Gastbeitrag vom Gladbacher Haus der Erinnerung „Wehrhafte Demokratie benötigt Demokraten“

Mönchengladbach · Der 27. Januar ist Gedenktag für alle Opfer des Nationalsozialismus. Die Mitglieder des Gladbacher „Haus der Erinnerung“ verzichten wegen der Pandemie auf eine Veranstaltung. In diesem Gastbeitrag erinnern sie an den Holocaust und warnen vor rechtsextremen Tendenzen, die die Corona-Krise bestärkt hat.

Stolpersteine wie diese in Rheydt für Familie Heymann gibt es an vielen Stellen in Mönchengladbach. Sie erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus.

Stolpersteine wie diese in Rheydt für Familie Heymann gibt es an vielen Stellen in Mönchengladbach. Sie erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus.

Foto: Olaf Nöller

Der 27. Januar wurde im Jahr 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zum Gedenktag für alle Opfer des Nationalsozialismus ausgerufen. Das Erinnern an die Opfer soll neben der Trauer vor allem der Verantwortung dienen: So etwas darf nie wieder geschehen. 

Seit Jahren beobachten die demokratischen  Kräfte in der Bundesrepublik mit Sorge zunehmende gewaltbereite Aktivitäten mit rechtsradikalem Hintergrund. Dies führte bereits zu Mordtaten und gewalttätigen Übergriffen auf jüdische Menschen, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sowie Politiker und Journalisten. Eine breite Welle von Hassbotschaften und Gewaltandrohungen anonym bleibender Absender ergießt sich in den Internet-Netzwerken ganz allgemein und auch gezielt gegen Menschen, die sich für die Hassobjekte der Rechtsradikalen öffentlich einsetzten. Dies geschieht insbesondere, seitdem die AfD als rechtspopulistische Partei, in der  ein Teil der dort Aktiven auch vor rechtsradikalen Parolen nicht zurückschreckt, auf der parlamentarischen Bühne aufgetreten ist. Seitdem haben sich rechtsradikale, demokratiefeindliche Tendenzen bis in die Mitte der Gesellschaft  ausgebreitet.

Der Vorstand des Gladbacher Haus der Erinnerung (GHE) nimmt den Gedenktag des 27. Januar zum Anlass, vor diesen sich ausbreitenden Tendenzen antisemischer und menschenverachtender Hetze zu warnen und alle demokratischen Kräfte — und das ist die große Mehrheit der Gesellschaft — aufzufordern, sich als verantwortungsbereite Demokraten diesen gefährlichen Tendenzen entgegenzustellen.

Mit Blick auf die seit Beginn der Corona-Pandemie neu entstandene Szenerie von öffentlich demonstrierenden und in den Netzen aggressiv agierenden „Querdenkern“, Reichsbürgern und Verschwörungstheoretikern drückt der Vorstand seine Sorge vor einem neuen Schub antidemokratischer und judenfeindlicher Hassbotschaften aus. Unter die demonstrierenden Impfgegner und Kritiker der Corona-Politik haben sich längst zahlreiche Aktivisten aus der AfD, aus rechtsradikalen Gruppierungen und Verschwörungstheoretiker gemischt, die sich die gesundheitlichen Sorgen zahlreicher Menschen zu Nutze machen, um ganz andere Ziele zu verfolgen.

Ihnen geht es darum, das pandemiebedingte Unruhe- und Protestpotenzial zu nutzen, um daraus gesellschaftliche Desorganisation entstehen zu lassen. „Die Sorgen von impfkritischen Menschen müssen wir sehr ernst nehmen“, sagt der Vorsitzende des GHE, Ferdinand  Hoeren, „und wir sollten demokratische Verfahren nutzen, um einen Weg zu finden, mit dem das gesundheitliche Sicherheitsinteresse der Bevölkerungsmehrheit mit den sehr persönlichen Sorgen der Impfkritiker in ein praktikables Verhältnis gebracht werden kann.“ Das hat aber nichts mit dem zu tun, was sich da teilweise auf Straßen und Plätzen abgespielt hat. Scharfmachern unter den Teilnehmern der Impfgegner-„Spaziergänge“ geht es nicht um eine sachliche Auseinandersetzung zum Zweck der Suche nach Problemlösung, sondern im Gegenteil: Hier wird eine Feinderklärung vorgetragen, die die Verantwortlichen für die Maßnahmen der Pandemiebekämpfung kriminalisieren soll.

 Als geradezu empörend sind Versuche von Demonstranten zu werten, die Situation von Impfgegnern in die Nähe von Opfern des Holocaust zu rücken. Dies stellt eine Verhöhnung der millionenfachen Opfer des Nazimordes an den europäischen Juden dar. Menschen, die sich mit Bedenken gegen die aktuelle Corona-Politik tragen, sollten sich sehr genau umschauen, von wem sie sich mit Informationen versorgen lassen und mit wem sie sich gemeinsam auf den Weg einer Demonstration machen. Verantwortungsbewusste und verantwortungsbereite Bürger braucht die Demokratie, um nicht unter den Angriffen ihrer Feinde zugrunde zu gehen.

Das ist die zentrale Botschaft des 27. Januar. Ein Tag, an dem der Opfer des Nazi-Mordes an Millionen Menschen gedacht wird, die vom Nationalsozialismus kollektiv zu Feinden erklärt worden waren und deswegen getötet wurden. Das darf nie wieder geschehen.

Das Gladbacher Haus der Erinnerung ist der Sitz der Vereine Frauenvita/ Frauengeschichtsverein, der Geschichtswerkstatt Mönchengladbach, der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und der Theo-Hespers-Stiftung.

((RP))
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