Serie Gladbacher Lesebuch (1) Meine Heimat Dorthausen

Mönchengladbach · Gummitwist und Hinkel-Kästchen. Kirmesfisch von Fisch-Erika und Schneebesen von Frau Hoven. Und in der Garage von Familie Ebus war die Notkirche. Autorin Doris Kohnen schreibt von Kindheit und Jugendzeit in Dorthausen, ihrer Heimat.

 Autorin Doris Kohnen vor der Dorthausener Kirche. Die 49-Jährige ist verheiratet, hat zwei Kinder und zwei Enkel und wohnt im "Niemandsland" zwischen Hehn und Hardt. Sie ist erweitertes Vorstandsmitglied der Christophorus-Schützenbruderschaft im Heimatverein Dorthausen.

Autorin Doris Kohnen vor der Dorthausener Kirche. Die 49-Jährige ist verheiratet, hat zwei Kinder und zwei Enkel und wohnt im "Niemandsland" zwischen Hehn und Hardt. Sie ist erweitertes Vorstandsmitglied der Christophorus-Schützenbruderschaft im Heimatverein Dorthausen.

Foto: Ilgner

1968 wurde ich als sechstes Kind unserer Familie geboren. Mitten in Dorthausen. Die Felder des Bauern Dresen - damals war der Hof noch kein Reitstall - erstreckten sich bis nach Kothausen, ich konnte sie vom Fenster aus sehen. Wie gerne haben wir uns hinter dem Stromhäuschen an der Feldeinfahrt zum Dresenhof versteckt. Spielen konnten wir hier sehr gut. Garagenhöfe - besonders bei Windeln und Rieken - wurden mit Völkerball und "Schwarz-weiß-rot, der kleine Mann ist tot" beschallt. Auf den Straßen machten wir Gummitwist und hüpften über Hinkel-Kästchen. Bemalte Bürgersteige und auch Spiellärm sorgten damals nicht für Ärger.

Karneval standen wir Kinder am Straßenrand und hielten Luftschlangen hoch, die Autofahrer mit ihren Antennen dann mitnahmen. Die Autofahrer hatten Spaß, gemeckert wurde nicht. Zu dieser Zeit hatte Dorthausen den Karnevalsverein "Lott Jonn", und gerne zog man beim Karnevalszug in Rheindahlen mit. Es gab noch "richtige" Jahreszeiten, und an den Karnevalstagen lag häufig noch Schnee. Heinrich Dresen knotete unsere Schlitten gelegentlich zusammen und zog uns mit dem Traktor durch die Straßen. Auch die Hexenkull - Spielplatz in der Flachsbleiche - war ein Treffen für waghalsige Schlittentouren. Ostereier-Suchen gab es wie heute an der Kirche. Die Aktion war gut besucht, und wir waren stolz über jedes gefundene Ei. Ein besonderes Fest war für uns St. Martin. Alle Fenster waren geschmückt, und man konnte als Kinder noch "allein" von Tür zu Tür gehen. Da Süßigkeiten echt noch etwas Besonderes waren, sangen wir stundenlang. In der englischen Siedlung Flachsbleiche bei den Engländern bekamen wir sogar Geld dafür. Einige nutzten das aus und sangen dort mehrmals im Jahr Martinslieder.

 Die kleine Doris mit Bruder an Karneval mitten in Dorthausen.

Die kleine Doris mit Bruder an Karneval mitten in Dorthausen.

Foto: Doris Kohnen

Der Kirmesplatz war am Ende der Flachsbleiche (kurz vor dem heutigen Fanhaus). Er war groß. Kinderkarussell und ein Raupen-Fahrgeschäft, das sein Verdeck schließen konnte, waren dabei. Schießbuden-Besitzerin Martha Boecker und unsere Erika Bongarts-Hansen - bei uns hieß sie nur Fisch-Erika - waren mit ihren Buden fester Bestandteil. Es gab auch ein Fanfarencorps: fesche Jungs in Reiter-Uniform. Für mich persönlich war das erste große Kirmeserlebnis, als Peter Wyen 1975 König war. Er wohnte eine Etage über uns, und deshalb war mächtig was los im Haus. Montags wurden Bonbons für die Kinder geschmissen. Wir rannten los, bevor man die Musik hörte, und wir wussten, dass der Schützenzug kommt, denn die "Pief" von Präsident Fritz Weyermanns übertraf jeden Geruch. Es war ein Riesenfest für alle.

