Serie Was macht eigentlich? Ludwig Hügen: Der Mann, der seiner Zeit meist voraus lief

Mönchengladbach · Ludwig Hügen war erfolgreicher Leistungssportler. Dann "erfand" er in Mönchengladbach den Breitensport und trug diese Bewegung mit hinaus ins Land. Mit 59 Jahren machte er noch seine Doktorarbeit. Und so nebenbei hat der heute 83-Jährige 34 Bücher geschrieben.

Er hat es selbst erlebt, wie es ist, vor Tausenden begeisterten Zuschauern am Straßenrand zu laufen, die die Athleten anfeuern. Das eine oder andere kleine Schwarz-Weiß-Foto aus Ludwig Hügens aktiver Zeit zeugt noch davon. Aber da ist auch sein Erlebnis, durch den Bunten Garten zu laufen und in den staunenden Gesichtern der Spaziergänger die Frage zu lesen: "Was ist das denn für ein Verrückter?" Das war in den 60er und auch noch anfangs der 70er Jahre, als die Begriffe Jogging und Walking noch nicht erfunden waren und Breitensport ein Fremdwort war.

Ludwig Hügen war Deutscher Waldlaufmeister und Dritter bei der Deutschen Meisterschaft über 1500 Meter gewesen. 1952 gehört er zum Kernaufgebot für die Olympischen Spiele in Helsinki. Sein Pech: Mit Weltrekordler Werner Lueg (der dann auch die Bronzemedaille holte) und Günther Dohrow gab es zwei Mittelstreckler, die noch etwas besser waren als Hügen — und Deutschland durfte nur zwei Leute schicken.

Ludwig Hügen wurde später als Mittvierziger einer der Männer, die eine Massenbewegung auslösten. "Ich selbst war Leistungssportler und hätte nie gedacht, dass ich mich einmal so für den Breitensport interessieren würde. Und wer hätte erwartet, dass es zu einer Entwicklung in diesem Maße kommen würde", sagt der heute 83-Jährige, der bis 2010 jeden Tag seine fünf Kilometer gelaufen ist. "Es ist eine tolle Entwicklung. Und der Anstoß kam mit aus Mönchengladbach."

Hier wurde der Diplom-Verwaltungswirt Ludwig Hügen Anfang der 70er Jahre aus dem Alt-Gladbacher Hauptamt ins Sportamt versetzt mit der Aufgabe, sich um die Menschen zu kümmern, die nicht in einem Sportverein waren, sich aber sportlich betätigen wollten. "Jedermann-Sport" hieß die neue Bewegung. "Anregungen habe ich mir bei Käthe Strötges und ihrem Verein Sport für Betagte Bürger geholt", erzählt Hügen. Nach der Kommunalreform mit dem Zusammenschluss von Gladbach, Rheydt und Wickrath zum neuen Mönchengladbach wurde der ehemalige Leistungssportler 1975 Abteilungsleiter Freizeit im neuen Amt für Freizeit, Sport und Bäder.

Weil Hügen ein Mann ist, der alles, was er anpackt, mit vollem Einsatz macht, wurde Mönchengladbach zu einem der Vorreiter im deutschen Freizeitsport. Was sich hier in wenigen Jahren entwickelt hatte, wurde bald weit über die Stadt hinaus bekannt: Trimm-Trimester, Laufsportabzeichen in Schulen, Sport für Geistigbehinderte, Rehabilitations- und Prophylaxesport für Herzinfarkt-Geschädigte sind ein paar Stichworte unter dem Oberbegriff "Jedermann-Sport".

"Ein großes Problem in Mönchengladbach war zunächst, erst einmal Anlagen zu finden, auf die Freizeitsportler, aber auch die Schulen überhaupt durften. Denn die meisten Vereine wollten sie nicht auf ihre Sportplätze lassen", berichtet Hügen. "Als sich das änderte, was dies der Durchbruch für den Freizeitsport."

Und dann wurde Mönchengladbachs "Mister Freizeitsport" 1978 abgeworben. Der Deutsche Sportbund (DSB) hatte eine Kommission nach Mönchengladbach geschickt — und Professor Jürgen Palm, der spätere Breitensport-Geschäftsführer des DSB, war so angetan, dass er Ludwig Hügen zum NRW-Kultusministerium in Düsseldorf vermittelte und ihn nebenbei als DSB-Breitensportwart gewann. Auch für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) war Breitensport noch etwas ziemlich Neues — er holte sich Hügen ebenfalls als Fachwart.

"Ich war einmal für den DLV in Japan, um unser Konzept vorzustellen", erzählt Hügen. "Dann gab es in Tokio den ersten Lauf rund um den Kaiserpalast — und in allen Zeitungen wurde groß darüber berichtet. Dass Männer auf der Straße laufen, war dort völlig neu. Und Frauen taten das schon gar nicht."

Zehn Jahre, bis zu seinem "Ruhestand" 1988, blieb Ludwig Hügen in Düsseldorf, wo er die ausdrückliche Aufgabe bekommen hatte, den Breitensport zu fördern. "Es ist toll, dass viele Millionen Menschen heute als Breitensportler aktiv sind. Der Anstoß zu dieser Bewegung ist mit von Mönchengladbach ausgegangen. Und mein Wunsch zum Wechsel nach Düsseldorf hat sich erfüllt: Dass es in Mönchengladbach auch ohne mich weiterlaufen sollte wie bis dahin", sagt der 83-Jährige.

(RP)
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