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Redaktionsgespräch Prof. Huan Nguyen, Tim Lange, Thorsten Celary „Bei diesem Virus kommt es immer anders“

Mönchengladbach · Mediziner und Geschäftsführer der Städtischen Kliniken sprechen über Erfahrungen mit Covid-19 und nötige Konsequenzen.

 Thorsten Celary ist Geschäftsführer.

Thorsten Celary ist Geschäftsführer.

Foto: Bauch, Jana (jaba)

Die Zahl der von Covid-19 Genesenen übersteigt zurzeit die Zahl der Neuinfizierten. Ist das ein positives Zeichen?

Nguyen Das ist ein sehr positives Zeichen. Die Maßnahmen haben gegriffen. So ein Ergebnis haben wir vor einigen Wochen gar nicht erwarten können.

Hat die Behandlung von Corona-Patienten das Eli in den vergangenen Wochen zu irgendeinem Zeitpunkt an seine Grenzen gebracht? Bei den Intensivbetten oder Beatmungsplätzen?

Nguyen Nein. Wir waren sehr gut vorbereitet, haben frühzeitig Kapazitäten geschaffen und waren zu keinem Zeitpunkt überlastet.

Wurde in der Intensivstation aufgestockt?

Lange Wir haben zu Beginn ein Stufenkonzept entwickelt, das wir jeweils an den aktuellen Bedarf angepasst haben. Die Zahl der Intensivbetten wurde von 21 auf 25 Betten erweitert, das entsprechend qualifizierte Personal bereitgestellt. Bei Bedarf könnten wir den Aufwachraum im OP-Bereich einbeziehen und dort noch einmal zehn Betten samt Beatmungsgeräten zur Verfügung stellen. Aber das war bisher nicht nötig. Wir haben im Durchschnitt immer drei Betten freigehalten, um für Notfälle aufnahmefähig zu bleiben.

 Prof. Huan Nguyen ist Chefarzt Innere Medizin.

Prof. Huan Nguyen ist Chefarzt Innere Medizin.

Foto: Raupold, Isabella (ikr)

Wie viele Covid-19-Patienten haben Sie behandelt?

Lange Insgesamt wurden bis heute (Donnerstag, Anm. d. Red.) 40 Covid-19-Patienten im Eli behandelt, 12 davon intensivmedizinisch. Zwei Patienten sind verstorben.

Hatten die Verstorbenen Vorerkrankungen?

Lange Ja, sie waren älter und hatten Vorerkrankungen. Aber sie sind nicht direkt an Lungenversagen verstorben, wie bei Covid 19 ursprünglich erwartet worden ist. Wir stellen fest, dass die Krankheit nicht nur die Lunge angreift, sondern auch andere Organsysteme. Dazu gehören Herz, Leber, Nieren, das Nervensystem. Vor allem hat Covid 19 auch Auswirkungen auf die Blutgerinnung. Man hat sich anfangs sehr auf die Atemwege konzentriert, aber nun erkennen wir, dass es ein sehr viel umfassenderes Krankheitsbild ist.

Stellt Corona Sie vor eine besondere Herausforderung oder hat das Krankenhaus schon vergleichbare oder gar schlimmere Situationen erlebt?

Nguyen Es gab schon andere Epidemien, die uns gefordert haben, zum Beispiel die Schweinegrippe, die Vogelgrippe oder die Influenzawelle vor zwei Jahren. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied: Bei Corona-Patienten ist die Versorgung besonders anspruchsvoll, die Belastung des Personals außerordentlich hoch. Hinzu kommt, dass das Personal geschützt werden muss und die Behandlung sehr kompliziert ist.

 Tim Lange ist Intensivmediziner.

Tim Lange ist Intensivmediziner.

Foto: Isabella Rauppold/Isabella Raupold

Wie sind Sie organisatorisch mit der Herausforderung umgegangen?

Nguyen Wir haben die Notaufnahme umorganisiert, um die Corona-Patienten herausfiltern zu können. In der Geriatrie gibt es einen Aufnahmestopp, weil es sich um eine Hochrisikogruppe handelt. Ein Teil der Geriatrie wurde für die Versorgung von Covid-19-Patienten reserviert. Damit wurde das Haupthaus entlastet.

Seit wann haben Sie sich auf die Erkrankungswelle vorbereitet und wie ist das abgelaufen?

Celary Wir sind hellhörig geworden, als am 25. Januar die ersten Berichte aus Wuhan kamen, die zeigten, wie stark das medizinische Personal betroffen war. Wir haben dann unsere ersten Krisensitzungen abgehalten und zusätzliche Schutzausrüstung, Testgeräte und Desinfektionsmittel eingekauft. Bei den Testgeräten ging es erst einmal darum, auf Influenza zu testen. Durch die hervorragende Arbeit der Charité mit Prof. Drosten in Berlin gab es auch bald die Möglichkeit, Corona-Testungen vor Ort durch das Medizinische Versorgungszentrum Stein durchzuführen. Das war ungeheuer wertvoll.

Haben Sie Ende Januar mit dieser Entwicklung gerechnet?

Celary Nein, ich glaube, das hat sich niemand vorstellen können. Auch dass es in Heinsberg zum Ausbruch kam, war sehr überraschend. Wir haben eher mit Düsseldorf gerechnet, wo es eine große chinesische Community gibt. Wir planen mit unseren Erfahrungen und Erwartungen, aber bei diesem Virus kommt es bisher immer anders, als man denkt. Wir haben ja Erfahrungen aus anderen Viruserkrankungen, aber bei Corona ist bis heute wenig über den Krankheitsverlauf bekannt. Es gibt auch keine ausreichenden Testmöglichkeiten – zumindest um flächendeckend zu testen.

