Römerzeit in Mönchengladbach Vicus Mülfort ist jetzt ein Bodendenkmal

Mönchengladbach · „Ein seltener Typ einer römischen Siedlung“: So bewerten Experten das Römerdorf in Mülfort. Der Denkmalstatus hat Auswirkungen auf Bauherren: Wer ausschachten lässt, muss einen Archäologen hinzuziehen und dessen Kosten tragen. Rund 500 Flurstücke gehören zum Gebiet, sie gehören mehr als 40 verschiedenen Eigentümern.

 Der Hobbyarchäologe Erich Otten hat in früheren Jahren regelmäßig in Mülfort Fundstücke gesichtet, die bei Erdarbeiten gefunden wurden. Hier gab es früher ein Römerdorf.

Der Hobbyarchäologe Erich Otten hat in früheren Jahren regelmäßig in Mülfort Fundstücke gesichtet, die bei Erdarbeiten gefunden wurden. Hier gab es früher ein Römerdorf.

Foto: NN

Für Erich Otten war Mülfort ein Paradies. Der Hobby-Archäologe, der jüngst seinen 90. Geburtstag feierte, war immer vor Ort, wenn in diesem Rheydter Stadtteil ein Tiefbau erfolgte oder irgendetwas abgerissen wurde. Früher häufig mit seinem Baggerfreund Heinzi Strucken, der einen Blick für ungewöhnliche Funde hatte und Otten, lange freier Mitarbeiter des Rheinischen Amtes für Bodendenkmalpflege, zur Begutachtung hinzu holte. Denn Mülfort war zur Römerzeit eine kleine Stadt, in der sich römische Straßen kreuzten. Erich Otten wird sich darüber freuen, was die Stadt Mönchengladbach in die Wege leitete: Ein großes Gebiet wurde jetzt zum Bodendenkmal erklärt. Das hat Auswirkungen für Bauwillige in diesem Areal. Ihr Grundstück hat Denkmalwert – jede Grabung muss künftig archäologisch begleitet werden.

Das Gebiet befindet sich überwiegend in Rheydt-Mülfort und reicht von der Schlachthofstraße, entlang der Mülgaustraße in östlicher Richtung über die Giesenkirchener Straße bis zur Höhe Langfuhr und südlich der Giesenkirchener Straße über die Straßen Dorfstraße, Angerstraße und Am Römerlager. Hier fanden sich bei Grabungen immer wieder Relikte der römischen und mittelalterlichen Besiedlung: zum Beispiel Mauerfundamente, Pfostengruben, Brunnen, Töpferöfen, Gräber und Grabbeigaben. Es ist flächenmäßig das größte Bodendenkmal innerhalb des Stadtgebietes. Mehr als 500 Flurstücke gehören dazu, die im Besitz von mehr als 40 verschiedenen Eigentümern sind.

 Hier gab es einst die Römersiedlung. Das hat heute Auswirkungen auf Bauwillige. Sie müssen bei Erdarbeiten Archäologen hinzuziehen.

Hier gab es einst die Römersiedlung. Das hat heute Auswirkungen auf Bauwillige. Sie müssen bei Erdarbeiten Archäologen hinzuziehen.

Foto: Stadt Mönchengladbach

Bisher war es so, dass immer dann, wenn eine Bauvoranfrage oder ein Bauantrag gestellt wurde, auch die Eintragung in die Denkmalliste erfolgte. Für die Bauherren war das unbefriedigend, weil sie erst spät vom Denkmalwert erfuhren. Und für die Verwaltung ist dieses Verfahren mit erheblichem Zeitaufwand verbunden. Es kommt nicht von ungefähr, dass deshalb erst etwa ein Prozent der betroffenen Flurstücke als Baudenkmal ausgewiesen ist. Künftig wissen Bauwillige in diesem Gebiet sofort, dass sie bei Erdarbeiten einen Archäologen hinzuziehen müssen. Und – auch das ist klar geregelt – die Kosten für dessen Einsatz hat der Eigentümer bzw. der Bauherr „im Rahmen des Zumutbaren“ zu tragen.

Die Fachleute gehen davon aus, dass in diesem Gebiet Mitte des ersten Jahrhundert nach Christus eine römische Siedlung war. Hier bündelten sich mehrere römische Straßen, die über die Niers bis zur Maas führten. Die bedeutendste Fernstraße verlief von Osten aus dem Militärlager und Zivilort Novaesium (Neuss) kommend zur Niersfurt südlich und etwa parallel zur heutigen Giesenkirchener Straße. Archäologische Untersuchungen und entsprechende Funde zeugen von der einstigen Bedeutung des Ortes.

Das ist auch belegt. Bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden römische Siedlungsreste und Gräber in Mülfort zwischen dem Bahnhof und dem Ahrener Feld entdeckt. In der Stadtgeschichte gibt es den Hinweis aus dem Jahr 1876, dass eine „nicht unbeträchtliche Zahl römischer Gräber, Urnen, Gläser, Lampen und Münzen“ bei Grabungen zum Vorschein gekommen war. 1938 legten Experten bei einer archäologischen Ausgrabung in der Ziegelei Quack einen Brunnen am heutigen Römerbrunnen frei. 1981 wurden drei Töpferöfen an der Angerstraße ausgegraben, später vier weitere an der Beller Straße. Der Umfang der römischen Töpfereiprodukte aus Mülfort ist schlecht zu bestimmen. Auch über ihre Verbreitung liegt wenig Material vor. Die Denkmalexperten gehen davon aus, dass die Erzeugnisse eher einen kleinregionalen Absatz fanden.

Sandstein und Quarzit von Liedberg transportierten die Römer zum erheblichen Teil über Mülfort: Werksteine und Quarzitabschläge fanden sich bei Ausgrabungen in Straßenschotter und Fundamenten. Das wichtigste Zeugnis römischer Religionsausübung in Mülfort wurde Anfang des 20. Jahrhunderts gefunden: eine Jupitersäule aus Liedberger Sandstein mit einem schuppenverzierten Schaft, auf dem Reliefs weiterer Gottheiten waren. Das florierende Leben im Vicus Mülfort endete gegen Ende des 3. Jahrhunderts – da war das regionale Zentrum weitgehend bedeutungslos geworden, weil es andere Hauptverkehrsachsen gab.

Für die Archäologen interessant sind auch die römischen Gräberfelder in Mülfort. Die meisten Gräber fanden sich im Bereich Dohrer Straße /Ecke Giesenkirchener Straße und an der Angerstraße. Eine Gräbergruppe entdeckte man westlich der Niers an der Steinstraße / Ecke Mülgaustraße. An der Angerstraße wurden zum Beispiel Hinweise auf 105 Gräber gefunden. Der Friedhof an der Dohrer Straße umfasste sogar 400 Gräber und war der größte Bestattungsplatz in Mülfort. Die Denkmalexperten ziehen deshalb dieses Fazit: „Das Bodendenkmal ,Römischer Vicus Mülfort’ ist bedeutend für die Geschichte von Mönchengladbach sowie für die Region Niederrhein. Der Vicus repräsentiert einen herausragenden und im Rheinland seltenen Typ einer römischen, dorfähnlichen Siedlung.“

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