Kolumne Denkanstoß aus Mönchengladbach „Es wird dreckig gestorben im Krieg“

Mönchengladbach · Unsere Autorin hat evangelische Gemeinden in der Ukraine besucht und dort mit vielen Menschen gesprochen. Sie wünscht sich einen offeneren Diskurs in den westlichen Medien.

 Ein Bild vom Grenzübergang, das unsere Autorin gemacht hat.

Ein Bild vom Grenzübergang, das unsere Autorin gemacht hat.

Foto: Martina Wasserloos-Strunk

Vor vier Wochen habe ich evangelische Gemeinden in der Ukraine besucht. Zan Fabian ist der Bischof der ungarisch-reformierten Gemeinde in Beregszász, im Westen der Ukraine. Während er erzählt, hören wir Geschütze. Es gibt zurzeit nur noch eine Stunde am Tag Strom und seit einigen Tagen kein fließendes Wasser mehr. Es trifft besonders die, die keine Verwandten mehr haben. Sie sitzen in Häusern, die schon vor dem Krieg keine Dächer und Fenster hatten. Wenn die Gemeinde des Bischofs nicht einmal täglich ein Brot bringen würde, würden sie verhungern. Das Brot muss gebacken werden, dazu benötigt die Gemeinde Strom.

„Unsere Alten haben nicht nur Angst vor dem Krieg. Sie haben auch Angst zu verhungern“, sagt der Bischof. Seine beiden Söhne wurden zum Militärdienst abgeholt, die anderen jungen Männer der Gemeinde ebenfalls. Ich kenne ihn seit vielen Jahren. Er ist grau geworden in den letzten Wochen. Andere, reichere Menschen haben ihre Söhne vom Militärdienst freigekauft – 5000 Euro ist der Tarif. Oder sie sind in den Westen geflohen.

In Gesprächen wird deutlich, wie verzweifelt die Menschen sind. Sie haben in sich die kollektive Erfahrung der stalinistischen Verbrechen, denen im letzten Jahrhundert mehr als sieben Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Verhungert. Sie haben auch in sich die Erfahrung der nationalsozialistischen Verbrechen – die Wehrmacht hat in der Ukraine gewütet. Sie wollen endlich frei sein. Das ist auch eine bittere Anfrage an uns, an unsere bequeme Freiheit, die wir uns nicht verdient haben. Für die wir nicht gekämpft haben. Im Gegenteil.

Von dem „Heldentum“, das uns die westlichen Medien vermitteln, finde ich in Transkarpatien nichts. Das war fast zu erwarten: Jeder Krieg braucht Heldengeschichten, aber wir wissen selbst, dass das alles gelogen ist. Es wird dreckig gestorben im Krieg. Von den Menschen, mit denen ich gesprochen habe, hat keiner Lust auf heldenhaften Kampf. Niemand möchte seine Söhne opfern. Hier wird die Frage nach schweren Waffen anders beantwortet als in Kiew: Bitte liefert keine Waffen! Der Krieg muss aufhören! Und ich frage mich auch, wieso wir uns eigentlich alle so einig sind, dass Waffenlieferungen unverzichtbar sind und Verhandlungslösungen nicht möglich. Müssen wir nicht daran festhalten, dass alles versucht werden muss, den Krieg zu beenden?

Einen wirklich offenen Diskurs dazu vermisse ich bei uns. Im Moment muss man mit ziemlichem Gegenwind rechnen, wenn man diese Frage stellt. Am Ende meines Besuchs gibt der Bischof mir etwas mit auf den Weg: „Bitte betet für uns! Hört nicht auf! Liegt unserem Gott in den Ohren! Betet für Frieden! Wir bitten Euch: Betet für Frieden!“

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