Wieso? Es gibt doch Corona-Tests.

Celary Ja, aber aufgrund der Kürze der Zeit bisher keine zuverlässig geprüfte Anti-Körper-Testungen. Es wäre ein großer Vorteil, wenn wir wüssten, welche Mitarbeiter über Antikörper verfügen und deshalb immun sind. Wobei aktuell noch nicht einmal geklärt ist, ob es tatsächlich eine Immunität gibt und wie lange sie anhält.

Wie viele Operationen wurden zurückgestellt und ab wann wird ein normaler OP-Betrieb wieder aufgenommen?

Celary Wir haben weiter medizinisch notwendige OPs durchgeführt. Nicht alle OPs sind schließlich intensivpflichtig. Da wir aber Intensiv- und Beatmungskapazitäten für die Behandlung von Covid genutzt und für mögliche weitere Fälle freigehalten haben, gab es natürlich längere Wartezeiten als sonst. Jetzt suchen wir nach einer Exit-Strategie, um wieder zu einem normaleren OP-Betrieb zurückzukehren.  Allerdings müssen wir davon ausgehen, dass uns Covid 19 noch bis nächstes Jahr beschäftigen wird. Erst dann wird es wohl einen Impfstoff geben. Bis dahin können aber noch weitere Corona-Wellen auftreten. Dafür müssen wir gerüstet sein, gleichzeitig aber die Zahl der Operationen wieder hochfahren. Das sollten wir aber erst tun, wenn dauerhaft für ausreichend persönliche Schutzausrüstung und Medikamente, insbesondere Anästhetika, gesorgt ist.

Wie hat sich die Pandemie auf die wirtschaftliche Lage des Krankenhauses ausgewirkt?

Celary Das lässt sich noch nicht abschätzen. Sicher ist, dass kein Krankenhaus unter diesen Bedingungen wirtschaftlich arbeiten kann. Ich gehe davon aus, dass sich das Gesundheitssystem dauerhaft verändern wird. Die Fallvergütungen funktionieren nicht, wenn die Versorgung von Patienten wie jetzt extrem aufwendig ist. Vieles wird überprüft und verändert werden müssen.

Das Gesundheitssystem wurde immer wegen hoher Kosten und Überkapazitäten gescholten. Ist angesichts der Erfahrung mit Corona und mit Blick auf mögliche weitere Pandemien Sparen und Kürzen immer noch ratsam?

Celary Die Diskussion wird sich verändern. Das duale System der Finanzierung ist reformbedürftig. Zurzeit zahlen die Krankenkassen die Fallpauschalen und damit die Betriebskosten wie Personalkosten oder den medizinischen Sachbedarf, das Land finanziert die Investitionskosten wie Gebäude, Medizintechnik oder IT. Aber von den 91 Millionen, die wir selbst in Gebäude investiert haben, übernimmt das Land nur 10 Millionen, den Rest sollen wir erwirtschaften. Das funktioniert einfach so nicht mehr.

Was hat bei der Bewältigung der Krise gut funktioniert, was nicht?

Celary Erst einmal meine ich, dass die Stadt Mönchengladbach und der Oberbürgermeister sehr verantwortungsvoll gearbeitet und gesteuert haben. Auch die Maßnahmen von Land und Bund waren sehr angemessen. Es ist bisher in Deutschland alles gut gelaufen, weil wir ein gutes Melde- und Quarantänesystem haben, die Testungsmöglichkeiten früh zur Verfügung standen und die Hygienebestimmungen in Krankenhäusern sehr strikt sind. Die Zusammenarbeit mit dem Mönchengladbacher Gesundheitsamt war und ist sehr gut. Eine Schwäche unseres Systems liegt im mangelnden Datenaustausch, das geht nicht schnell und nicht vernetzt genug. Außerdem verunsichert die Diskussion unter Virologen via Medien. Da wäre es besser, wenn das Robert-Koch-Institut die Meinungshoheit behielte.

Und was ist aus Sicht der Mediziner gut oder schlecht gelaufen?

Lange Man hat sich sehr früh auf die Frage der Beatmungsgeräte konzentriert, aber zu wenig über das Personal gesprochen. Es reicht nicht, die Geräte zu haben, man braucht dafür hochqualifiziertes Personal. Und hier mangelt es an angemessener Bezahlung und Anerkennung, was dazu geführt hat, dass Intensivpflegekräfte abwandern und jetzt als Leihkräfte eingekauft werden müssen. Der Beruf muss in Zukunft wieder so attraktiv gemacht werden, dass die Pflegekräfte wieder zurück in die Festanstellung kommen. Damit kommt mehr wieder mehr Qualität in das System.

Nguyen Die aktuell äußerst niedrige Sterberate bei den Infizierten im Vergleich zu anderen Ländern belegt die Stärke des deutschen Gesundheitssystems. Gründe dafür sind die guten Krankenhäuser, hochqualifiziertes Personal und ausreichend Intensivbetten. Während einer Pandemie hat das öffentliche Gesundheitswesen eine besondere Bedeutung zur Unterstützung und Entlastung der Krankenhäuser. Dort wird hervorragend gearbeitet, aber es gibt zu wenig Leute. Dieser Bereich muss für die Zukunft gestärkt werden. Die Zusammenarbeit und die Abstimmung zwischen Krankenhäusern und der kassenärztlichen Vereinigung hat sehr gut funktioniert.

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