Denkanstoß Europa liegt in Krakau

Mönchengladbach · Unsere Autorin ist beeindruckt von einem Gespräch mit Michail, einem jungen Polen, für den die Europäische Union eine Selbstverständlichkeit ist.

 Die Marienkirche ist eines der Wahrzeichen von Krakau.

Die Marienkirche ist eines der Wahrzeichen von Krakau.

Foto: Olaf Nöller

Was hatten wir für ein Glück in der letzten Woche! Sonnenschein und einige freie Tage für einen Besuch in Krakau. Krakau, die alte Königsstadt in Südpolen, blickt auf eine lange Geschichte zurück. In Krakau wurden die meisten polnischen Könige gekrönt, die Stadt ist reich an Museen und Ausstellungsorten. Das Stadtbild ist überwiegend geprägt von jungen Leuten, denn ein Drittel der Bevölkerung von Krakau, fast 200.000 junge Menschen, studieren an der dortigen Universität.  Wie durch ein Wunder ist Krakau im Zweiten Weltkrieg weitestgehend unzerstört geblieben und präsentiert sich heute bestens restauriert den zahlreichen Besuchern aus aller Welt.

In einem Café kommen wir mit Michail ins Gespräch. Er ist 25 Jahre alt, hat Tourismus studiert und arbeitet zurzeit als Fremdenführer. Er möchte gerne in Englisch mit uns sprechen, sagt er in fließendem Englisch. Sein Deutsch sei leider nicht so gut, erklärt er in fließendem Deutsch. Michail ist Vertreter der jungen Generation von Polen – gut gebildet, aufgeschlossen, neugierig. Spannend, was er uns zu erzählen hat.

Ich frage ihn, wo die Alten sind, denn im Stadtbild von Krakau haben wir sie nicht gesehen – außer den zwei Omis, von denen die eine bettelte und  die andere am Straßenrand fünf Eier und ein geschlachtetes Huhn verkaufte. Die Alten, so erfahren wir, die sitzen auf dem Land. Die Renten sind extrem niedrig, wer alt ist in Polen, ist auf die Hilfe der Familie angewiesen oder muss von der Kirche unterstützt werden. Die Armut auf dem Land ist groß. Ein eigenartiger Kontrast zum pulsierenden, modernen, jungen Krakau.

Ich frage Michail, wie er die politische Situation in Polen einschätzt. Was es für ihn, für seine Freunde bedeutet, dass die Regierung in Warschau konservativ ist und   – so ist mein Eindruck – in den sehr alten Strukturen denkt und handelt. Er zögert ein bisschen und sagt dann: „Weißt Du – meine Generation wird von den Alten regiert. Die sind es, die diese Regierung gewählt haben. Und wir müssen es aushalten!“

Damit hat er, glaube ich, den Nagel auf den Kopf getroffen und befindet sich ganz sicher in einer Gemeinschaft mit anderen jungen Leuten in Europa – zum Beispiel denen in Großbritannien, die auch den Brexit nicht wollten und nun in Geiselhaft genommen sind, von denen, die den Volksentscheid dominiert haben und nicht bereit waren, über ihre Generation hinaus zu denken.

Wo wir nun gerade mal so nett plaudern, traue ich mich auch noch eine andere Frage zu stellen: „Wirst Du wählen gehen, wenn Europawahl ist?“ frage ich Michail. Und der zögert keine Sekunde: „Aber natürlich! Ich weiß zwar noch nicht was, aber ich werde wählen!“

Und auf meinen fragenden Blick erklärt er: „Also, es gibt eine Menge Dinge, die wir Europa zu verdanken haben. Guck Dich doch mal um!“ und er deutet auf den wunderbar gepflasterten Marktplatz, die Energiesparlampen in der historischen Straßenbeleuchtung und die blitzsauberen Fenster der Markthallen. „Das hätten wir doch niemals ohne die Hilfe und Solidarität der anderen europäischen Länder geschafft!“ und dann redet er sich in Form: „Klar, die wollen manchmal auch Sachen, die wir nicht wollen – also das mit den Flüchtlingen, da müssen wir nochmal drüber reden! Aber andererseits, das wird sich mit der Zeit auch noch bewegen, denn  wir sollen etwas geben, wenn wir etwas bekommen! Also Europa – das ist gar keine Frage.“

Ich traue meinen Ohren nicht – so ein flammendes Plädoyer für Europa würde ich zuhause auch gerne mal hören.  Beim Abschied schüttelt Michail mir die Hand:  „Vielleicht bis bald mal, lass uns mal weiter reden!“

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