Diskussion in Mönchengladbach Zur Lage der Gladbacher Wirtschaft

Mönchengladbach · Gewerbeflächen für Mittelstand, eine starke Hochschule mit Logistik-Expertise, Ideen für den Einzelhandel, der sich gegen die Online-Konkurrenz behaupten muss – darüber diskutierten Experten jetzt beim Immobiliendialog.

 Der Einzelhandel (hier die Hindenburgstraße) war jetzt Thema beim Immobiliendialog in der Stadtparkasse.

Der Einzelhandel (hier die Hindenburgstraße) war jetzt Thema beim Immobiliendialog in der Stadtparkasse.

Foto: Bauch, Jana (jaba)

Der Tenor war eindeutig: Mönchengladbach hat sicher viele Kanten und Ecken, aber auch jede Menge Potential. Das jedenfalls nahmen die Teilnehmer des Immobilien-Dialogs des Veranstalters Heuer  in den Räumen der Stadtsparkasse mit. Auf der Agenda der Tagung mit Fachleuten und Vertretern der Stadt standen Zukunftsstrategien und Projekte der Stadt, Wohnungsbaupotential und regionale Reaktionen auf den Druck des Immobilienmarktes.

Zum Panel „Mönchengladbach ist attraktiv“ moderierte Projektmanagerin Jasmin Busse-Schlaudecker das Gespräch über den Standort. Makler Norbert Bienen, Vorsitzender des IHK-Immobilienausschusses, hob hervor, dass in der Stadt unterschiedliche Kräfte „an einem Strang ziehen“, Fördervereine, Initiativen und Unternehmen aktiv seien und von Verwaltung und Politik gehört würden. „Was unsere Wirtschaft ausmacht, sind die mittelständischen Unternehmen. Es ist wichtig, dass wir für sie Gewerbeflächen bereithalten“, so Bienen. Bernd Hütter, Geschäftsführer der Dornieden Generalbau GmbH, sagte, Mönchengladbachs Vorteil liege in der Möglichkeit, auf ein breites Umfeld zurückgreifen zu können. „Für viele ist es interessant, hier einen Job zu haben, dabei die Stadt kennenzulernen und sich vielleicht zu denken, hier ziehe ich hin“, so Hütter.

Zugleich stellte er fest, dass es bei einem großen Teil des Immobilien-Bestands aus den 1960er Jahren an Qualität fehle. Hier sollte das eine oder andere ersetzt werden – passend zu Zielgruppen und qualitativ hochwertig. Sparkassen-Vorstand Hartmut Wnuck  bezeichnete die Hochschule als besonderen Schatz. Es sei allerdings schade, dass noch viele Studierende nach dem Abschluss die Stadt verlassen würden. Dabei böten die Quartiere doch bereits schöne Räume, an zentralen Stellen müsste aber noch auf mehr „Liebenswürdigkeit“ geachtet werden. Zur Kaufkraft in Mönchengladbach stellte Wnuck fest, dass die Arbeitslosigkeit in der Stadt rückläufig, aber immer noch hoch sei. Das Netto-Einkommen liege unter Bundesdurchschnitt, die Zentralitätskennziffern aber darüber.

Christel Habig, Standortleiterin bei Zalando im Regiopark, nannte als Gründe für eine Ansiedlung des Unternehmens in Mönchengladbach die Verfügbarkeit von gewerblichen Mitarbeitern, die logistische Infrastruktur mit guter Anbindung zur Autobahn und die Zusammenarbeit mit der Stadt. Sie betonte, dass das Unternehmen im Bereich der Fachkräfte ausbauen wolle, in Verbindung mit der Hochschule Niederrhein sowie der Fontys Venlo stehe und einen dualen Studiengang anbiete. „Ein Fachbereich Logistik in Mönchengladbach wäre toll“, so Habig.

Zum Themenbereich Einzelhandel und Tourismus referierte Professor Gerrit Heinemann, Handelsexperte der Hochschule Niederrhein, über „Local Commerce – Dichtung und Wahrheit im Einzelhandel“. Wie der an Goethes Lebensgeschichte angelehnte Titel vermuten ließ, räumte Heinemann mit verbreiteten Mythen zum Einzelhandel auf. Bis ins Jahr 2030 würden in Nordrhein-Westfalen 20.000 Geschäfte schließen, sagte Heinemann voraus. Der Kunde setze Handel und auch Banken durch die Nutzung des Internets unter Zugzwang.  Die weit verbreitete Nutzung des Smartphones führe dazu, dass Kunden gewünschte Produkte und einen Preisvergleich „zuhause“ finden. Heinemann sprach von einer „Amazonisierung“ des Handels.

Bei den Unter-30-Jährigen beobachtet er die vierte Welle eines veränderten Einkaufsverhaltens – das App- und Wish-Browsing, mit dem sich alle Produkte in China finden lassen.  Innerhalb von 24 Monaten habe die von der chinesischen Regierung geförderte Online-Plattform einen Umsatz von 69 Milliarden Euro realisiert. „Kunden sind nicht umerziehbar“, warnte Heinemann. „Die Digitalisierung radikalisiert das Kaufverhalten, und das geht alles erst jetzt richtig los. In diesem Punkt hinkt Deutschland hinterher.“

„Schnell und einfach“ sei inzwischen Standard mit dem Motto „Same day delivery“. Beim Thema Online-Marktplatz wies er auf Denkfehler hin. So sei der an einen Online-Händler angeschlossen Marktplatz tatsächlich ein Provisionsgeschäft. Dabei würde Amazon vermitteln und sei zugleich der stärkste Konkurrent, der auch noch die Datenhoheit erhalte. „Dann habe ich Amazon meine Kunden geschenkt, und Amazon lacht sich tot“, so Heinemann. Über Ebay gebe es Marktplätze, bei denen der Betreiber nicht Mitbewerber sei und die Datenhoheit erhalten bleibe. Deutschlandweit sieht Heinemann allenfalls zwei bis drei Händler, die neben Amazon und Ebay bestehen könnten. Negativ fällt Heinemanns Einschätzung der Marktplatzgründung durch Städte und Gemeinden aus. „Die wenigsten existieren noch oder treten überhaupt in Erscheinung. Das Thema regionale Marktplätze kann nicht funktionieren“, so sein Urteil. Als Mythos bezeichnete er die Vorstellung, Städte lebten vom lokalen Handel. Wer davon ausgehe, dass die digitale Transformation in Stadt und Handel kaum Investitionen erfordere, könnte sich jede weitere Arbeit sparen.

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