Interview mit ehemaliger Schulleiterin „Eltern trauen ihren Kindern weniger zu“

Mönchengladbach · Die ehemalige Schulleiterin der Marienschule spricht über ihren Abschied, ihre künftige Freizeit und die heutige Eltern-Generation.

 Angela Göbel war seit August 2013 Leiterin der Marienschule. Nach über 40 Jahren im Schuldienst ist sie nun in den Ruhestand gegangen.

Angela Göbel war seit August 2013 Leiterin der Marienschule. Nach über 40 Jahren im Schuldienst ist sie nun in den Ruhestand gegangen.

Foto: Ilgner Detlef (ilg)

Frau Göbel, Sie waren über 40 Jahre im Schuldienst. Wie fühlt es sich an, plötzlich morgens nicht mehr die Tasche zu packen und in den Unterricht zu gehen?

Göbel Im Moment ist es noch komisch, aber ich werde mich daran gewöhnen. Ich habe ja bis zum letzten Tag gearbeitet, noch die Zeugniskonferenzen geleitet und einen Tag später mein Büro aufgeräumt. An meinem ersten Tag zu Hause haben mein Mann und ich uns um unseren Enkel gekümmert, der Fieber hatte und nicht in den Kindergarten konnte. Langeweile kommt so bestimmt nicht auf.

Wie war Ihr Abschied? Gab es eine Feier? Hat Sie ein Geschenk besonders beeindruckt?

Göbel Es gab eine kleine Feier im Kollegenkreis und eine grandiose Abschiedsfeier mit der ganzen Schule, die sehr emotionale Momente hatte. Für den Gottesdienst hatte ich mir das Thema Regenbogen gewünscht. Der Regenbogen steht für Vielfalt, Freude und Hoffnung. Ein Regenbogen spricht jeden Menschen an. Am Ende des Gottesdienstes brachten mir die Schüler der
6. Klasse Bilder, die zusammen einen großen Regenbogen ergaben. Das war sehr bewegend. Dann bildeten alle Schüler eine Art Flashmob, sie kamen singend und musizierend von überall her. Sinfonieorchester, Chöre und Big Band waren eingebunden – das war Gänsehaut pur. Auf Geschenke habe ich verzichtet und stattdessen um Spenden gebeten, mit denen die Kinder- und Jugendbibliothek ausgebaut werden soll. Wir haben eine sehr engagierte Kollegin, die sich darum kümmert. Sie hat jetzt fast 1500 Euro zur Verfügung, mit denen sie Bücher besorgen wird, die die Schüler sich wünschen.

Können Sie sich noch an Ihre allererste Unterrichtsstunde erinnern?

Göbel Ja, ich habe meine erste Stunde als Referendarin im Math.-Nat. in einer 5. Klasse gegeben. Wir haben in Biologie das Thema Haustiere behandelt.

Ist es gut gelaufen damals?

Göbel Es muss okay gewesen sein. Ich kann mich nicht daran erinnern, sehr unzufrieden gewesen zu sein.

Was machen Sie jetzt als Pensionärin? Ausschlafen? Oder chillen, wie die Schüler sagen würden?

Göbel Nein, ich stehe trotzdem früh auf. Ich bin kein Mensch für den Liegestuhl. Ich werde mehr Zeit für das Malen haben, vielleicht sogar mal eine Ausstellung machen. Wir haben einen Garten, in dem ich im Sommer gern arbeite. Außerdem koche ich leidenschaftlich gern. Und wir können jetzt auch außerhalb der Ferienzeiten mal unseren Sohn in den USA besuchen.

Waren Sie immer gern Lehrerin oder haben Sie auch mal mit dem Beruf gehadert?

Göbel Ich war immer gern Lehrerin. Auch als Schulleiterin waren die Unterrichtsstunden für mich die erholsamsten der Woche, weil nicht ständig das Telefon klingelte.

Sie haben Bio und Chemie unterrichtet. Sind das Fächer, die die Schüler mögen?

