Gastbeitrag von Hans Schürings Die Ursprünge des „Arbeiterwohl“-Verbandes

Mönchengladbach · Von prekären Lebenssituationen über den Sozialkatholizismus Franz Brandts zur christlichen Gesellschaftsordnung am Ausgang des 19. Jahrhunderts in Mönchengladbach. Und warum eine Neubewertung im Angesicht der Sozialen Stadt lohnt.

 Franz Brandts  (1834-1914), ca. 1911.

Franz Brandts (1834-1914), ca. 1911.

Foto: Stadtarchiv Mönchengladbach

Die Bedeutung des „Volksvereins für das katholische Deutschland“ (1890-1933) für die Sozialpolitik der damaligen Zeit kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Als Volksbewegung mit Zentrale in Mönchengladbach und dem Höhepunkt vor dem Ersten Weltkrieg, setzte der Verein nicht nur Zeichen für eine vielfältige praktisch-soziale Reformarbeit, sondern formte nachhaltig eine christliche Weltsicht, die ihre Spuren noch in der Formulierung der „Sozialen Marktwirtschaft“ nach dem Zweiten Weltkrieg hinterlassen hat.

Dabei steht die Arbeit und Tätigkeit des „Verbandes katholischer Industrieller und Arbeiterfreunde“, kurz „Arbeiterwohl“ (1880-1928) in Mönchengladbach meist im Hintergrund. Mitunter wird er auch verkürzt als Vorgänger des „Volksvereins“ angesehen. Sowohl dem Verband „Arbeiterwohl“ als auch dem „Volksverein“ stand bis zu seinem Tod als kontinuierliches Bindeglied der katholische Gladbacher Textilfabrikant Franz Brandts (1834-1914) vor.

 In ihrer jüngst erschienenen Arbeit über „Hunger, Armut, Soziale Frage“ widmet Christina Riese das größte Kapitel Franz Brandts und dem Verband „Arbeiterwohl“. Ihr Anliegen ist es, zu zeigen, welche bahnbrechende Bedeutung die vielfältigen praktischen sozialen Aktivitäten des Patriarchen Brandts in seinem „Versuchslabor“ (Christina Riese), der eigenen Textilfabrik in Mönchengladbach, hatten.

 Buch Das häusliche Glück

Buch Das häusliche Glück

Foto: Hans Schürings

Im Rahmen des damaligen gewaltigen gesellschaftlichen Umbruchs – und eines sozialen Wandels mit seinen prekären Arbeits- und Lebenssituationen – war für Riese die Brandts’sche Fabrik „der Versuch, eine ideale christliche Arbeitswelt als Keimzelle einer christlichen Gesellschaft in einer industrialisierten und urbanisierten Welt, eine neue ‚christliche Kultur‘ zu schaffen“. Im Zentrum steht dabei der Verband „Arbeiterwohl“, dessen Mitglieder in der Mehrzahl Fabrikanten und katholische Geistliche waren.

 Der eingeschlagene Weg des praktischen Sozialreformers Franz Brandts, als Gallionsfigur des Sozialkatholizismus, mit seiner vielbeachteten und bahnbrechenden Fabrikordnung, zwischen marktorientiertem Liberalismus und klassenkämpferischer Sozialdemokratie, eine neue Ordnung der Gesellschaft zu finden, wurde bisher bei weitem nicht so gesellschaftlich weitreichend bewertet wie durch Riese. Fördernd und überregional vermittelnd für die sozialen Ideen und empirischen Erfahrungen von Franz Brandts und seinen Mitstreitern wurde der Verband „Arbeiterwohl“.

 Fabrikordnung des Unternehmers Franz Brandts

Fabrikordnung des Unternehmers Franz Brandts

Foto: Denisa Richters

Ausgehend von Mönchengladbach sollten unter anderem die christlich-paternalistischen Ideen einer Fabrikführung verbreitet werden. Doch Mitte der 1880er Jahre gelangte man zur Erkenntnis von weitergehenden erforderlichen, die Ordnung der Gesellschaft selbst betreffenden, sozialen Veränderungen. Neben anderem führte dies letztlich auch zur Gründung des „Volksvereins“ im Jahr 1890.

 Neben dem Verband „Arbeiterwohl“, den Riese aus dem Schatten des „Volksvereins“ befreit und ins Zentrum ihrer Arbeit stellt, untersucht sie auch die caritative Arbeit der Vinzenz- und Elisabethvereine, die katholischen Arbeitervereine, die Verhandlungen der Generalversammlungen der Katholiken Deutschlands und die Landverschickungen des Caritasverbandes.

Im Zentrum steht dabei die Fragestellung, durch welche gesellschaftliche – christlich-katholische – Ordnung die prekären Lebenssituationen von Arbeiterinnen und Arbeitern (Hunger, Armut beziehungsweise insgesamt der Sozialen Frage) behoben werden können. Not zu bekämpfen hatte für die Katkoliken am Ausgang des 19. Jahrhunderts „seinen Grund nicht in sich, sondern im Heil der Seelen“, schreibt Riese.

 In der Arbeit des Verbandes „Arbeiterwohl“, mit seinem Sitz in Mönchengladbach, sieht Riese einen, wenn nicht sogar den entscheidenden und folgenreichen Wissenstransfer. Anschauliches Beispiel ist sicher neben den betrieblichen Praktiken des Franz Brandts, auch das zuerst 1881 erschienene Buch „Das häusliche Glück“, das bis 1922 in mehr als 30 Auflagen millionenfach erschien.

 Durch Franz Brandts und primär durch den Verband „Arbeiterwohl“ beeinflusste der Sozialkatholizismus Mönchengladbacher Prägung, der nach Riese „die Kirche in die Arbeitswelt“ holte, nachhaltig nicht nur die Sozialgesetzgebung des Deutschen Kaiserreiches und der Weimarer Republik. Katholiken gaben damit eine christliche Antwort auf den sozialen Wandel und übernahmen Verantwortung für eine neue Ordnung der Gesellschaft.

 Sicher muss die Geschichte des in Mönchengladbach entwickelten Sozialkatholizismus nicht neu geschrieben werden. Aber neu betrachtet und bewertet werden, wie im 2019 erschienenen Buch von Christina Riese, sollte sie schon. Weitergehende Untersuchungen könnten für das Narrativ der Sozialen Stadt Mönchengladbach durchaus förderlich sein.

Riese, Christina: Hunger, Armut, Soziale Frage – Sozialkatholische Ordnungsdiskurse im Deutschen Kaiserreich, 1871-1918, Paderborn, 2019, 418 Seiten, 89 Euro, ISBN: 978-3-506-79272-3

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