Im Sparmarkt Loithmann (heute Bistro WT) ging ich samstags im Auftrag meiner Mutter für eine Mark Suppenknochen kaufen. Alexa Loithmann (heute Cremer) gab gerne eine Schinkenwurst obendrauf. Für mich ein Grund, freiwillig einkaufen zu gehen. Auch gab es noch Familie Wilhelm. Frau Wilhelm war Avon-Beraterin und hatte einen Hauskiosk: Bei ihr konnten wir sonntagmittags klingeln und einen Liter Packet-Eis kaufen und dazu für 50 Pfennig "Lecker" - das war kein Problem.

 Am Dresenhof lernte die Autorin unter Anleitung Radfahren.

Am Dresenhof lernte die Autorin unter Anleitung Radfahren.

Foto: Doris Kohnen

Auch gab es noch den Getränkeshop Ruhl. Heute hängt noch sein Schild an der Hauswand. Kleister und Pattex wurden bei Familie Ebus gekauft. Der kleine Laden war am Spielplatz. Da gab es alles, was man brauchte, um sein Heim zu renovieren. Auch war in deren Garage vor dem Bau der Kirche die Notkirche. Und wer kennt nicht Frau Hoven (heute Computer-Hoven)? Bei ihr gab es Haushaltswaren in Hülle und Fülle. Sie war eine liebenswerte Frau, die mir jedes Jahr aufs Neue Schneebesen, Küchenwender und Ähnliches für 80 Pfennig oder eine Mark zu Muttertag verkaufte. Dazu verpackte sie es alles liebevoll. Meine Mutter profitiert noch heute von dem Vorrat.

Gaststätten gab es auch in Dorthausen. Den "Heidekrug" in der Dahlener Heide und natürlich "Die "Nas" Winkels "Zur Steinshütte" am Bolzplatz/Spielplatz. Dort wurden so manche Feste gefeiert und viele schöne Stunden verbracht. Auch hatte Dorthausen eine Frittenbude, die Futterkiste (heute Physio-Praxis Andrea Kamp). Kinder und Jugendliche kannten "Achim" und Horst Gohlke, von uns liebevoll "Fettkopp" genannt. Einigen Eltern war diese Bude etwas suspekt.

 Parade des Schützenvereins am Sitterhof - damals war er noch nicht asphaltiert. Für Doris Kohnen ein Erlebnis, das sie nicht vergisst.

Parade des Schützenvereins am Sitterhof - damals war er noch nicht asphaltiert. Für Doris Kohnen ein Erlebnis, das sie nicht vergisst.

Foto: Kohnen

Zu dieser Zeit gab es auch Kaplan Dahmen. Er war, wie heute unsere Schwester Stefanie, ein sehr offener Mensch. Er machte die ersten Beat-Messen, und es gab im Keller der Sakristei eine Jugenddisco. Wir waren freie, glückliche Kinder, die in einer tollen Gemeinschaft aufwachsen durften. Auch wenn wir wenig hatten und die Nachbarn uns schon einmal an den Ohren nach Hause brachten, wenn wir Unsinn gemacht hatten, war es schön. Deshalb hängen wohl viele an Dorthausen. Die kleinen Läden und auch die Kirche hat Dorthausen verloren. Geblieben sind der Charme des Ortes und die Gemeinschaft.

Heimat ist da, wo ich verstehe und wo ich verstanden werde: Heimat ist für mich kein Ort, Heimat ist ein Gefühl.

(RP)
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