Ausstellung in Mönchengladbach Wie Reich-Ranicki mit „Selfies“ gewürdigt wird
Mönchengladbach · Zum zehnten Todestag des Literaturkritikers erinnert eine Ausstellung in St. Franziskus an den Holocaust-Überlebenden. Auch der Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminski, kam zur Eröffnung.
1977 erhielt Pfarrer Klaus Hurtz von Marcel Reich-Ranicki einen ersten Autografen. Bis dahin habe er den bedeutenden Literaturkritiker nur durch dessen Rezensionen gekannt, sagt der Geistliche. Erst habe er gedacht, „der hat aber eine krakelige Schrift“, und später, „so ist er halt“. Zurzeit ist die persönliche Widmung Teil der Ausstellung „Die Selfies von gestern“, die Hurtz in Gedenken an den vor zehn Jahren verstorbenen „Literaturpapst“ zusammenstellte.
Ein Zeitungsartikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Beispiel lässt diesen selbst zu Wort kommen. Ein Artikel von Elke Heidenreich thematisiert den Eklat, der ausgelöst wurde durch Reich-Ranickis Ablehnung des Deutschen Fernsehpreises für sein Lebenswerk. Ausgestellt sind ebenso Bücher mit Widmungen moderner Autoren, zu denen Hurtz nach eigenem Bekunden erst über Reich-Ranickis Besprechungen Zugang fand. Ergänzt ist die Präsentation um ein Blatt des Karikaturisten Nik Ebert. Er zeigt den Literaturkenner mit kritisch hochgezogener Augenbraue, zu Füßen einen Mann, der unterwürfig sein Buch anreicht. Begleitend zur kleinen Präsentation erschien ein Katalog im Kühlen-Verlag.
Hurtz sprach von der Magie der Handschrift, die den jeweiligen Menschen vergegenwärtige. Der Geistliche beschrieb Reich-Ranicki über literarische Bezüge als für ihn wichtigen Wegweiser in die moderne Literatur. Der Kritiker habe „fürchterlich poltern können“, aber auch Lobeshymnen gesprochen, die zwangen, ein Buch zu kaufen. Hurtz betonte, die Ausstellung in Erinnerung an den Zeitzeugen des Holocaust solle auch Zeichen gegen das Vergessen nationalsozialistischer Verbrechen sein.
Als Gast aus Düsseldorf ergänzte Nathanael Liminski die Würdigung. Der Minister und Chef der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen beschrieb Reich-Ranicki als einflussreichsten Literaturkritiker in Deutschland und Versöhner nach dem Zweiten Weltkrieg. Bei der Rückkehr nach Deutschland 1958 habe der damals 38-jährige Holocaust-Überlebende vor dem Nichts gestanden, und ein Leben voller dunkler Stationen hinter sich gehabt. Die Rückkehr sei ein großer Beweis in die damals junge Demokratie gewesen. Reich-Ranicki habe deutsche Literatur und Musik als Heimat beschrieben und sich so ein „portatives Vaterland“ geschaffen. Liminski wertete diese Liebe zur deutschen Literatur als wichtigen Beitrag zur Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit. Wie zuvor Hurtz, hob auch der Minister die Bedeutung einer Erinnerungskultur hervor. Die Ausstellung gebe Anregungen zu Fragen der aktuellen Zeit.
Organistin Stephanie Borkenfeld-Müllers und Hornist Kristiaan Slootmaekers gestalten die Eröffnungsfeier musikalisch.
Info Öffnungszeiten: Bis 1. Oktober, Mo 10 bis 12, Do 15 bis 17, Fr 15 bis 17, So 11 bis 13 Uhr.