Versandhändler in Mönchengladbach Ein Blick hinter die Kulissen von Zalando

Mönchengladbach · Der Versandhändler steht regelmäßig wegen seiner Arbeitsbedingungen am Pranger - nun auch in Gladbach. Eine kritische Auseinandersetzung.

Zalando schafft in Mönchengladbach 1000 neue Jobs
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Als die vier sich für das Foto aufstellen, ertönt ein gemeinschaftliches "Wir sind ein Teeeeeam". Das fördert nicht nur, wie "Spaghetti", ein Lächeln für die Kamera zutage. Es ist auch Ausdruck blanker Ironie. Denn "Wir sind ein Team" wird zu jedem Schichtbeginn bei Zalando gerufen. Und in einem Team mit ihren Kollegen im Güdderather Logistikzentrum des Online-Versandhändlers sind die vier nicht länger. Ihnen wurde gekündigt.

Warum? Darüber lässt sich nur spekulieren. Die dazugehörigen Schreiben, die mir vorliegen, ebenso wie die Arbeitsverträge, geben keine Auskunft. Das müssen sie aus arbeitsrechtlicher Sicht auch nicht, denn alle vier Ex-Mitarbeiter waren noch in der Probezeit. Trotzdem ließe sich leicht etwas aus den Schreiben und den Geschichten der vier herauskristallisieren: Zalando könnte durchaus eine ganz neue Form der "Hire and fire"-Mentalität entwickelt haben.

Stefan Najda, Verdi-Handelsexperte in Berlin, beobachtete Vergleichbares zumindest für Zalandos erstes Geschäftsjahr im Logistikzentrum Erfurt: Dort habe man im Laufe von zwölf Monaten durch stetiges Entlassen und Neueinstellen die Belegschaft einmal runderneuert. Ein mündiges Teeeeeam, das sich etwa für eine Betriebsratsgründung einsetzt, kann sich so kaum zusammenfinden.

Und von da hätte diese Geschichte ihren gewohnten Gang nehmen können. Gewohnt deswegen, weil die Berichterstattung über Zalando sich zuletzt oft auf fragwürdige Arbeitsbedingungen konzentrierte. Und die vier Entlassenen - vier sympathische, glaubwürdige Menschen, die auf mich weder arbeitsscheu noch wie Berufs-Querulanten wirken - könnten ihren Teil zu dieser langen Liste hinzufügen. Sie berichten mehr oder weniger das, was ZDF und RTL in ihren Undercover-Reportagen zutage förderten - nur eben aus Gladbach diesmal.

Sie schildern kilometerlange Gewaltmärsche durch die Hallen, schikanöse Leibesvisitationen und permanente Überwachung in einem streng hierarchischen und erbittert auf Leistung getrimmten System, das einer düsteren Dystopie ähnelt. Sie berichten davon, wie sie von 20- bis 25-jährigen Vorgesetzten zusammengebrüllt werden, davon, wie Entlassene vom Securitydienst von jetzt auf gleich vom Gelände eskortiert werden.

Sie erzählen von überhitzten Hallen ("Lass die doch verrecken, wir kriegen eh neue vom Arbeitsamt", soll ein Teamleiter gesagt haben, als Mitarbeiter baten, dass ein Fenster oder ein Rolltor geöffnet werde) und von dem Mann, der sich mit anderen traf, um mal lose über das Thema Betriebsrat zu sprechen und am nächsten Tag gekündigt war. In der Zwischenzeit waren einige der vier im WDR zu sehen; ihnen geht es erkennbar nicht um Kohle oder Aufmerksamkeit - sondern darum, dass ihre Ex-Kollegen künftig bessere Arbeitsbedingungen haben werden.

Reporterin filmt bei Zalando mit versteckter Kamera
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Reporterin filmt bei Zalando mit versteckter Kamera

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So weit das Hätte, Wäre, Wenn. Denn da gibt es auch noch die andere Seite der Geschichte, die von Zalando. Dort wirkt man, als ich die Vorwürfe anbringe, freudig überrascht über die Möglichkeit, einmal nicht bloß zu reagieren, sondern vorab angehört zu werden. Schnell und gründlich werden meine Fragen beantwortet. "Das Ziel von Zalando ist es, sich langfristig in der Region Mönchengladbach zu etablieren und eine eingespielte Mannschaft am Standort aufzubauen. Daher werden wir die Verträge kontinuierlich entfristen", heißt das dann offiziell etwa.

