Kampagne für autofreien Schulweg Eltern-Taxis sorgen für Staus vor Schulen

Mönchengladbach · Immer mehr Eltern bringen ihre Kinder mit dem Auto zum Unterricht. Das sorgt für Unübersichtlichkeit und gefährliche Situationen. Das Projekt „Goldi Go!“ wirbt dafür, dass wieder mehr Kinder zu Fuß oder mit dem Rad zur Schule kommen.

 An der Annaschule halten morgens viele Eltern-Taxis direkt vor dem Schultor. Das gilt auch für andere Schulen.

An der Annaschule halten morgens viele Eltern-Taxis direkt vor dem Schultor. Das gilt auch für andere Schulen.

Foto: Isabella Raupold

Es ist 7.42 Uhr an diesem Morgen, und im Mönchengladbacher Stadtteil Windberg gerät der Verkehr mal wieder gehörig ins Stocken. Eine Großbaustelle an der Annakirchstraße verschärft das Problem noch. Die Autos schlängeln sich von drei Seiten an der katholischen Annagrundschule vorbei. Pendler wollen zur Arbeit, Rentner zum Arzt – und Eltern wollen ihre Kinder zur Schule bringen und dann selbst schnell weiter. Alle haben es offenbar eilig. Ein kleines Mädchen steht an der Ampel und wartet auf Grün, um hinüber Richtung Schulhof zu gehen. Als das Signallicht umspringt, zögert es aber, weil durch den Rückstau Autos den Weg versperren. Für ein Kind, ungeübt im Straßenverkehr, eine sehr ambitionierte Aufgabe. 

An der Bushaltestelle direkt an der Schule ist irgendwann an diesem Morgen nicht mehr davon auszugehen, dass ein Bus dort tatsächlich halten könnte, weil Eltern „nur mal schnell“ ihre Kinder aussteigen lassen. Ein paar Meter weiter sind freie Stellplätze. Doch die werden nicht genutzt. Viele Eltern, so gewinnt man den Eindruck, würden am liebsten mit ihrem Auto bis ins Klassenzimmer vorfahren, Scheibe runter, kurzer Blickkontakt, um sich auch ja zu versichern, dass das Kind auch im Unterricht ankommt.

Die Annaschule ist mit dieser Situation natürlich keine Ausnahme. Überall im Stadtgebiet sind solche oder ähnliche Situationen am Morgen oder nach Unterrichtsende zu beobachten. Auch an der Lochnerallee, wenn Eltern die Grenzen, von denen sie selbst hoffen, dass Schule sie den Kindern beibringt, überschreiten. Wenn sie sich ins absolute Halteverbot stellen und ihren Verstoß noch nicht einmal verstehen. Eine Frau im komfortablen SUV fährt kurz nach 8 Uhr an der Vitus-Schule vor. Der Unterricht beginnt erst in zehn Minuten. Es wäre also durchaus noch Zeit. Doch der bequeme Weg gewinnt. Der Wagen rollt in die Feuerwehrbewegungszone, ins absolute Halteverbot. Der Motor läuft, die Tür zur Straßenseite geht auf. Das Kind steigt alleine zum Verkehr hin aus und geht zum Gebäude. Der Verkehrspolizist kann aus der Ferne nur mit dem Kopf schütteln. Er ist gerade mit einem anderen Vater beschäftigt, dem er erklärt hat, wo er nicht parken darf.

Jana Sabbouh und ihre Tochter kommen mit den Rad zur Schule. „Wir sind in den Ferien den Schulweg abgefahren und haben geschaut, wo es am sichersten ist“, sagt sie. Das machen längst nicht alle Eltern so. Eltern-Taxi heißt das Phänomen, das seit einigen Jahren Schulen, Städte und Polizei beschäftigt.

 Das Projekt „Goldi go“ soll dafür werden, dass Kinder (wie hier Schüler der Nordstraße) wieder zu Fuß zur Schule gehen.

Das Projekt „Goldi go“ soll dafür werden, dass Kinder (wie hier Schüler der Nordstraße) wieder zu Fuß zur Schule gehen.

Foto: Ilgner Detlef (ilg)

Das Projekt „Goldie Go!“ soll nun ein Umdenken bewirken. Stadt, Verkehrswacht, Stadtsparkasse und Polizei sind daran beteiligt. „Die Kinder sollen sich in der Stadt zurecht finden. Wir wollen es zusammen mit den Eltern machen. Wir sind alle gefordert“, sagt Monika Müller, Fachberaterin Verkehrserziehung der Stadt Mönchengladbach. Sechs  Schulen, darunter auch die KGS Nordstraße, nahmen an der Pilotphase teil. „Wir haben ein Plakat in der Klasse, jedes Kind, das zu Fuß oder mit dem Rad kommt, darf einen Aufkleber darauf kleben. Ist die Reihe voll, dürfen wir einen goldenen Schuh auf das Plakat kleben“, erklärt Schülerin Ana Galovit. Ihre Klassenkameradin Anna Küster ergänzt: „Wir kommen immer zu Fuß. Ich finde das gut. Dann ist man schon fit, wenn man in der Schule ist, und man kann sich dabei unterhalten.“  2019 nehmen alle Mönchengladbacher Grundschulen an dem Projekt teil.

Polizist Karl-Heinz Ditges, genannt Kalle, steht mit Erstklässlern der Annaschule in Windberg in einer Seitenstraße der Annakirchstraße. „Ich habe ein Spiel für euch: Wer zuerst die Kappe auf der anderen Straßenseite berührt, hat gewonnen.“ Aber es gewinne nur der, „der die Straße so überquert, wie wir es geübt haben.“, fügt Ditges hinzu. Er gibt das Startsignal. Die Kinder rennen los. Vergessen ist das Geübte.

Die Eltern sind erstaunt. Ditges nicht, er kennt die Reaktion von Kindern in Gruppen. „Das wollte ich zeigen. Die Kappe kann auch die Oma sein, die winkt, oder ein Hund, den man streicheln will. Die Kinder blenden die Gefahr in dem Moment aus und rennen über die Straße.“ Der Polizist möchte, dass die Eltern sehen, wie Kinder im Straßenverkehr reagieren, dass sie bestimmte Dinge einfach noch nicht einschätzen können. Die Botschaft ist angekommen. „Man muss mehr vorleben“, sagt ein Vater. „Mehr Zeit ist auch wichtig“, sagt eine Mutter. Die Eltern möchten, dass ihre Kinder sicher zur Schule kommen und fahren sie daher oft lieber mit dem Auto. Auch der Faktor Zeit spielt am Morgen eine Rolle. Verständlich, wenn beide Elternteile berufstätig sind. Aber leider erweisen sie ihren Kindern damit häufig einen Bärendienst, weiß die Polizei. Denn sicherer sei das Elterntaxi nicht unbedingt.

„Viele Kinder laufen einfach über die Straße, statt über die Ampel“, sagt Katrin Bertheau, ehrenamtliche Lotsin. Somit entstehe, neben dem regen Verkehr auf der Straße, ein zusätzliches Gefahrenpotenzial. Hinzu komme, dass die Kinder ihre Umgebung nicht mehr kennen und weniger Bewegung haben. „Es ist okay, wenn Eltern ihre Kinder fahren. Aber dann kann man ja etwas abseits parken und das Kind den Rest des Weges begleiten“, sagt sie.

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