Kolumne Denkanstoß Katastrophale Zusammenbrüche

Mönchengladbach · Unser Autor beschäftigt sich nach dem schweren Unglück in Genua mit Sorgfalt im Leben.

 Trümmerteile der teilweise eingestürzten Morandi Autobahnbrücke werden geräumt. Mindestens 40 Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben.

Trümmerteile der teilweise eingestürzten Morandi Autobahnbrücke werden geräumt. Mindestens 40 Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben.

Foto: dpa/Zheng Huansong

Es war wohl mangelnde Sorgfalt an einer oder mehreren Stellen, die zur Katastrophe am Dienstag in Genua führte: der Zusammenbruch der Ponte Morandi mit Dutzenden Todesopfern. Schon bei der Planung und der Bauausführung 1968 hat es diese mangelnde Sorgfalt wohl gegeben – und dann 50 Jahre lang immer wieder hier und da. Das Endergebnis: Tod, Verwüstung, Chaos. Mangelnde Sorgfalt, die schließlich zum Verlust der Tragfähigkeit und zum Zusammenbruch führt. Mich haben die Bilder aus Genua sehr nachdenklich gemacht. Nachdenklich wurde ich bei der Aussage verschiedener Experten, die den Begriff der mangelnden Sorgfalt in die Diskussion um die Ursache der Katastrophe einführten. Mir klang das gleich einleuchtend: Ohne Sorgfalt walten zu lassen kann ein Bauwerk nicht wirklich tragfähig sein. Denn dazu kommen immer noch die äußeren Einflüsse, über die man als Planer eben keine Macht hat – wie in Genua mutmaßlich das schwere Unwetter.

Doch: Ist das nur bei spektakulären Brückenbauten so? Wie sieht es denn mit den Zusammenbrüchen in meiner direkten Umgebung aus? Menschen, die nicht mehr können; Beziehungen, die zu Bruch gehen; Unternehmen, die zusammenbrechen; eine Politik, die nicht mehr tragfähig ist; Lebensentwürfe, die sich in ein Trümmerfeld verwandeln...

Wenn ich da nachforsche: Wie oft passiert es, dass ich da an ganz vielen Stellen auf mangelnde Sorgfalt treffe? Vage Versprechungen, vollkommen überschätzte, eigene Fähigkeiten, Überforderungen auf allen Ebenen, weil nicht sorgfältig hingeschaut wurde...

Es mag sein, dass viele solcher Fälle mangelnder Sorgfalt auf unsere immer schnelllebigere Zeit zurückzuführen sind. Immer mehr, immer schneller, am besten alles gleichzeitig, und das bei gleichbleibenden Fähigkeiten und unter Einsparung von Kosten – das kann auf Dauer nicht gut gehen. Im Berufsleben nicht, in der Statik nicht – und auch nicht im Privatleben.

Wir gehen auf das Ende der Sommerferien zu. Vielleicht gab es ja in den zurückliegenden Wochen für den einen oder anderen die Gelegenheit, einmal einen Gang zurück zu schalten. Oder – wie es neudeutsch so schön heißt: zu entschleunigen. Das wäre schön – würde aber nichts nützen, wenn es denn in diesen Wochen der Rückkehr in das Arbeits-, Schul-, Alltags-, Ausbildungsleben wieder so weiterginge wie vor dem Urlaub. Klar: Sorgfalt erfordert immer Zeit. Und die – ja ich weiß, dass wir so erzogen worden sind – kostet Geld. Und doch erlaube ich mir die Frage: Muss das immer so sein? Diese Frage ist rhetorisch, und sie können sich die Antwort sicher schon denken: Nein, das war nicht immer so, und das muss auch nicht immer so sein. Aber es wird zu einer Frage unseres Überlebens. Und, als ob es so bestellt wäre, stoße ich heute auf eine Reportage, die sich mit den Hygiene-Zuständen in deutschen Krankenhäusern im internationalen Vergleich beschäftigt. Da stehen wir auch ziemlich mies da, wenn man sich die rasende Ausbreitung multiresistenter Keime ansieht. Ganz anders bei unseren niederländischen Nachbarn. Und als letztliche Begründung nennt ein in den Niederlanden arbeitender, deutscher Mediziner schlicht und ergreifend: Zeit – viel zu wenig Zeit, die Pflegekräfte in deutschen Kliniken für die Betreuung ihrer Patienten haben – und sich so natürlich auch viel weniger um Hygiene-Vollzüge kümmern können. Auch hier wieder der deutlich erkennbare Zusammenhang von Sorgfalt und Zeit, der sich hier zur Frage von Leben und Tod aufbaut.

Auch wenn viele jetzt wieder abwinken: Gott hat uns das alles schon einmal vorgemacht. Nehmen wir die Erschaffung der Welt im ersten Buch der Bibel. Da geht er Tag für Tag vor, Stück für Stück. Da läuft nichts überhastet oder gar gleichzeitig. Und am Ende gibt es sogar einen Tag kompletter Ruhe – Nichtstun, einfach so. Betriebswirtschaftlich sicher so etwas von ineffizient – und doch wieder hocheffizient, weil so größtmögliche Sorgfalt einkehrt und machbar ist. Ich wünsche Ihnen für das bevorstehende Sommerwochenende etwas von dieser Entschleunigung – vielleicht auch, um über mangelnde Sorgfalt im eigenen Leben nachzudenken, damit es nicht auch dort zu katastrophalen Zusammenbrüchen kommt.

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