Gladbacher Lesebuch (26) Vom Torwart zum Rechtsaußen bei Borussia

Mönchengladbach · Unser Autor war in den 1950er Jahren Jugendlicher und begeisterter Fußballer. In dieser Folge des Gladbacher Lesebuchs erzählt er, wie er Spieler bei Borussia Mönchengladbach wurde und wie er die Fußball-WM 1954 erlebte.

 Fritz Walter (vorne) nach dem Triumph bei der Fußball-WM 1954.

Fritz Walter (vorne) nach dem Triumph bei der Fußball-WM 1954.

Foto: dpa

Im Sommer 1950 wurde ich Auslieferungsfahrer bei einer Metzgerei. Da war ich noch keine zwölf Jahre alt. Die Arbeit begann donnerstags nach der Schule, ich habe mit gewurstet und die Wurstküche reinigen müssen. Ich bekam vor jeder Arbeit eine warme Fleischwurst zu essen. So um die Jahre 1951 bis 1952 änderte sich langsam etwas. Wir brauchten keine Kohle mehr zu besorgen. Wir gingen auch keine Ähren mehr sammeln, auch nicht mehr bei den Bauern nach Essbarem fragen, denn es gab mittlerweile alles zu kaufen. Unsere Mutter bekam eine Hinterbliebenenrente und für uns Waisenrente und hatte dazu noch zwei Putzstellen, es wurde nicht mehr gehungert. Wir wurden satt und unsere Mutter hatte auch noch ein paar Mark für unsere Kleidung. Zudem hatte ich meinen Nebenverdienst beim Metzger.

Ich hatte mich ohne das Wissen meiner Mutter dem Fußballclub Grün-Weiß Holt angeschlossen. Man stellte mich ins Tor, ich hatte vorher Handball gespielt und dort war das Bällefangen Standard. Es war zu der Zeit, als keiner Torwart oder Linksaußen spielen wollte. Das erste Jahr spielte ich in der C-Jugend. Ab dem zweiten Jahr wurde ich in die Kreisauswahl und Niederrhein–Auswahl als Torwart berufen. Bei einem Vorspiel von der ersten Mannschaft von Borussia Mönchengladbach auf dem Bökelberg schlugen wir die C-Jugend von Borussia. Darauf wurden mehrere Spieler unserer Mannschaft zum Probetraining zur Borussia eingeladen. Ich durfte als einziger von Holt bei der Borussia anfangen.

 Helmut Arnold spielte in der B 2 von Borussia Mönchengladbach. Die große Karriere blieb ihm wegen einer Verletzung verwehrt.

Helmut Arnold spielte in der B 2 von Borussia Mönchengladbach. Die große Karriere blieb ihm wegen einer Verletzung verwehrt.

Foto: Helmut Arnold

Hier entstand für mich ein Problem, denn ich brauchte die Unterschrift meiner Mutter. Als diese Leute bei meiner Mutter auftauchten, war sie überrascht, denn sie dachte noch, dass ich beim 1. FC Handball spiele. Nach langem Zögern hat meine Mutter dann doch unterschrieben. Ich bekam eine Sperre, da ich Auswahl gespielt hatte und begann die neue Serie als B-Jugendspieler. Beim ersten Training wurde ich von Trainer Bernhard Schiller gefragt, was ich spielen könne und meine Antwort war: Torwart. Der Trainer sagte mir, dass die B-Jugend genug Torleute hat, ich könne als Feldspieler eingesetzt werden. Er war eine Größe als Borussenspieler gewesen und war ein guter Trainer.

Also spielte ich mein erstes Spiel im Feld als Rechtsaußen, aber für die B 1 war ich zu schlecht. Der Absturz war enorm, ich durfte danach B 3 spielen, um wieder in eine bessere Mannschaft zu kommen, in die B 2. Dafür habe ich Freizeit opfern müssen, jede freie Minute trainierte ich mit Platzwart Kamps immer gegen eine Wand, rechter Fuß und linker Fuß und sofort zurück spielen, um ein Ballgefühl zu bekommen. Durch dieses Training wurde ich beidfüßig. In der Rückrunde wurde ich Torschützenkönig. Auch im zweiten Jahr spielte ich B 2 und wurde wieder Torschützenkönig.

Am 1. April 1953 begann ich meine Lehre bei der Textilfirma Voss & Clermont an der Aachener Straße als Wollstoffmacher-Lehrling. Meine Beschäftigung in der Textilindustrie endete erst am 30. September 2001 - nach fast 48 ½ Jahren, eine verdammt lange Zeit. Da ich bei der Borussia spielte, hatte ich Vergünstigungen. Ich durfte in der Spätschicht zum Training fahren, anschließend musste ich zurück zur Spätschicht, die bis 24 Uhr ging.

