Kolumne Denkanstoß „Maria Hilf“

Mönchengladbach · Manche Frömmigkeitstradition mag aus der Mode sein. Aber wer ihnen nachgeht, ist auf der Höhe der Zeit und damit nötiger denn je, schreibt unser Autor zu Maria Himmelfahrt.

 Die Kräuterweihe gehört zu Maria Himmelfahrt dazu.

Die Kräuterweihe gehört zu Maria Himmelfahrt dazu.

Foto: Reichartz,Hans-Peter (hpr)/Reichartz, Hans-Peter (hpr)

15. August 1977 –  Urlaub in Südtirol. Überraschung: Hier wird ein gesetzlicher Feiertag mitten in den Sommerferien gefeiert: „Maria Himmelfahrt“. Ich staune: Frauen bringen in Trachten Heilkräuter zur Weihe in die Kirche.

Die „Gottesmutter“ Maria wird angerufen: „Maria hilf, dass die Heilkräuter ihre Wirkung bei den Kranken entfalten.“

Am nächsten Tag gehe ich in die Ortsbücherei des Dörfchens „Tirol“ und lerne: Maria Himmelfahrt wird schon seit dem fünften Jahrhundert gefeiert. Da staunt der zwölfjährige Protestant, schüttelt den Kopf und denkt: Gut dass ich evangelisch bin. Das muss ich nicht verstehen.

2021. Wir leben seit über 18 Monaten mit einer Pandemie. Das Wetter schlägt Kapriolen, Klimazonen verschieben sich. In Deutschland sterben innerhalb von zwei Tagen mehr Menschen in den Fluten der Ahr als in der Großstadt Mönchengladbach bis Weihnachten 2020 an Corona.

Am Mittelmeer brennen die Wälder, in Sibirien taut der Permafrostboden und verwandelt sich in Sumpf. Im fernen Tokio finden Olympische Spiele in leeren Stadien statt.

„Maria hilf!“ – dieses Stoßgebet habe ich auch als evangelischer Pfarrer von manch einer älteren Dame bei Seniorenbesuchen gehört. In Mönchengladbach heißt ein Krankenhaus so: „Maria Hilf“.

Ob die Gottesmutter Maria wirklich höchstpersönlich Leid, Krankheit und Katastrophen abwendet? „Maria hilf!“ – das Stoßgebet fällt seltsam aus der Zeit. So wie vieles, was mit dem Glauben und mit Religion und Gott zu tun hat.

Heute glauben Menschen vor allem an sich selbst und meinen, die Natur beherrschen zu können. Krankheiten glauben wir, mit Impfstoffen und Medikamenten ausrotten zu können. Wir können viel, aber längst nicht alles. Am Ende ächzt und schreit die Schöpfung unter unserem Größenwahn und zeigt uns mit ihren Naturgewalten unsere Grenzen auf.

Wie wohltuend für unsere Erde sind da Menschen, die sich Zeit nehmen für ein Gebet und zur Kräuterweihe unter anderem Kamille, Thymian und Baldrian mitbringen in die Kirche.

Es mag sein, dass manche katholische oder evangelische Frömmigkeitstradition aus der Zeit gefallen ist und der praktizierte christliche Glaube „aus der Mode kommt.“ Aber ganz ehrlich: Menschen, gleich welcher Religion, die sich als Teil der Schöpfung Gottes verstehen, die ihr Leben in Beziehung zu Gott setzen und sich in ihrem Tun und Lassen Gott gegenüber verantwortlich fühlen, sind wohltuender für unsere Welt und ihre Mitmenschen als die, die sich selbst zum Maß aller Dinge machen.

Ich weiß, es gibt unter den Frommen solche, die sich religiös selbst überschätzen und zu Extremisten werden. Und es gibt unter nicht-religiösen Menschen solche, die sehr verantwortlich und nachhaltig leben. Und doch: Beterinnen und Beter wie bei „Maria 2.0“ oder in Trachten bei Blasmusik in Tiroler Kirchenbänken oder in Gottesdiensten auf dem Weg von Gorleben nach Garzweiler oder im Bittgottesdienst für den Frieden ... sie sind auf der Höhe der Zeit. Und nötiger denn je, weil sie über sich hinausblicken.

Pfarrer Dietrich Denker ist Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Gladbach-Neuss.

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