Vulgo: Wenn man uns einerseits vorwirft, so sehr auf Zahlen und Leistung zu gucken, dann wären wir doch schon blöd, durch permanente Fluktuation schlechtere Zahlen als nötig zu erzielen. In Brieselang (Havelland), dem ältesten der drei deutschen Standorte, hätten gegenwärtig bereits 43 Prozent aller Mitarbeiter einen unbefristeten Vertrag, "Tendenz natürlich steigend", sagt Zalando-Sprecher Matthias Ernst.

Die Klientel, mit der man es zu tun habe, sei eine schwierige, und nicht in jedem Fall seien Mitarbeiter wieder an Arbeitsprozesse zu gewöhnen oder erwiesen sie sich als teamfähig, heißt es weiter. Es gebe Sozialstandards, die zweimal jährlich von der Dekra kontrolliert würden. Man setze künftig auf noch intensivere Schulungen für Vorgesetzte. Das begleitete Vom-Gelände-Führen diene der Sicherheit. Seit den Enthüllungsberichten habe sich vieles getan, so gebe es etwa deutlich mehr Sitzmöglichkeiten.

Dann werde ich schon für den nächsten Tag ins Logistikzentrum eingeladen, als wohl erster Journalist überhaupt. Mit David Schröder, Zalando-Chef für Personal und Logistik, und Niederlassungsleiterin Christel Harbig entspinnt sich eine interessante, offene Diskussion, die später, anders als angekündigt, zu meinem Bedauern nicht als Interview freigegeben wird - weil ganz ursprünglich als Hintergrundgespräch ausgelegt, argumentiert Zalando nun (was stimmt).

Tenor des Gesprächs: Zalando habe in der Vergangenheit beileibe nicht alles richtig gemacht, man lerne täglich dazu und sei auch künftig bereit zu lernen, zu verbessern. Ich erfahre auch etliches, das für Zalando spricht und bisher kaum bekannt ist, weil das Unternehmen es - ganz im Gegensatz zu seiner aggressiven Werbung - irgendwie versäumt zu haben scheint, es so recht zu kommunizieren. Was ich auch merke: Nicht alles, was gesagt wird, entspricht der Wahrheit - dass die 500-Euro-Prämie für angezeigte Diebstähle (die berüchtigte "Denunziantenprämie") in Gladbach nie zum Einsatz gekommen sei etwa (das Formular liegt mir vor). Aber das meiste wirkt aufrichtig, manches selbstkritisch. Zalando müsse sich mehr öffnen, heißt es an einer Stelle.

"Bevor Verdi kam, wurden extra feuchte Tücher ausgelegt und zusätzliche Stühle aufgestellt", warnten mich im Vorfeld die vier Entlassenen. Als ich durch die Hallen geführt werde, wirkt nichts aufgehübscht, nichts gestellt. Schon vor dem Werkstor habe ich mich mit Angestellten vor dem Schichtwechsel unterhalten; sie hatten kaum etwas zu bemängeln. Auch andere Mitarbeiter, mit denen ich später spreche, äußern sich so: Logistik sei generell kein Zuckerschlecken, und bei Zalando sei es weder viel besser noch schlechter als anderswo.

Ich erfahre, dass "Frontal 21" auch in Gladbach für einen Zalando-Beitrag recherchiert. Der lief letzten Dienstag und enthüllte, dass das Unternehmen im Osten der Republik 35 Millionen Euro an Subventionen einstrich. Ich spreche mit Uwe Diedrich, bei Verdi zuständig für den Standort Brieselang. Er hält Herrn Schröder für einen Menschen, der sich aufrichtig eine bessere (Zalando-)Welt wünscht. "Aber die, die in der Firma wirklich etwas zu sagen haben, ziehen da nicht immer mit", sagt der Gewerkschaftler. Was er aber auch sagt: In Brieselang wurde frisch ein Betriebsrat gewählt, "absolut störungsfrei".

Für Zalando ist die Wahl eine Premiere, Gladbach ist davon noch weit entfernt. "Vertreter der Führungsebene haben mehrfach in Mitarbeiterversammlungen bekräftigt, dass Zalando einer formellen Mitbestimmung in Form eines Betriebsrates offen gegenübersteht", sagt Zalando-Sprecher Boris Radke. Die Initiative dazu müsse jedoch aus der Belegschaft kommen. Das sei in Brieselang erfolgt. In Gladbach gebe es dafür keine Anzeichen. Wohl aber für ruhigeres Fahrwasser für die Angestellten. Seit den jüngsten Medienanfragen gehe es im Betrieb plötzlich "viel lockerer" zu, sagen mir meine Informanten. Und es werde auch viel weniger entlassen.

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