1954 war das Jahr, als Deutschland Fußballweltmeister wurde. In einem Eiscafé wurde ein Fernseher aufgestellt, in Schwarz-Weiß in der Größe von etwa 40 bis 50 Zentimetern. Wir saßen als Jugendliche mindestens 15 Meter entfernt, gesehen habe ich nur ein wenig, aber das Erlebnis dabei zu sein, war schon enorm. Dazu die erste Fernsehsendung und zum Schluss auch noch Weltmeister werden, einfach Klasse. Richtig gesehen habe ich dann diese Spiele im Kino auf einer großen Leinwand. Wir eiferten den Spielern nach und wollten Weltmeister sein, auch heute kenne ich noch die ganze Mannschaft mit Namen. Es waren unsere Vorbilder.

Im März 1956 beendete ich meine Lehre und wurde von der Firma übernommen. Bei Borussia wurden wir nach der Saison zu vielen Vereinen geschickt, die ein Fest hatten. Wir wurden als Borussia groß angekündigt, es stand nicht geschrieben, um welche Mannschaft es sich handelte, wir waren einfach Borussia, und der Name zog. Für manche Jungen und Mädchen waren wir etwas Besonderes, ich kann mir vorstellen, wie sich heute die Stars fühlen, wenn sie angehimmelt werden und mancher die Bodenhaftung verliert.

Ab August wurde ich Senior bei Borussia und kam in die Lehrmannschaft, das war ein Auffangbecken für alle, die aus der Jugend kamen. Danach kam ich in die zweite Amateur-Mannschaft, um nach einigen Spielen in die erste Amateur-Mannschaft aufzurücken, die spielte Landesliga. Das Jahr 1957 lief sportlich ganz gut, ich war Stammspieler der ersten Amateurmannschaft und der damalige Trainer Pliska, der die Vertragsmannschaft trainierte, sagte mir eine große Karriere voraus. Unsere Auswärtsspiele waren über den ganzen Niederrhein verteilt. Nach jedem Spiel wurden wir vom Verein beköstigt, und zum Essen gab es Freibier, die meisten Getränke kamen dabei aber nicht vom Verein, sondern von unseren Anhängern. Nach Hause fuhr ich mit der Straßenbahn. Wir bekamen auch Spesen pro Spiel, pro Monat durften wir nicht mehr als 59,95 Deutsche Mark (DM) bekommen, sonst hätten wir unseren Amateur-Status verloren, darauf wurde strengstens geachtet. Diese Spesen waren eine gute Einnahmequelle, ich hatte dadurch immer Geld zur Verfügung. Allein für dieses Geld brachte ich eine Leistung, um nicht aus dem Kader zu fallen.

Bei einem Gespräch mit der Borussia sagte man mir, dass ich zum Saisonbeginn 1958 vielleicht einen Vertrag bekomme, und ich durfte bei den Vertragsspielern mittrainieren. Doch es kam anders: Am 21. März 1958! Der Trainer hatte ein Sondertraining angeordnet. Wir mussten eine Runde um den Platz laufen, das hieß etwa alle drei Meter stand ein Betonpfosten, durch diese lief in etwa 80 Zentimetern ein Handlauf. Wir mussten einmal über die Stange springen und einmal unter der Stange abtauchen. Danach wurde ein Spiel gemacht. Bei dem erlitt ich einen Schien- und Wadenbeinbruch. Ich kam ins Krankenhaus Maria Hilf, das Bein wurde gerichtet und in Gips gelegt. Der Verursacher hat sich nie bei mir gemeldet. Ich unterstelle ihm keine Absicht, aber es gab auch damals schon Konkurrenzkämpfe.

Zu Hause bekam ich von meinen Bekannten Besuch. Von der Borussia kam selten einer, auch seitens der Vereinsführung kam selten einer. Über eine Fürsorgepflicht des Vereins wurde wahrscheinlich nie nachgedacht. Vom Geschäftsführer der Borussia bekam ich mitgeteilt, dass ich einen Antrag bei der Sporthilfe machen sollte. Ich bekam daraufhin von dieser 500 DM. Weiterhin sollte ich noch einen Antrag stellen wegen Härtefall als Haupternährer, der wurde abgelehnt. Bei einer späteren Buchprüfung bei der Borussia wurde festgestellt, dass mir noch 384 DM zugestanden haben und auch über die Borussia mir zugewiesen worden sind. Diese sind bei mir aber nie angekommen. Der Verein teilte mir mit, dass ich gegen den Geschäftsführer klagen soll, aber das hat nicht geklappt, weil der verstorben war. Der Verein kam für dieses Geld jedoch nicht auf, also bin ich um dieses Geld betrogen worden.

Auf Vermittlung von Borussia und einigen Mitspielern konnte ich am 8. September 1958 bei der Firma Achter & Ebels als Kettenschärer anfangen. Bei dieser Firma blieb ich bis zu meinem Renteneintritt im Jahre 2001 mit 63 Jahren. Ich hatte mich bei der Einstellung verpflichtet, in der Betriebsmannschaft Fußball zu spielen. In den 60er und 70er Jahren hatte fast jede Firma eine Mannschaft, es wurden regelmäßig Meisterschaften ausgespielt. Wir wurden über Jahre hinaus Meister.

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