschichtswerkstatt Mönchengladbach.

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