Junge Macher in Mönchengladbach Der Wald als Arbeitsplatz

Mönchengladbach · Als auszubildender Forstwirt pflegt und bewirtschaftet Jan Klassen (21) die Wälder der Stadt. Ein Bürojob käme für ihn nie infrage.

 Forstwirt Jan Klassen ist Auszubildender zum Forstwirt bei der Mags. Morgens ab 6.30 Uhr ist er bereits in den Wäldern unterwegs.

Forstwirt Jan Klassen ist Auszubildender zum Forstwirt bei der Mags. Morgens ab 6.30 Uhr ist er bereits in den Wäldern unterwegs.

Foto: Marei Vittinghoff

Unter den Schuhen knistert der Kies, von den Wipfeln der Bäume klingt ein leises Rascheln. Buchen, Pappeln und Sträucher vermischen ihre Düfte zu dem unverkennbar kräftigen Aroma des Waldes. Es braucht nur wenige Schritte, und man ist sofort vollständig eingetaucht in das grüne Meer aus Bäumen. Ruhe stellt sich ein, der Körper entspannt, der Kopf wird frei. Tag für Tag kommen Spaziergänger und Radfahrer in den Hardter Wald, um genau diesen Moment zu erleben. Der Wald ist ihr Zufluchtsort für Erholung, Sport und Familienausflüge. Die Natur eine willkommene Abwechslung zu dem Beton in der Stadt. Doch die extreme Hitze hat den Wald trocken gemacht. Das Gras am Waldrand hat sich gelb verfärbt, einige Bäume haben ihre Blätter abgeworfen. Auch eine Pappel am Wegesrand ist der Trockenheit des Sommers zum Opfer gefallen: Der meterhohe Baum hat die heißen Temperaturen nicht verkraftet und ist zu einer Gefahr für die Besucher des Waldes geworden. Dort, wo der Baum seit etwa 50 Jahren wächst, kann er nicht stehen bleiben. Die Pappel muss gefällt werden.

 Für den 21-jährigen Jan Klassen und sein Team im Forsthaus im Hardter Wald bedeutet das die erste große Fällung des Tages. Mit einem orangefarbenen Geländewagen geht es zu dritt Richtung Einsatzstelle. Die Reifen des Wagens wirbeln den Staub auf dem Waldweg nur so um sich. Zehn Minuten vergehen, bis das Auto neben der Pappel am Wegesrand zum Stehen kommt. Dann springt Jan Klassen aus dem Wagen, befüllt eine Motorsäge mit Benzin und geht mit der Säge hin zur Pappel. Hier ist schon alles vorbereitet: Der Weg ist gesichert, der Baum mit einem Seil befestigt und die Fallrichtung der Pappel bestimmt. Noch einmal wird kontrolliert, ob sich auch ja kein Spaziergänger im abgesperrten Bereich befindet. Dann setzt Jan Klassen mit der Motorsäge an. Es rasselt. Es knackt. Dann beginnt der Baum langsam nach hinten zu kippen. Das Schauspiel ist überwältigend: ein fallender Riese.

 Seit einem Jahr macht Jan Klassen nun eine Ausbildung zum Forstwirt. Der 21-Jährige ist in Mönchengladbach geboren, in Willich aufgewachsen und wohnt mittlerweile in Schwalmtal. Als auszubildender Forstwirt bei der Stadttochter Mags ist er nun dafür verantwortlich, dass die Schönheit und gleichzeitig die Sicherheit der Waldflächen in Gladbach erhalten bleibt. Wie im Falle der trockenen Pappel gehört es zu seinen Aufgaben, mit der Motorsäge in den Wald zu ziehen und Baumbestände planmäßig auszuholzen. Die Arbeit als Forstwirt umfasst aber noch viel mehr als das: Mit seinen Kollegen führt Klassen Pflegearbeiten durch, schneidet Brombeeren weg, kümmert sich um die Waldwege, pflanzt neue Bäume, mäht das Gras am Wegesrand, kämpft gegen die Raupen des Eichenprozessionsspinners, schützt Kulturpflanzen mit Zäunen vor Schäden durch hungrige Wildtiere und hilft, wenn nach einem Sturm wieder einmal Bäume wie Streichhölzer weggeknickt sind. In der eigenen Schreinerei des Forsthauses baut er Schutzhütten und Bänke und ist zur Stelle, wenn eine der vorhandenen Bänke marode geworden ist oder durch Vandalismus zerstört wurde. Auch die Produktion von verkaufsfertigem Holz zählt zu den zentralen Aufgaben im Hardter Wald. Äste und Stämme werden nach einer Fällung so zerlegt, dass sie später weiter verarbeitet werden können, das Holz wird später für verschiedene Zwecke verkauft. Wenn Jan Klassen und sein Team im Wald gesehen werden, müssen sie sich manchmal anhören, die „Baum-Mörder“ seien wieder unterwegs. Diese Anschuldigung kann Klassen nicht verstehen: „Wir sind doch eigentlich nur eine Hilfe für die Bürger“, sagt er.

 Vor seiner Ausbildung zum Forstwirt hat Jan Klassen bereits eine Ausbildung im Bereich Garten- und Landschaftsbau abgeschlossen. Schon seit seiner Kindheit, in der er oft bei Verwandten mit einem eigenem Milchviehbetrieb zu Besuch war, war er sich sicher, später einmal einen Beruf ausüben zu wollen, bei dem man den ganzen Tag an der frischen Luft ist. Da Beete, Teiche und Terrassen dann aber doch nicht so sein Fall waren, machte der heute 21-Jährige nach seiner ersten Ausbildung noch ein Praktikum in einem Forstbetrieb. Für Klassen die richtige Entscheidung: Seit August 2017 lernt er in seiner zweiten Ausbildung nun alles über den Umgang mit Maschinen, die Pflege der Forstgeräte, die mathematischen Grundlagen für die tägliche Arbeit, den Naturschutz und die heimischen Wild- und Pflanzenarten. Mittlerweile kann Klassen fast jeden Baum an den Blättern, den Früchten, der Rinde oder der Wuchsrichtung bestimmen. Bäume beeindrucken ihn ohnehin – vom kleinen Setzling bis zum riesigen Gewächs, dessen Stamm man selbst mit zwei Personen nicht vollständig umarmen kann. „Bei jedem Baum muss man vorher erst überlegen, wie man mit ihm umgeht. Jede Art und jedes Exemplar ist anders“, sagt er. Einen Bürojob könnte sich Jan Klassen sich nie vorstellen. „Ich möchte jeden Tag an einer anderen Stelle mit anderen Voraussetzungen arbeiten und nicht mein Leben lang am Schreibtisch sitzen“, sagt der 21-Jährige. Wenn er im Wald Pause macht, findet er Ruhe vor dem Alltagsstress. „Sonst ist es mit der Ruhe im Wald ja immer erst einmal vorbei, wenn wir kommen“, sagt Klassen und lacht. „Aber das alles machen wir ja, damit man sich nach unser Arbeit wieder wohl im Wald fühlen kann.“

 Der Job des Forstwirt ist Schwerstarbeit. Äste müssen getragen werden, dazu kommt die Säge mit einem Gewicht von bis zu zehn Kilogramm. Wenn Jan Klassen mit seiner langen roten Hose mit Schnittschutz, den Arbeitsschuhen, seinem neon-gelben T-Shirt mit Hosenträgern und dem orangefarbenen Helm mit Visier und Kopfhörern durch den Wald stapft, braucht er nach Feierabend kein Fitnessstudio mehr. „Wer Forstwirt werden will, muss körperlich fit, belastbar und naturverbunden sein und sich auch mal dreckig machen können“, sagt Klassen. Auch ohne Teamgeist geht es nicht: Jeder muss sich auf den anderen verlassen können und nicht nur sich selbst, sondern immer gleich alle Kollegen mit im Blick haben. Denn obwohl Jan Klassen bis auf ein paar kleinere heruntergefallene Äste noch nichts passiert ist: Ein gewisses Risiko bei einer Fällung bleibt immer bestehen, gerade bei trockenen Bäumen.

 Ob extreme Hitze, Schnee oder Dauerregen: Jede Woche steht Jan Klassen von Montag bis Freitag im Wald. Im Winter wegen der schlechten Lichtverhältnisse am Morgen ab 7.30 Uhr, im Sommer schon ab 6.30 Uhr. Ginge es nach Klassen, könnte die Schicht noch früher anfangen. Er ist Frühaufsteher und möchte so viel wie möglich von jedem Tag nutzen. Der Morgen ist sowieso seine Lieblingszeit – gerade im Wald. „Dann ist einfach die schönste Zeit, um zu arbeiten“, sagt er. „Die Sonne fällt durch die Kronen, man hat die meiste Ruhe, es sind noch nicht viele Leute unterwegs und du kannst sofort mit deinen Arbeiten loslegen.“

 Jan Klassen liebt die Natur. Einmal hat er sich eine Spielekonsole gekauft. Vier mal hat er damit gespielt, dann hat er sie wieder verkauft. Der Grund? Von morgens bis abends nur Zuhause zu sitzen sei einfach zu langweilig. Lieber ist der 21-Jährige den ganzen Tag mit dem Fahrrad unterwegs oder klettert mit Freunden hin und wieder zur Übung auf Bäume. Wie das richtig geht, hat Klassen in einem Kletterlehrgang für seine Ausbildung gelernt. Mit einem Klettergurt und einem Seil, das über eine Astgabel geworfen wird, geht es hoch hinaus in die Baumkronen. Dort sollen die Bäume gepflegt oder für die Fällung vorbereitet werden. Die Seilklettertechnik erlaubt es dabei, einzelne Äste direkt zu begehen: Der Kletterer befindet sich mitten zwischen Zweigen und Blättern. Eine anspruchsvolle Technik. Und laut Klassen ein echter Adrenalinkick.

 Ob Klassen denn für immer Forstwirt bleiben möchte? „Wenn sich nach der Ausbildung etwas ergibt, bleibe ich gerne einmal hier, um Erfahrungen zu sammeln“, sagt er. Vielleicht möchte er sich einmal selbstständig machen. Oder im Alter, wenn er die schwere Säge nicht mehr so gut tragen kann, auf Treckerarbeiten umsteigen. Aber sicher ist: Im Wald aber hat Jan Klassen seinen Platz gefunden.

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