Polizist in Mönchengladbach 30 Jahre auf Mördersuche

Mönchengladbach · Claus Irrgang ist Leiter des Kriminalkommissariats 11, das für Todesermittlungen zuständig ist. Seine erste Leiche wurde legendär.

 Am 30. April ist Claus Irrgangs letzter Arbeitstag. Dann geht der Leiter des Kriminalkommissariats 11 in den Ruhestand.

Am 30. April ist Claus Irrgangs letzter Arbeitstag. Dann geht der Leiter des Kriminalkommissariats 11 in den Ruhestand.

Foto: Gabi Peters

Claus Irrgang erinnert sich noch genau: Es war ein Montag, und der junge Kriminalbeamte hatte seine erste „Leichenbereitschaft“. So hieß das damals in der Dienststelle der Todesermittler. Wer Leichenbereitschaft hatte, musste raus, wenn ein lebloser Körper gefunden wurde. An jenem Tag im Jahr 1982 erhielt Claus Irrgang die Meldung: „Im Botanischen Garten ist eine tranchierte Leiche gefunden worden.“ Tranchiert? Der junge Polizist glaubte zu erst an einen Hörfehler. „Ich dachte: Die meinen bestimmt stranguliert.“

Aber es war tatsächlich eine zerstückelte Leiche. Die menschlichen Überreste waren verteilt auf verschiedene Gefrierdosen und Tüten. „Manches sah aus wie Gulasch“, erinnerte sich Irrgang Jahre später. Es war seine erste Todesermittlung. Und das in einem äußerst spektakulären Mordfall, der weltweit Schlagzeilen machte. Martina Zimmermann, die später den Beinamen „Mord-Hexe“ bekam, hatte ihren Liebhaber tranchiert, gekocht, gebraten und schließlich eingefroren. In einem solchen Fall mit einer derart zugerichteten Leiche zu ermitteln, hört sich schrecklich an, schaurig und unappetitlich. Aber Claus Irrgang ist Polizist. „Früher hat man Schutzmann gesagt. Darin steckt ,schützen’. Das wollte ich immer.“

Seit 1973 ist Claus Irrgang bei der Polizei. Seit gut 30 Jahren gehört die Mördersuche zu seiner Arbeit. Dieses „Dranbleiben an einem Fall, bis ein Ergebnis da ist“ treibt und trieb ihn immer an, wie er sagt.

 Irrgang erhielt nach seinem Einsatz in Südostasien einen Bambi.

Irrgang erhielt nach seinem Einsatz in Südostasien einen Bambi.

Foto: Irrgang

Bürotür zu? Pause? „Das geht nicht, wenn du einen Mordfall hast“, sagt der heutige, langjährige Leiter des Kriminalkommissariats 11, das für Todesermittlungen, Brandermittlungen, Umwelt- und Waffendelikte, Kapitaldelikte wie beispielsweise Mord und Totschlag, Erpressung, Geiselnahme und Entführung zuständig ist. Todesermittlungen gehören für Claus Irrgang zu den Königsdisziplinen der Polizeiarbeit. Er weiß aber auch, die Belastungen – auch die emotionalen – sind hoch, für manche zu hoch. Das gilt vor allem, wenn kleinen Kindern Gewalt angetan wird. Als am 1. Februar 2018 die Nachricht von einem toten Säugling in Hockstein kam, ist der Kommissariatsleiter selbst mit raus gefahren. Allen war noch das tragische Schicksal von Baby Leo in Erinnerung, das von seinem Vater grausam ermordet worden war. Ähnlich war es dem Säugling Ben ergangen. „Es gibt so schlimme Dinge“, sagt Irrgang, „wenn man die zu nah an sich ranlässt, kann man daran zerbrechen“. In seinem Kommissariat wird darüber geredet, das schweißt das Team auch zusammen. „Schwäche zeigen, heißt auch stark sein“, sagt Irrgang. „Es ist heute nicht mehr so, dass du der harte Kerl sein musst.“ Die beste psychologische Betreuung findet Irrgang aber zu Hause bei seiner Familie. Dabei möchte seine Frau gar keine Einzelheiten über seine Arbeit erfahren.

 Claus Irrgang als junger Polizist im Jahr 1973.

Claus Irrgang als junger Polizist im Jahr 1973.

Foto: Irrgang

 Claus Irrgang ist nach eigenen Angaben mit Leib und Seele Polizist. Und schon früh hat er sich gewünscht, die Mordkommission zu leiten. 2011 erreichte er dieses Ziel. „Ich wollte da nicht mehr weg“, sagt er. Bis zu seiner Pensionierung Ende April wird er das auch bleiben. Bevor Irrgang ins Mönchengladbacher KK11 kam, war er auch im Ausland als Todesermittler unterwegs. 1999 zum Beispiel. Da kam eine Anfrage des Bundeskriminalamtes: Im Kosovo sollten Leichen in einem Massengrab identifiziert werden. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag brauchte Beweise für Kriegsverbrechen. Dreimal sollte Claus Irrgang in den Kosovo reisen: um dort die Polizei mit aufzubauen und als Mordermittler nach tödlichen Schüssen auf einen Kommunalpolitiker.

 Nach der Tsunami-Katastrophe in Südostasien identifizierte Hauptkommissar Claus Irrgang Todesopfer.

Nach der Tsunami-Katastrophe in Südostasien identifizierte Hauptkommissar Claus Irrgang Todesopfer.

Foto: polizei mg

2005 packte Claus Irrgang erneut seine Koffer. Nach dem Tsunami half er in Südostasien die Leichen zu identifizieren. Täglich untersuchte der damals 47-Jährige fünf bis 15 Tote. Zusammen mit anderen Kollegen und Medizinern sammelte er Details: Haarfarbe, Größe, Tätowierungen, Fingerabdrücke... Teilweise stieg das Thermometer mittags bis auf 45 Grad. Es gibt sicher nicht viele Menschen, die Claus Irrgang um diese Arbeit beneideten. Aber auch die Aufgabe hat er gerne übernommen. „Es musste ja auch jemand tun.“ Für ihr soziales Engagement bekamen die Helfer von THW, Bundeswehr und BKA, also auch Claus Irrgang, sogar später einen Bambi verliehen.

Claus Irrgangs Familie, vor allem seine Frau, mit der er 41 Jahre lang verheiratet ist, hat ihn bei der Arbeit und bei seinen Entscheidungen immer unterstützt. Sein Sohn ist trotzdem kein Polizist geworden, aber vielleicht wird ja einer seiner vier Enkel in die Fußstapfen seines Opas treten. Der Jüngste von ihnen, sechs Jahre alt, findet Polizisten auf jeden Fall „toll“. „Seine Playmobil-Figuren haben alle SEK-Westen an“, sagt Claus Irrgang und fügt an: „Dass ich keine Uniform trage, ist für ihn ziemlich enttäuschend.“

Im Fernsehen schaut sich der echte Kommissar übrigens nur sehr selten Krimis an. „Ich hatte 30 Jahre lang jeden Tag Krimi. Das reicht mir“, sagt er. Aber vielleicht ändert sich das jetzt im Ruhestand.  Doch zunächst will Claus Irrgang mit seiner Frau und seinen Hunden „ganz langsam und gelassen“ mit dem Auto oder dem Wohnmobil über die Bundesstraße 1 bis nach Polen fahren.

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