Kolumne Denkanstoß Friedhöfe sind Orte der Hoffnung

Meinung | Mönchengladbach · Friedhöfe sind „Fluchtpunkte“ der Natur im Grau unserer Städte, schreibt unser Autor. Wie das auf dem evangelischen Friedhof in Rheydt gelebt wird.

Das Café Eden am evangelischen Friedhof in Rheydt.

Foto: Olaf Nöller

Wenn man wie unsere Kirchengemeinde einen über zweihundertjährigen Friedhof betreibt, gibt es öfter Probleme mit denkmalgeschützten Friedhofsmauern. Irgendwann beginnen sie zu bröckeln, und dann wird‘s teuer! Abreißen und in Beton neu hochziehen geht ja nicht. Aber alte Ziegelsteine wiederzuverwenden, das erfordert handwerkliches Können und viel Geld. Davon können wir ein Liedchen singen, weshalb wir in Kürze einen „Förderverein Evangelischer Friedhof Rheydt e.V.“ ins Leben rufen.

Es gibt aber noch ganz andere „Friedhofsmauern“, die uns zu schaffen machen! Die sollten wir keinesfalls hegen und pflegen, sondern versuchen, sie niederzureißen und ihr Baumaterial möglichst gründlich wegzuräumen... Es geht um jene unsichtbare Barrieren in den Köpfen von Menschen, die ihnen grundsätzlich die Zugänge zu Friedhöfen erschweren oder sogar verschließen. Der Friedhof wird zur Tabuzone des Lebens!

Öfter beobachtete ich, dass Menschen unschlüssig waren, ob sie zu einer Beerdigung gehen sollten. Ich habe es sogar erlebt, dass Kinder nicht zum Begräbnis der Eltern kamen. „Ich kann das nicht, ich schaffe das nicht!“, ließen sie zumeist verlauten. Einzelfälle? Wir sollten uns – ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben – fragen, was Menschen davon abbringt, auf Friedhöfe zu gehen oder auch bereitwillig die Gräber ihrer Vorfahren zu pflegen, wie es früher der Fall war.

Nun ist ein Friedhof kein harmloser Ort! Hier werde ich damit konfrontiert, dass alle Menschen sterbliche und vergängliche Geschöpfe sind. Ja, im Kern geht‘s um das, was der alte Heidelberger Katechismus gleich am Anfang fragt: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“ Im Konfirmandenalter, als ich jene Frage eins auswendig lernen musste, verstand ich nichts davon. Mit 65 Jahren spüre ich, dass das sehr wohl mit mir zu tun hat. Eigentlich kommt keiner daran vorbei, sich zu hin und wieder zu fragen: Wer und was fängt mich auf? Wer und was tröstet und stärkt mich, wenn die Fundamente des Lebens wanken? Was gibt mir dennoch Zuversicht, auch wenn sich der Horizont der Welt verdunkelt?

Meine Einsicht ist, dass man besser nicht allein vor sich hinbrütet. Es tut gut, mit anderen in einen Austausch zu treten. Gerade wer Trauerarbeit zu leisten hat, macht so die Erfahrung, dass auch andere mit dem Schmerz der Trennung oder ähnlichen Fragen der Krisenbewältigung ringen. Darum gründeten wir 2023 „Cafe´ Eden“ auf dem Friedhof. Einmal in der Woche wird es zum Ort der Begegnung für Trauernde und Nichttrauernde. Oft schon berührten mich beim Zuhören die tiefgehenden und auch lebensbejahenden Gespräche, die dort geführt werden, aber auch Kontakte und Verbindungen entstanden so – und dies unweit der Gräber!

Wir verstehen unseren Friedhof, der eingetragenes Baudenkmal ist, aber auch als „Lernort“ der Erwachsenenbildung und als stadthistorischen Entdeckungsraum. Wir bieten in unseren neuen Räumen Seminare, Vorträge, Ausstellungen und Konzerte an, aber auch Führungen – zum Beispiel mit einer Kräuterpädagogin – die helfen sollen, Zugänge zu dem Ort und damit den existenziellen Fragen des Lebens zu finden. Und wer, nebenbei gesagt, die Sprache der Symbole auf alten Grabsteinen zu entschlüsseln vermag, wird merken, dass jeder Friedhof eine aufgeschlagene Bibel ist.

Vor allem sind Friedhöfe „Grüne Oasen“ und wertvolle Biotope im Stadtraum. Insekten und Vögel finden hier Lebensräume. Es ist erstaunlich, wie viele Baumarten wachsen. Das Gleiche gilt für seltene Pflanzenarten, die wir oft als „Unkraut“ bezeichnen, die aber wertvoll sind für andere Lebewesen. Friedhöfe sind „Fluchtpunkte“ der Natur im Grau unserer Städte. Deshalb sollten wir lernen, sie umfassend als „Orte der Hoffnung“ zu sehen. Sie sind unverzichtbar, weil sie uns helfen, den Tod ins Leben zurückzuholen. Sonst würde etwas fehlen, denn ausgerechnet „Gevatter Tod“ hilft uns, das eigene Leben zu verstehen und es dankbarer zu leben und zu genießen.

Olaf Nöller ist evangelischer Pfarrer im Ruhestand aus Rheydt.