Redaktionsgespräch Monika Eigenstetter „Immer ökologisch handeln ist anstrengend“

Mönchengladbach · Arbeitspsychologin Monika Eigenstetter spricht über Öko-Strampler, soziale Erwünschtheit, Einkaufsverhalten und Regulierung.

Monika Eigenstetter setzt sich dafür ein, dass Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen.

Monika Eigenstetter setzt sich dafür ein, dass Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen.

Foto: Bauch, Jana (jaba)

Sie sind Arbeitspsychologin und beschäftigen sich mit dem Thema Nachhaltigkeit. Wie passt denn das zusammen?

Eigenstetter An der Hochschule Niederrhein leite ich das A.U.G.E.-Institut, das sich mit den vier Themenfeldern Arbeitssicherheit, Umweltschutz, Gesundheitsförderung und Ethik beschäftigt. In der angewandten Forschung arbeiten wir auch mit Unternehmen zusammen, machen Verbesserungsvorschläge zum Beispiel im Bereich Arbeitsschutz, beraten in Fragen von Kommunikation und Führung und begleiten sogenannte Change-Prozesse. Auch das CSR-Management gehört zu unserem Themenfeld. CSR steht für Corporate Social Responsibility, also die Verantwortung eines Unternehmens für gesellschaftliche Belange. Dazu gehören ökologische Themen genauso wie soziale. Nachhaltigkeit ist der Obergriff für beide Bereiche.

Die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen ist ein hehres Ziel. Wie erleben Sie die Umsetzung?

Eigenstetter Da sind die Unterschiede sehr groß. Es gibt sicher immer noch Unternehmen, die nach dem Motto „the business of business is business“ ( sinngemäß: Das Geschäft der Wirtschaft ist das Geschäft, Anm. d. Red.) vorgehen und für die Nachhaltigkeit kein Thema ist. Dann gibt es einige, die sich als Pioniere verstehen und ganzheitlich vorangehen, zum Beispiel den Outdoor-Ausrüster Vaude, und etliche, die sich sehr ernsthaft auf den Weg machen. In Mönchengladbach zum Beispiel ist dies das Unternehmen Van Laack, das Hemden und Blusen in Vietnam und Tunesien produziert und seit einiger Zeit Mitglied in der Fair-Wear-Foundation ist, deren Verhaltenskodex gerechtere und sozialere Arbeitsbedingungen sicherstellen soll. Unternehmen experimentieren auch mit ökologischen Produkten, Gardeur beispielsweise hat Jeans aus fair gehandelter Baumwolle auf den Markt gebracht. Ich weiß aber nicht, wie diese nachgefragt werden.

Können Sie sich vorstellen, warum Kunden solche Produkte nicht verstärkt kaufen? Der Ruf nach nachhaltigen Produkten wird doch immer lauter.

Eigenstetter Das ist schwer zu sagen. Wir haben hier noch ein Forschungsdefizit. In Befragungen erklären Kunden im Allgemeinen, dass sie an nachhaltigen Produkten interessiert sind. Das ist aber soziale Erwünschtheit. Die Kunden sagen das, was erwartet wird, handeln dann aber anders.

Aber warum denn?

Eigenstetter Das hat ganz unterschiedliche Gründe. Unter anderem verbindet der Kunde Nachhaltigkeit mit höheren Preisen. Das Unternehmen Kik hat beispielsweise einen Öko-Strampler auf den Markt gebracht, um den die Kunden geradezu einen Bogen gemacht haben, obwohl er nicht teurer war. Er wurde erst abverkauft, als der Hebammenverband ihn entdeckt und empfohlen hat. Dann lief der Handel übers Internet. Der Öko-Strampler wurde von der gebildeten Mittelschicht gekauft. Aber viele andere kaufen in erster Linie preisbewusst, da wirkt Nachhaltigkeit sogar abschreckend.

Sehen Sie noch andere Gründe, warum die Kunden nicht zu den nachhaltigeren Produkten greifen?

Eigenstetter Sich ständig sozial und ökologisch verantwortungsbewusst zu verhalten, ist einfach anstrengend. Wer berufstätig ist und sich auch noch um eine Familie zu kümmern hat, hat oft einfach keine Zeit, sich über alles zu informieren. Vieles ist auch wirklich kontraintuitiv. Zum Beispiel die Biogurke in Plastikhülle.

Die Bio-Gurke in Plastikhülle ist nachhaltig?

Eigenstetter Es gibt zumindest einen guten Grund dafür. Das Plastik schützt, die Gurke hält sich besser, es muss weniger weggeschmissen werden. Nachhaltigkeit ist ein ungeheuer komplexes Thema und es kostet viel Zeit, sich zu informieren. Außerdem gehört zum nachhaltigen Leben und der Veränderung des Konsumverhaltens auch eine gewisse Leidensfähigkeit. Ich habe mir zum Beispiel ökologisch korrekt ein E-Auto aus einem Car­sharing-Pool ausgeliehen. Ich habe ewig gebraucht, um mit der Anleitung klarzukommen und hätte fast meinen Termin verpasst. Aber jetzt weiß ich, wie es geht.

