Mönchengladbach „Der ist ja gefahren wie eine Sau“

Mönchengladbach · Günter Netzer hat nicht nur als Fußballer bleibende Erinnerungen bei den Gladbachern hinterlassen. Er fuhr mit Porsche, Jaguar und Ferrari gerne durch die Stadt. Und er unternahm nächtliche Touren zu und mit Schauspielstar Elke Sommer.

 Günter Netzer mit seinem Ferrari 512 BB auf einem Bild Ende der 1970er Jahre.

Günter Netzer mit seinem Ferrari 512 BB auf einem Bild Ende der 1970er Jahre.

Foto: dpa/Schweigmann

Es war war in der damaligen Zeit ein höchst ungewöhnliches Bild: ein Lehrling, der zur Abschlussprüfung der Handelsschule mit dem Auto vorfuhr – und nicht mit irgendeinem, sondern mit einem Porsche Cabrio, leuchtend rot mit schwarzem Verdeck, herunter geklappt natürlich. Der junge Mann am Steuer hieß Günter Netzer und beendete an diesem Tag seine kaufmännische Lehre bei Mannesmann-Meer im Gladbacher Westend. Claus Bertram, sein Mitschüler auf dem Math.-Nat.-Gymnasium, bei Mannesmann und in der Handelsschule, erinnerte sich jetzt, als er in dieser Zeitung das Foto des roten Porsche sah, an diesen Tag und daran, dass Günter Netzer die mündliche Prüfung mit sehr freundlicher Hilfe des Prüfenden bestanden hatte.

Netzer hatte aber auch ganz andere Pläne, als einen kaufmännischen Beruf zu ergreifen: Er war seit zwei Jahren „nebenbei“ Vertrags-Fußballer beim Regionalligisten Borussia. Und schon ein berühmter Mann in der Stadt, führte er doch die „Fohlen“ als blutjunger Mittelfeld-Stratege in die Bundesliga und später in Europas Fußball-Elite.

 Günter Netzer 1967 mit seinen Teamkollegen Werner Waddey, Klaus Ackermann, Herbert Wimmer und Herbert Laumen (v.l.) vor seinem Porsche 911.

Günter Netzer 1967 mit seinen Teamkollegen Werner Waddey, Klaus Ackermann, Herbert Wimmer und Herbert Laumen (v.l.) vor seinem Porsche 911.

Foto: imago

Ein junger Mann, der auch schon mal für einen Schabernack zu haben war. Zum Beispiel für ein unerlaubtes Zubehör, das er in seinen Porsche einbauen ließ: eine Hupe, die täuschend echt den Liebesruf eines Bullen imitierte. Auf der Rückfahrt von einem Bundesliga-Spiel in Köln über die Landstraße testete Günter Netzer die Wirkung – mit der Folge, dass erst der Stacheldraht um die Weide den Ansturm der Kühe stoppte. Das „Spielzeug“ verschwand dann schnell wieder: Es entspräche nicht der Zulassung des Autos, musste Günter Netzer sich belehren lassen.

 Günter Netzer setzte sich im höheren Alter an das Steuer eines Jaguar E Type  Cabrio.

Günter Netzer setzte sich im höheren Alter an das Steuer eines Jaguar E Type  Cabrio.

Foto: dpa/SVEN SIMON

Den roten Porsche mit der Typbezeichnung 356 B hat er nicht sehr viel später verkauft, sein Faible für besonders schicke und flotte Autos war geweckt. Nicht nur in Mönchengladbach kennt man diese Liebe Netzers bis heute. Dabei war der Vorgänger des Porsche ein ganz biederer Wagen gewesen: ein gebrauchter Mercedes Diesel 190, 50 PS stark – ein Geschenk des Vaters zu Günters 18. Geburtstag. „Das war zuerst einmal praktisch. Für mich, für die Familie, die auch Platz darin hatte, für den Geldbeutel“, ist in Netzers Autobiographie von 2005 „Günter Netzer – aus der Tiefe des Raumes“ zu lesen. Und: „Mönchengladbach ist ja nicht weit von der niederländischen Grenze entfernt, dort in Holland kostete ein Liter Diesel sechs oder sieben Pfennig.“

 Netzer mit einem Ferrari auf einem Bild aus dem Jahr 1971.

Netzer mit einem Ferrari auf einem Bild aus dem Jahr 1971.

