Mönchengladbacher Schülerin gestorben Noch viele offene Fragen nach Tod auf Klassenfahrt in London

Mönchengladbach · Nach dem Tod einer 13-jährigen Schülerin aus Mönchengladbach auf Klassenfahrt sind noch viele Fragen offen. Eine Expertise soll nun Grundlage für ein medizinisches Gutachten werden.

 Anwalt Klaus Voßmeyer (links), und Kay Schierwagen

Anwalt Klaus Voßmeyer (links), und Kay Schierwagen

Foto: Holger Hintzen

Bei flüchtigem Hinsehen mag Kay Schierwagen gefasst wirken. Doch wenn der 44-Jährige über seine Tochter spricht, ist kaum zu übersehen, dass es in ihm rumort. „Ich kann nicht abschalten, in Gedanken bin ich jeden Tag bei ihr“, sagt er.  Zeit, Gedanken nachzuhängen, hat der in Duisburg lebende Lkw-Fahrer auf langen Touren mehr als genug. Dass seine in Mönchengladbach lebende Tochter im Sommer 2019 während einer Klassenfahrt in London starb, ist umso schwerer zu verkraften, als es unter Umständen geschah, die seit Monaten die Mönchengladbacher Staatsanwaltschaft beschäftigen. Wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt sie gegen vier Lehrer, die die Klassenfahrt begleiteten. Es geht um den Vorwurf, dem an Diabetes Typ 1 leidenden Mädchen sei es in London gesundheitlich sehr schlecht gegangen. Lehrer seien von Schülern darauf hingewiesen worden, sie hätten sich jedoch nicht ausreichend um das Mädchen gekümmert und viel zu spät ärztliche Hilfe gerufen. So stellt es sich jedenfalls für Kay Schierwagen und seinen Anwalt Klaus Voßmeyer dar. Die Schule sei informiert gewesen, dass das Mädchen Diabetikerin gewesen sei, sagt Voßmeyer.

Neben Aussagen von Schülern liegen der Staatsanwaltschaft inzwischen medizinische Unterlagen zu der 13-Jährigen vor – auch aus London. Das Material soll Grundlage für ein medizinisches Gutachten sein. Üblicherweise, so die Staatsanwaltschaft, werde ein Gutachter über die Ärztekammer gefunden. Diese habe aber bislang noch keinen benannt. Die Beschuldigten seien noch nicht vernommen. Erst gelte es, den Sachverhalt zu erhellen, dazu gehöre auch das Gutachten. Ob Anklage erhoben werde, sei noch nicht abzusehen, sagt Staatsanwalt Jan Steils.

Sicher ist: Die Schülerin der Theo-Hespers-Gesamtschule starb am 30. Juni in einem Londoner Krankenhaus. Kay Schierwagen berichtet, er habe sie zuvor noch auf der Intensivstation besucht. Der Zuckerspiegel seiner Tochter sei bei der Einlieferung viel zu hoch gewesen, weit über 1000. Als Schierwagen ins Krankenhaus kam, sei der Wert schon auf etwa 300 gesunken. Bei Menschen ohne Diabetes, die mindestens acht Stunden nichts gegessen haben, liege der Wert unter 100, sagt der Diabetes Informationsdienst des Deutschen Diabetes-Zentrums (DDZ).

Seine Tochter habe den Besuch „mitbekommen“, berichtet Schierwagen. Die Ärzte hätten gesagt, dass sie womöglich nach 48 Stunden wieder entlassen werden könne. „Da wusste ich noch nicht, dass sie schon einen Herzinfarkt gehabt hatte“, sagt Schierwagen. Sein Englisch sei sehr schlecht, die Verständigung mit den Ärzten daher schwierig gewesen. Nach einem zweiten Besuch bei der Tochter habe er sich auf den Heimweg gemacht, weil er wieder zur Arbeit musste. Die Mutter des Kindes sei in der Klinik geblieben. Kaum daheim eingetroffen habe er dann die Nachricht erhalten, dass seine Tochter gestorben sei. Das Mädchen habe einen zweiten Herzinfarkt gehabt. Der steht nach Ansicht von Schierwagen und Voßmeyer im Zusammenhang mit den stark überhöhten Zuckerwerten. Bei der Beerdigung zwei Wochen später in Mönchengladbach hätten ihm Mitschüler seiner Tochter berichtet, was in London vorgegangen sei, sagt Schierwagen. Er schaltete daraufhin einen Anwalt ein.

Die Leitung der Gesamtschule erklärte auf Anfrage unserer Redaktion zunächst, sie sei nicht zu einer Stellungnahme befugt und verwies an die Bezirksregierung. Wenige Tage später jedoch stellte sie sich in einer Mitteilung an Medien hinter die beschuldigten Lehrer. Sie seien „höchst gewissenhaft und zuverlässig“. Die Schulgemeinschaft fühle mit dem Vater und der Mutter. Die mit der Schulaufsicht betraute Bezirksregierung Düsseldorf will bislang nicht Stellung nehmen und laut einer Sprecherin das Ergebnis der staatsanwaltlichen Ermittlungen abwarten.

Weihnachten und Silvester, erzählt Schierwagen, habe er sich mit Freunden seiner Tochter an deren Grab getroffen. Das wird offenbar nicht nur vom Vater besucht. Etliche Kerzenlichter stehen auf dem Grab. Auf einem Stein in Form eines Herzens steht: „Wir vermissen Dich“.

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