Kolumne Denkanstoß Herausforderung Leben verlangt hin und wieder etwas Kurioses

Mönchengladbach · Welchen Sinn hat es, einen Wald zu fegen? Eigentlich ist ein solches Vorhaben dümmlich und sinnlos, schreibt unser Autor. Und doch hat er bei einer solche Aktion in Köln viel gelernt.

 Bei etwas Kuriosem wie den Wald fegen das Leben entdecken.

Bei etwas Kuriosem wie den Wald fegen das Leben entdecken.

Foto: dpa-tmn/Florian Schuh

Haben Sie schon einmal einen Wald gefegt? Vorweg gesagt: Ich meine nicht die bewundernswerten Freiwilligen, von denen hier und da die Rede ist und die den Wald von Müll und Unrat befreien. Ich meine auch nicht die Umweltschützer und Umweltschützerinnen, die darum bemüht sind, dass unsere Natur nicht dem Profit und dem zu kurz gedachten Mobilitätswahnsinn geopfert wird. Das alles ist des Lobes wert, ist doch der Wald und eigentlich jeder Baum, der geschützt wird, Garant dafür, dass das Leben auf diesem Planeten eine Zukunft hat.

Nein, ich meine etwas anderes; etwas Kurioses – davon bin ich überzeugt – und etwas gänzlich Irrationales. Einen Gehweg von Laub zu befreien ergibt Sinn, ist doch so die Gewissheit gegeben, dass Passanten und Passantinnen nicht ausrutschen auf zu glitschigem Boden. Einen Wald dagegen von Laub zu befreien, ist so dümmlich wie auch überflüssig und sinnlos wie der Versuch, meinen Schreibtisch im Büro der Citykirche aufzuräumen.

Aber genau das hab ich letztens mit ein paar anderen Phantasten gemacht, auf Anraten des Kölner Künstlers Ivo Weber: Wir haben mit einer Harke die Lichtung in einem Wald von Blättern und Ästen befreit. Keine Sorge, um des Artenschutzes willen haben wir alles nach der Aktion wieder in den ursprünglichen Zustand der Waldfläche zurückgeführt. Wir haben also eine Veränderung herbeigeführt, um sie gleich danach wieder rückgängig zu machen. Die Einsicht hat gesiegt, dass es besser ist, den Waldboden den Pflanzen und dem Getier zu überlassen, als der Natur eine menschengemachte Ordnung überzustülpen. Aber dazwischen ist ganz viel Unerwartetes passiert.

Manche wenden jetzt vielleicht ein, dass man das auch hätte vorher wissen können. Ja, das ist richtig. Aber diese Selbstverständlichkeit ist nicht immer gegeben. So dass diese Aktion auch eine andere Einsicht nach sich gezogen hat: Nichts ist gefährlicher, als einen Ist-Zustand zu verabsolutieren, denn die Angst vor dem was (noch) nicht ist, glorifiziert geradezu das Bestehende.

Abgesehen davon, dass diese gespielte Reinigungsaktion wahnsinnigen Spaß gemacht hat, hat sie etwas zutage gebracht, was in meinen Augen unendlich wertvoll und kostbar ist: Ohne eine Lust auf Veränderung, ohne einen inneren Antrieb, das Leben zu probieren, wird langweilig, was doch als Herausforderung gedacht ist: nämlich das Leben.

Die „Waldfegen-Performance“ hat deshalb nicht nur Spaß gemacht, sie hat auch Möglichkeiten eröffnet, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die ich bis dato nicht kannte. Sie hat eine Ebene des Vertrauens geöffnet, dass Persönliches und Verschwiegenes zur Sprache kommen konnte, wie man so schön sagt: „By the way“. Auch vordergründig Belangloses und geradezu Dümmliches vermag also Veränderung und Vertiefung zu ermöglichen, wenn Menschen nur einander im Blick behalten.

Christoph Simonsen ist katholischer Pfarrer der Citykirche.

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