Foto: SVEN SIMON/picture alliance

Besonders schnell war der Wagen natürlich nicht. Aber: „Ich holte dennoch alles aus ihm raus. Kurzum: Ich hatte ein Auto. Ich hatte eine Lizenz zum Fußballspielen. Ich hatte alles, wovon ich schon als Kind geträumt hatte: Fußball und Autos.“ Ein Auto, aus dessen heruntergekurbelten Seitenfenster er lässig den Arm hängen lassen konnte beim „Autoflanieren“ auf der damals noch nicht zur Fußgängerzone erklärten Hindenburgstraße. Und die Passanten zeigten oder riefen „Guck mal, dä Jünter ...“

Borussia stieg auf, machte Furore in der Bundesliga, Netzers anfangs recht bescheidenes Einkommen wuchs rasch. Sein Wunsch nach flotteren Autos wuchs mit und war nicht mehr unerfüllbar. Er konnte sich den Porsche 356 B leisten (der als Oldtimer, wie jetzt gestohlen, heute rund 150.000 Euro kostet), dann den 1964 auf den Markt gekommenen Porsche 911. Und dann war da Netzers Besuch in Düsseldorf bei „Auto Becker“. Dort stand er, der Jaguar E in OTS-Ausführung, „das schönste Auto, das es überhaupt gab zu dieser Zeit“, erzählt Netzer. Ein zweisitziges Cabrio. „Und alles war, wie es im Auto-Quartett gestanden hatte: sechs Zylinder, 265 PS, 240 km/h schnell. Mein Jaguar war antrazitgrau, 26.000 Mark teuer“, schreibt Netzer. „Es ist durchaus befriedigend, wenn man es sich erlauben kann, seine Kindheitsträume zu verwirklichen.“

Doch sein Traum hatte auch Schattenseiten: „Völlig unverständlich war mir, dass ich für diesen Wagen angegriffen wurde in Mönchengladbach, dass man mich in der Mannschaft als Spinner abtat. Ich hatte keine Ideen von Rebellion, und dass ein Jaguar E nicht passen sollte in den kleinbürgerlichen Alltag, auf diesen Gedanken kam ich gar nicht.“

Nur ein Jahr später aber wollte Netzer den Jaguar wieder verkaufen: „Ich liebäugelte mit einem Ferrari, meinem ersten Ferrari, und der stand auch in Düsseldorf bei Auto Becker.“ Ein Abnehmer für den Ferrari fand sich von selbst: Franz Beckenbauer hatte von den Verkaufsplänen gehört. Netzer. „Ich riet ihm vom Kauf des Jaguars ab. Herrje, der Franz in so einem Sportwagen, in dem es auch schon mal ruckelt und zieht und bei starkem Regen durchs Faltdach tropft. Aber Franz war fest entschlossen. Ich überführte den Wagen nach München, Franz war zufrieden und ich auf dem Weg zum Ferrari.“ Zwei Tage später klingelte bei Netzer das Telefon: Franz Beckenbauer, ziemlich ungehalten: „Das ist ja eine Schrottkiste, die du mir verkauft hast!“

Doch Beckenbauer fand schnell einen Abnehmer, einen anderen Nationalspieler: den Kölner Wolfgang Overath. Heinz Vanflorep, Netzers „Mädchen für alles“, brachte den Wagen von München nach Köln. „Dann musste er aber erst einmal zur Generalüberholung zu Auto Becker“, erzählt der 73-Jährige. Trotzdem: „Gesehen habe ich Overath im Sportwagen nie“, heißt es in Netzers Autobiographie. „Doch für mich waren die Mühen eines solchen Sportwagens nicht der Rede wert, weil sie die Schönheit des Autos nicht kaputt machten.“

Aber restlos glücklich wurde Netzer in seinem ersten von bis heute mindestens einem guten Dutzend Ferraris auch nicht „Der hatte 40.000 Mark gekostet und bereits seine Mucken. Und er war mit Vorsicht zu genießen“, schreibt er und erzählt von einem Unfall mit Hacki Wimmer auf der Autobahn in starkem Regen, bei dem der Wagen ins Schleudern geriet, sich um die eigene Achse drehte und in die Leitplanke krachte: „Es ist uns nichts passiert. Zitternd, aber heil stiegen wir aus.“ Und er gibt zu: „Ich fuhr zwar nicht, wie man so so sagte, wie eine besenkte Sau, aber durchaus zügig, manchmal zum Ärger anderer Verkehrsteilnehmer.“

Keine besenkte Sau? Eine Mitfahrerin hat Netzers Fahrstil einmal so beschrieben: „Der ist ja gefahren wie eine Sau!“ Die Mitfahrerin heißt Elke Sommer, Schauspielerin, Sängerin, Regisseurin und Malerin. Günter Netzer hat 2005 in seiner Autobiographie erkennen lassen, dass seine häufigen Spritztouren zu ihr nach Süddeutschland in seinen beiden letzten Jahren bei Borussia mehr waren als nur High-Society-Treffen mit Stars aus Film und Showgeschäft. Die heute 77-jährige Elke Sommer selbst hat 2004 in einem Zeitungs-Interview gesagt, sie ärgere sich heute noch, dass „aus der Bekanntschaft nicht mehr geworden“ sei. „Aber ich war ja damals noch mit meinem ersten Mann verheiratet.“ Und: „Günter war ja auch nicht schön, aber er kam mir immer wie ein Engel vor.“ Auch wenn er fuhr wie eine Sau ...

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort