Denkanstoß aus Mönchengladbach Freiheitsfragen brauchen eine gesunde Haltung

Mönchengladbach · Probst Peter Blättler erzählt, wie die christliche Haltung zu Freiheitsrechten schon vor über tausend Jahren nach Mönchengladbach kam.

 Ein Gründungsbild der Stadt: Gero (l.) und Mönch Sandrad (r.).

Ein Gründungsbild der Stadt: Gero (l.) und Mönch Sandrad (r.).

Foto: Stadtarchiv Mönchengladbach

Am vergangenen Sonntag hat mich ein Wort angesprochen, dass jemand vor knapp 2000 Jahren aufgeschrieben hat. Er lebte in einer Welt, in der es enorme soziale Unterschiede gab. Da waren angesehene und wohlhabende Bürger, die sich einen ganzen Hausstand von Bediensteten leisten konnten. Menschen ohne Bürgerrecht und gekaufte Sklaven unterworfener Völker waren an der Tagesordnung. Freiheitsrechte wurden nur wenigen zuteil. Meinungsfreiheit gab es nur für eine politisch gebildete Schicht.

In diese Welt hinein schreibt jemand den zumeist Rechtlosen und Unfreien, die sich Christen nennen: „Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens“ (Röm 12, 2). Eine andere Welt als diese schwebt ihm vor. Eine Welt, in der es um Freiheit für alle geht. Ob Frau oder Mann, ob Sklave oder Bürger (Gal 3,28), ob reich oder arm, alle sollen ihre Freiheit spüren können. Er spricht von einer Freiheit, die die Würde eines jeden Menschen anerkennt und zu einer ganz neuen Haltung im Miteinander führt.

Er bittet einen Christ gewordenen römischen Hausherrn, seinen Haussklaven wie einen Freund zu behandeln und zu achten (Phlm 1, 16). Er macht deutlich, dass das neue Denken und die neue Haltung jeden Tag sehr konkret gelebt werden kann. Die Verknüpfung eines frischen Denkens und einer liebenden Grundhaltung nennt er das Geschenk der Freiheit.

Szenenwechsel: Über tausend Jahr später leben am Gladebach Mönche, die diese Weltsicht des christlichen Glaubens teilen. Sie beten und arbeiten für die Erneuerung ihrer kleinen Welt und geben den Menschen in ihrer Nachbarschaft Gesundheitswesen, Bildung und Würde. Als mir letztens ein Archäologe im Brunnenhof den Beckenknochen eines dieser Mönche (11. bis 13. Jahrhundert) zeigte, da wurde die Geschichte unserer Stadt für mich lebendig. Ich dachte, da sind sie – die Mönche vom Gladebach. Für mich wurde greifbar, dass die Botschaft des Christentums tatsächlich schon damals bei uns angekommen ist.

Es gibt sie, die Fäden des christlichen Glaubens durch die Geschichte hindurch. Mal locker und mal fester verwoben. Mal verwoben mit kleineren und größeren Webfehlern. Mal so pervertiert, dass man die Fäden der Freiheit und der damit verbundenen Haltung kaum erkennt. Dann sieht man sie wieder deutlicher in der Haltung von Bürgern unserer Stadt, die sich für die Würde im Miteinander und die Rechte der Mittellosen stark gemacht haben.

Erkennbar wird, dass es den Faden der Freiheit nie ohne den Faden einer Haltung gelebter Gerechtigkeit gibt. Wo der Blick für den anderen und seines sozialen Wohlstandes geschärft wird, da entwickeln sich echte Freiheitsrechte und da entsteht die erste soziale Fabrikordnung (F. Brandts). So wird Mönchengladbach mit dem „Volksverein für das katholische Deutschland“ zu einer Wiege des sozialen und politischen Katholizismus in der jungen Berliner Republik und vor 1933 zum Gegenpol des Nationalsozialismus.

Heutzutage gewinnt die Frage nach der individuellen Freiheit im gesellschaftlichen Leben an Aktualität und Brisanz. Die jüngsten Ereignisse in Berlin rund um den Reichstag, die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie und auch die von der Klimakrise geforderte Reduzierung eines für unseren Planeten ungesunden Lebensstils verdeutlichen dies.

Was heißt Freiheit? Wie weit geht Meinungsfreiheit? Was sind persönliche Freiheitsrechte, für die auch heute demonstriert werden muss? Welche Haltung braucht Freiheit im gelebten Miteinander? Diese Fragen wollen verwoben werden mit der Frage nach einer weltweiten Gerechtigkeit und einem guten Klima für alle. Sie dulden keine Engführung durch rechtsgerichtete Propaganda. Sie brauchen eine gesunde Haltung.

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