Rundgang durch eine besondere Siedlung Das Doppelhaus – erfunden in Gladbach
Mönchengladbach · Eine Stadtteilerkundung führt rund 50 Teilnehmer zu den Gladbacher Häusern rund um die Reyerhütter Straße. Sie waren die Antwort auf das immense Bevölkerungswachstum der Stadt im Zuge der Industrialisierung.
Unterschiedlicher können die Häuser kaum aussehen: Manche sind behängt, manche zeigen ihre Backsteine, es gibt verputzte Häuser, solche mit Stuckverzierungen oder mit Fensterläden. Einige haben ein Spitzdach, andere ein Flachdach. Aber alle sind sogenannte Gladbacher Häuser. Sie stellen Mönchengladbachs originären Beitrag zum sozialen Wohnungsbau des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts dar. 157 dieser Gladbacher Häuser finden sich als größtes zusammenhängendes Siedlungsgebiet rund um die Reyerhütter Straße zwischen Ackerstraße und Linienstraße. Sie waren Ziel einer Stadtteilerkundung.
Hans Schürings, Bauingenieur, Soziologe und Lokalhistoriker, führte bei einem Rundgang rund 50 interessierte Teilnehmer, viele selbst Eigentümer oder Bewohner von Gladbacher Häusern, durch die Siedlung und erläuterte das architektonische Erbe der Stadt. Insgesamt wurden im Bereich Alt-Gladbach etwa 700 dieser Häuser gebaut. Sie waren die Antwort auf das immense Bevölkerungswachstum der Stadt im Zuge der Industrialisierung. Zwischen 1850 und 1900 wuchs Mönchengladbach um das Sieben- bis Achtfache. Günstiger Wohnraum musste her.
Der Staat kümmerte sich nicht um das Problem, Unternehmer gründeten die Gladbacher Aktienbaugesellschaft, die den Gladbacher Haustyp entwickelte und baute: ein- bis zweigeschossig, als Doppelhaus mit Anbau in offener Bauweise. Die Häuser bestanden im allgemeinen aus vier Zimmern, in denen im Schnitt zehn Personen lebten. Im Anbau waren Toilette und ein Stall für Ziegen oder Kaninchen untergebracht.
Auch einen Garten gab es. „Die Zuwanderer kamen vom Land und wollten einen Garten“, erklärt Schürings. Die Häuser wurden aus Ziegeln errichtet, das war günstiger als das eigentlich übliche Fachwerk. „Ich gehe davon aus, dass die Häuser relativ preiswert waren“, sagt Schürings, der sich intensiv mit dem Wohnungsbauprojekt beschäftigt hat. „Jedenfalls lebten in 99 dieser 157 Häuser nachgewiesenermaßen Arbeiter.“
Bei einem Rundgang durch das Viertel wird deutlich, wie sehr sich die Häuser im Laufe der Jahrzehnte verändert haben. Baumoden und die Vorlieben der Eigentümer lassen sich an den Fassaden ablesen. Das hat viel Charme, zeigt aber auch, dass die Häuser weder unter Denkmalschutz noch die Siedlung unter Ensembleschutz steht. Schürings findet das schade. „Die Stadt könnte mehr damit punkten“, meint er. „Schließlich wurde in Gladbach mit diesem Häusertypus das Doppelhaus erfunden.“ Das älteste dieser Gladbacher Häuser steht an der Eickener Höhe, aber auch in anderen Teilen der Stadt gibt es diesen Baustil. Er wurde auch in Rheydt, Odenkirchen , Viersen und anderen Teilen des Rheinlandes adaptiert. Aber die Bewohner des erkundeten Viertels sind der Meinung, dass ihre Häuser am schönsten sind. „Wir haben uns gleich beim ersten Blick in es verliebt“, sagt eine Teilnehmerin.
Die Stadtteilerkundung wird vom Rheydter Nachbarschaftsprojekt des Paritätischen Wohlfahrtverbands angeboten und findet einmal im Monat statt. „Wir wollen zeigen, wie schön es vor unserer Haustür ist“, sagt Sinead Kleikamp, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Verena Kell die Quartiersarbeit betreibt. Das kommt an: Es nehmen durchschnittlich 50 Interessierte teil, aber es waren auch schon mal hundert dabei.