Entsprechende Label sollen doch die Orientierung erleichtern. Helfen sie nicht?

Eigenstetter In gewissem Maße tun sie das. Der interessierte Kunde sucht vielleicht, aber nicht der Durchschnitt. Ich habe aber zum Beispiel von Kaufhaus-Ketten gehört, die bei den Produkten die Labels wieder kleiner machen. Wahrscheinlich ist der Effekt der gleiche wie beim Öko-Strampler: die Kunden glauben, die Produkte mit Nachhaltigkeitslabel seien teurer.

Wie lässt sich die Nachhaltigkeit im Alltag verankern?

Eigenstetter Wir brauchen strukturelle Lösungen, um die Verbraucher vom Klein-Klein zu entlasten. Unternehmen müssen für Nachhaltigkeit belohnt werden, zum Beispiel durch eine reduzierte Mehrwertsteuer wie das jetzt bei der Bahn passieren soll. Dann kann sich der Kunde wieder am Preis orientieren. Das nachhaltige Produkt ist dann nicht teurer, im besten Fall sogar günstiger. Mit anderen Worten: Regulierung ist nötig.

Bei Regulierungen schreit die Wirtschaft im Allgemeinen auf.

Eigenstetter Ich kann da nur Antje von Dewitz von Vaude zitieren: „Man sieht, wie schnell sich Unternehmen anpassen können, wenn etwas gesetzlich geregelt ist. Es gilt darüber nachzudenken, wie sich die Wirtschaft dem Gemeinwohl verpflicht.“

Wie haben Sie ganz persönlich zum Thema Nachhaltigkeit gefunden?

Eigenstetter Ich bin über den Arbeitsschutz zum Thema Nachhaltigkeit gelangt. Der Arbeitsschutz wurde mein Thema, weil ich erlebt habe, wie krank eine Kollegin sich fühlte und wie viel besser es ihr nach einer Reduzierung der Arbeitszeit ging. Man muss sich mal vorstellen: Die Arbeit war so stressig, dass sie diese nicht 40 Stunden die Woche ausüben konnte. Da wurde mir klar, wie wichtig Prävention und Arbeitsschutz sind. Und Arbeitsschutz wiederum ist ein Riesenthema im Bereich der Nachhaltigkeit.

Bei Nachhaltigkeit denkt man meist an die Arbeitsbedingungen in Bangladesch und nicht an den Arbeitsschutz in Deutschland. Müssen wir hier auch umdenken?

Eigenstetter Auch die Arbeitsbedingungen in Deutschland gehören zur Nachhaltigkeit. Schon aufgrund der demografischen Entwicklung müssen Unternehmen die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden im Auge haben. In vielen Betrieben ist die Belegschaft heute im Durchschnitt 48 Jahre und älter. Ältere Arbeitnehmer sind nicht unbedingt öfter, dafür aber länger krank. Und sie sind nicht mehr so stressresistent. Allerdings bringen ältere Mitarbeitende andere Qualitäten ein: soziale Ressourcen, mehr Lebenswissen. Sie überschätzen sich nicht mehr so sehr und können besser mit ihren Defiziten umgehen. Ein kluger Mittelständler weiß das und kümmert sich um die Arbeitsbedingungen.

Sollten Mitarbeiter verstärkt als wertvolle Ressource gesehen werden?

Eigenstetter Ja, in dem Sinn, in dem ein Unternehmen nur so gut sein kann wie seine Mitarbeitenden, wie es deren Kreativität, Verantwortungsbewusstsein und Engagement nutzen kann.

Erkennen Unternehmen das immer?

Eigenstetter Im Allgemeinen schon. Allerdings erlebe ich auch immer wieder viel Überforderung bei den Unternehmen. Man hat oft ein falsches Bild vom Unternehmertum. Viele kleine und mittlere Unternehmen leben mit der ständigen Sorge, ob sie im nächsten Vierteljahr ihre Leute bezahlen können. Das ist wirklich nicht einfach.

Zurück zur Nachhaltigkeit. Sind in Ihrem sozialen Umfeld alle Menschen Ihrer Meinung oder führen Sie harte Diskussionen?

Eigenstetter Ich vermeide Diskussionen über dieses Thema, auch weil ich meine, dass wir auf der politischen Ebene diese Debatten führen müssen anstatt unseren Freundeskreis zu vergiften. Jeder einzelne kann sich allerdings seine Ökobilanz ansehen und Handlungsfelder finden, die in den Alltag zu integrieren sind. Dabei sollte man auf die Big Points achten statt sich in Kleinigkeiten zu verlieren. Ich finde zum Beispiel nicht, dass es mein Job ist, den Deckel vom Joghurtbecher abzufusseln. Da muss es intelligentere Lösungen geben.

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