Kolumne Denkanstoß Dank für das Geschenk des Lebens
Mönchengladbach · Das Vorhaben einer Frau für die Fastenzeit ließ unseren Autor in tiefe Gedanken versinken, und er erinnerte sich an einen Sonnentag in Südtirol.
Jetzt geht es, bildlich gesprochen, auf die Zielgerade zu: In gut 14 Tagen dürfen wir Ostern feiern. Aber jetzt nicht aufgeben auf den letzten Metern, noch befinden wir uns mittendrin in der österlichen Bußzeit, bekannterweise auch Fastenzeit genannt. Und welches Fastenopfer haben Sie sich auferlegt; hat für Sie das Fasten überhaupt eine Bedeutung. 40 Tage dauert die Fastenzeit, und sie soll Leib und Seele vorbereiten auf das Fest des Lebens. Letztens vertraute mir eine Dame an, wie sie diese Vorbereitungszeit nutzen wolle: Ganz fest wolle sie beten, dass auf unserer Erde Frieden einkehren möge. „Ganz fest“, so betonte sie einige Male. Ich habe sie natürlich in ihrem Vorhaben bestärkt, was braucht unsere Welt in diesen Tagen mehr als Frieden.
Aber innerlich habe ich mir selbst die Frage gestellt, was dieses der Dame doch scheinbar sehr wichtige „ganz fest“ bedeuten mag. Gibt es ein Beten in verschiedenen Graden und Stufen?
Versunken in diesen Gedanken, erinnerte ich mich einer Reise in die Berge Südtirols. Während einer Tageswanderung auf den Ritten, dem Hausberg von Bozen, entschied ich mich, irgendwo auf einer einsamen kleinen Almwiese ein Nickerchen zu machen. Ich liege also auf der Wiese. Der nicht ganz englisch geprägte Rasen ist durchsetzt mit leicht piksendem Gewächs (manche sagen dazu auch Unkraut); im ersten Augenblick ist das unangenehm, zumal ich das Hemd ausgezogen hatte und ich die Sonne über mir an mich herankommen lassen wollte.
Übrigens: Nichts sehne ich mir gerade mehr herbei als die Frühlingssonne; vielleicht geht es Ihnen da ja ähnlich. Das Gras kitzelt, die Disteln stechen. Aber in diesem Augenblick der Gelöstheit und der Gelassenheit ertrage ich es nicht nur widerwillig (weil ich mich ja entschieden habe, zu ruhen und zu sonnen) ich kann es lachend und lächelnd annehmen Es ist das eine, im Gebet einen tiefen Dank für die Schönheit der Natur auszusprechen, sich vielleicht auch im Rahmen eines privaten Engagements für den Schutz der Natur einzusetzen, etwas anderes ist es, die Natur wirklich zu spüren, ihr nicht nur als sogenannte Krone der Schöpfung großherzig Schutz zu versprechen, sondern sie auch zu spüren. Und so war es in dieser Mittagsstunde. Ich träumte mit offenen Augen, sah die Sonne über mir und spürte die Grashalme unter mir. Und noch mehr:
Das kennen Sie ganz sicher auch, die lästigen Fliegen und Mücken, die wir, ohne nachzudenken, mit ausschweifenden Handbewegungen von uns zu vertreiben versuchen (was meist zwecklos ist). Ich spürte die Ameisen, die Libelle, die sich auf meinen Fuß setzte. Und Sie glauben es vielleicht nicht, auch den Feuerlurch, der die Barriere meines Hosenbeines überwand und an meinem Bein hochkrabbelte. Ich spürte das Leben, das in Gestalt der Tiere mir nahe kam, und ich verscheuchte nichts, und die Bremse hat mich nicht gestochen, und der Lurch hat unbekümmert den Weg aus meinem Hosenbein zurückgefunden, und zwei Bergziegen, die sich mir ohne Scheu genähert hatten, schauten mir in die Augen, was mich ehrte, auch wenn sie mir den direkten Zugang zur Sonne einen Augenblick verwehrt haben.
Später erinnerte ich mich eines Satzes von Albert Schweitzer, der in „Kultur und Ethik“ einmal geschrieben hat: „Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, dass die Türe zu ist, damit ja der Hund nicht hereinkomme und das getane Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, so also wachen die europäischen Denker darüber, dass ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen.“
Wer ganz fest für den Frieden betet, so deute ich diesen Satz einmal um, der möchte Türen öffnen, sie vertrauensvoll öffnen und alle hineinlassen, ohne zu sortieren, ohne auszuwählen und auszusondern. Frieden kehrt ein, wenn alle hineindürfen, keiner sich ausgeschlossen fühlen muss.
Gebet ist in erster Linie: Dank für das Geschenk des Lebens. In Geschenken aber, die wert und teuer sind, verbirgt sich immer auch eine tiefere Wahrheit. Hegel spricht einmal von der „Andacht des Denkens“; Ich habe den Augenblick des Verweilens als eine „Andacht des Spürens“ erfahren. Gebet ist der Zusammenfall von Denken und Spüren.
Ganz fest, so hatte die liebenswürdige Dame sich vorgenommen, wolle sie in der Fastenzeit beten. Ich glaube, in der Erinnerung meiner Gedanken wird mir ein wenig klarer, was sie damit meinte. „Ganz fest“, heißt schlicht „ganz“, nicht halb, nicht halbherzig, nicht halbbewusst, sondern ganz: ganz verbunden; verbunden mit dem, dem wir Gutes wollen und mit denen, denen wir Frieden und erfülltes Leben wünschen.
Jetzt nicht aufgeben auf der Zielgerade auf Ostern zu. Es ist Zeit genug, ganz fest Frieden zu wünschen und Frieden zu leben, wir können ihn schon spüren.
Christoph Simonsen ist katholischer Pfarrer der Citykirche.