Göbel Ja, Schüler mögen diese Fächer durchaus. Es hängt natürlich auch immer vom Angebot ab. Reaktionsgleichungen sind bei Schülern nicht so beliebt, aber sie akzeptieren sie wie das Lernen von Vokabeln, weil sie die Experimente im Chemieunterricht mögen. In Biologie können Projekte hilfreich sein. Ich habe zum Beispiel mit Schülern erst einmal einen ökologischen Bauernhof besucht, und wir haben besprochen, wie es den Tieren geht. Erst dann haben wir den Magen des Wiederkäuers durchgenommen, der nun mal auf dem Lehrplan steht.

Sie haben viele Schulreformen miterlebt. Jetzt kehren die meisten Gymnasien vom G8 wieder zum G9 zurück. Was halten Sie davon?

Göbel Der ständige Wechsel ist einfach nicht gut. Bei der Einführung von G8 gab es keine Lehrpläne und keine Schulbücher, das wiederholt sich jetzt bei der Rückkehr zu G9. Man hätte G8 besser strukturieren müssen, dann hätte es wohl auch funktioniert. Andererseits sind die Schüler jetzt beim Abitur älter, das ist sicher ein Vorteil.

Sie sind vom Math.-Nat. ans Gymnasium Korschenbroich gewechselt und dann an die Marienschule. Was war der Grund für Ihren letzten Schritt? Die Marienschule ist ja stark musisch ausgerichtet, und Ihr Schwerpunkt liegt im naturwissenschaftlichen Bereich.

Göbel Ich habe als stellvertretende Schulleiterin in Korschenbroich viel gelernt, und als sich die Chance ergab, die Leitung der Marienschule zu übernehmen, habe ich sie ergriffen. Die Marienschule hat jetzt auch einen Mint-Zweig und ist „MINT-EC“-Schule. Es ist wichtig, dass eine Schule mit 1000 Schülern nicht nur einen Schwerpunkt hat. Es gibt zwischen der christlich-katholischen Prägung der Schule und dem Mint-Bereich enge Beziehungen. Wenn wir zum Beispiel das Thema Schöpfung behandeln, beleuchten wir ethische und naturwissenschaftliche Aspekte.

 Angela Göbel bei ihrer Verabschiedung in der Marienschule. Die neue Schulleiterin ist Birgit Janßen (rechts).

Angela Göbel bei ihrer Verabschiedung in der Marienschule. Die neue Schulleiterin ist Birgit Janßen (rechts).

Foto: Bauch, Jana (jaba)

Ist es richtig, dass nur getaufte Schüler an der Marienschule angenommen werden?

Göbel Nein, das stimmt nicht. Es gibt auch Beispiele nicht-getaufter Schüler. Wir nehmen auch muslimische Schüler auf. Die Schüler sollten dann aber begründen können, warum sie auf die Marienschule möchten. Es ist eine christliche Schule, und sie müssen das katholische Umfeld akzeptieren, die Kreuze an den Wänden, das Gebet am Morgen und die Schulgottesdienste.

Es wird immer wieder über die „Jugend von heute“ geklagt. Haben sich die Jugendlichen Ihrer Meinung nach wirklich verändert?

Göbel Nicht die Schüler, die Eltern haben sich verändert. Die Schüler sind, wie sie immer waren. Aber viele Eltern trauen ihren Kindern weniger zu. Sie tragen ihnen die Sachen hinterher, statt sie erleben zu lassen, was es heißt, die Hausaufgaben oder das Sportzeug zu Hause vergessen zu haben. Sie schreiben zu viele WhatsApp-Nachrichten. Die Kinder werden heute mehr kontrolliert.

Nennen Sie uns doch bitte mal drei Eigenschaften, die Lehrer heute mitbringen müssen.

Göbel Lehrer müssen selbstverständlich über fachliche Kompetenz verfügen. Sie müssen ein hohes Einfühlungsvermögen besitzen und kreativ sein, um Lösungen in schwierigen Situationen zu finden.

Werden Sie noch mal zu Besuch zur Marienschule gehen? Oder ist das Kapitel abgeschlossen?

Göbel Ich werde gern zu Konzerten oder zur Abiturentlassung gehen, aber nicht im normalen Schulalltag die Kolleginnen und Kollegen von der Arbeit abhalten.

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