Kolumne Denkanstoß Warum es ein „Du“ braucht

Mönchengladbach · Sänger Udo Lindenberg fasziniert den Pfarrer der Citykirche: „Typen wie Lindenberg sind vielleicht kantiger, schroffer als manche Herren in weichgespülten Reden, aber gerade auf diese Weise ist er ehrlicher und damit auch liebenswürdiger.“

 Sänger Udo Lindenberg fasziniert unseren Autor.

Sänger Udo Lindenberg fasziniert unseren Autor.

Foto: dpa/Georg Wendt

Haben Sie am Jahresende den „Tatort“ im Fernsehen gesehen? Ich oute mich hier als absoluter Tatortfan; nicht unbedingt wegen der Morde und der vielen anderen kriminellen Delikte, die ja doch irgendwie in den Filmen immer gleich sind. Eher wegen der ganz verschiedenen Typen von Menschen, die mir dort nahegebracht werden. In dem Krimi, den ich meine, da spielte Udo Lindenberg mit, diese verrückte Type mit dem Hut und der Stimme, der man beim besten Willen erst beim zweiten Hören etwas Verstehbares entnehmen kann.

Ich mag solche verrückten Typen. Sie faszinieren mich, weil sie Gewohntes, Vertrautes ver-rücken. Typen, das sind Menschen mit einer unverwechselbaren Persönlichkeit. Udo Lindenberg ist so eine Persönlichkeit, die verrückt sein mag, die nicht von allen verstanden wird; aber auf jeden Fall ist er eine Persönlichkeit, der man zusprechen muss, das eigene Leben, sein persönliches ungeschöntes Leben im Kontext von Gesellschaft und Welt sehr gewissenhaft zu reflektieren. Zwei Strophen des Liedes „Ich zieh den Hut“ verdeutlichen dies:

„Ich bin gerast durch dieses Leben. Bin geflogen aus den Kurven. / Hab mich selber ausgeknockt. Und immer weiter gezockt. / Wo was los war, ich war da. War der Hexer in jeder Bar. / Ich war hinter jeder Grenze. Und so viel weiter. / Man ich hab mich selber fast verlorn. / Doch so‘n Hero stürzt ab steht auf und startet von vorn.

Doch du warst immer bei mir irgendwie. Wie ne super starke Melodie. / Die mich packte und nach Hause trug. Und du warst da wenn ich am Boden lag. / Und ganz egal was ich auch tat. Du hast mich niemals ausgebuht./ Mille grazie. Vor dir zieh ich meinen Hut.

Keiner hat mich je so doll geliebt. bist wie‘n Schutzengel der Überstunden, der Überstunden schiebt.“

Seine Lieder durchströmen eine tiefe Ehrlichkeit, Bodenständigkeit und Klarheit. In seinen Liedern positioniert sich Udo Lindenberg; aus eigener Erfahrung heraus weiß er, dass Hochmut vor dem Fall kommt. Mir hilft dieses Lied, weil auch ich um Augenblicke weiß, wo ich am Boden lag und eine ungewisse Angst in mir verspürte, ausgebuht zu werden. Wer nicht „everybodys Liebling“ sein möchte, dem kommt eben ab zu auch mal der Wind entgegen. Darum wissend, dass Leben nicht anders möglich ist, wenn ich mir selbst treu bleiben möchte, so möchte ich trotzdem nicht im Wind und Regen stehen. In diesem Zwiespalt spielt sich das konkrete Leben nur zu oft ab: Eine eigenständige Person und Persönlichkeit zu sein und zugleich  ist da der Wunsch, möglichst von allen angenommen und geschätzt zu werden. Das Lied von Udo Lindenberg erinnert mich daran, dass es ein „Du“ gibt und dass mit diesem „Du“ das eigene „Ich“ reifen kann.

Ob nun mit dem „Du“, von dem er in diesem Lied singt, und der/die einfach da war, als er am Boden lag, nun Gott oder ein Mensch gemeint ist, wer weiß es? Aber dass es ein „Du“ braucht, das ist so gewiss wie das „Amen“ in der Kirche. Udo Lindenberg vermittelt in seinen Liedern und in seinen Bildern sich selbst, sein eigenes Leben, seine Niederlagen und seine Träume. Typen wie Lindenberg sind dabei vielleicht kantiger, schroffer als manche Herren in weichgespülten Reden, aber gerade auf diese Weise ist er ehrlicher und damit auch liebenswürdiger, im wahrsten Sinn des Wortes. Zugeneigt kann ich nur Menschen sein, die etwas darstellen, deren Überzeugungen erfahrungsgeschwängert sind: vom Leben gezeichnet und vom Leben bereichert.

In dieser am Dreikönigstag zu Ende gehenden Weihnachtszeit, darf ich mich vergewissern, dass Gott wie eine starke Melodie irgendwie immer bei mir ist, deren Klang ich ab und zu vergessen mag, die mir aber immer wieder in Herz und Sinn kommt, wenn ich am Boden liege; und ich darf um Menschen wissen, die diese Melodie Gottes leise und doch unüberhörbar singen.

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