Schmerztherapeut Dr. Henning Krolle Lässt sich chronischer Schmerz bändigen?

Mönchengladbach · Vom 19. bis 22. März ist in Frankfurt der Deutsche Schmerz- und Palliativtag. Aus Mönchengladbach nimmt Dr. Henning Krolle, Leiter des regionalen Schmerzzentrums der Gesellschaft für Schmerzmedizin, teil. Er gibt einen Überblick über das Thema.

Herr Dr. Krolle, die Gemeinschaftspraxis im Medicentrum Rheydt, in der Sie als Arzt für Physikalische und Reha-Medizin und Schmerzmediziner praktizieren, ist zur Teilnahme an der ambulanten Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten von der Kassenärztlichen Vereinigung zugelassen. Braucht man ein besonderes Zertifikat als Arzt, um Menschen, die chronische Schmerzen haben, zu behandeln?

Dr. Henning Krolle Nein, aber diese besondere Zulassung ist ein Qualitätssiegel der Kassenärztlichen Vereinigung, die nur Fachärzte nach einer speziellen Weiterbildung und mindestens einjähriger Tätigkeit in einer Schmerzambulanz nach Prüfung und Nachweis einer besonderen Praxisausstattung erhalten können. In Mönchengladbach gibt es meines Wissens nur fünf Ärzte, die als Schmerztherapeuten in diesem Sinne zugelassen sind.

Was sind eigentlich chronische Schmerzen – in Unterscheidung zu akuten?

Krolle Die Definition hat sich geändert: Früher ging man von einem Zeitfenster von einem halben Jahr aus. Schmerzen, die länger anhielten, galten als chronisch. Heute untersucht man die Art des Schmerzes: Wenn er zeitlich über das übliche Maß hinausgeht, wenn der Schmerz seine Funktion als Warnsignal verloren, seine Sinnhaftigkeit eingebüßt hat, sprechen wir von chronischem Schmerz. Denn akuter Schmerz hat, wenn er auftritt, immer eine Warnfunktion. Er macht auf eine Störung im Körper aufmerksam.

Nehmen Sie persönlich am Programm des Deutschen Schmerztages teil? In Mönchengladbach ist ja keine Veranstaltung geplant.

Krolle Ja, ich fahre nach Frankfurt und werde dort zusammen mit einem Kollegen aus Moers ein Satelliten-Symposium zur Physiotherapie leiten.

Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin mit ihren mehr als 4000 Mitgliedern ist auch regional aufgestellt. Sie vertreten das regionale Schmerzzentrum der DGS. Was sind Ihre Aufgaben und was leistet das Schmerzzentrum?

Krolle Wir haben es geschafft, dass niedergelassene Fachärzte und Physiotherapeuten regelmäßig zu Konferenzen in Mönchengladbach zusammenkommen. Jeden Mittwochnachmittag treffen sich zwölf Orthopäden, dazu Physiotherapeuten, Ärzte für Physikalische und Reha-Medizin, Hausärzte und Anästhesisten und eine Psychotherapeutin im Borussia-Park zur interdisziplinären Schmerzkonferenz. Persönlich leite ich daneben auch den Qualitätszirkel Schmerztherapie Mönchengladbach/Rheydt. Wir veranstalten Vorträge und sind unter anderem beim alljährlichen Gesundheitstag im Dorint Hotel Mönchengladbach präsent.

Die Initiative "Schmerz messen" spricht von rund 11 Millionen chronisch Schmerzkranken in Deutschland, das entspricht 13 Prozent der Gesamtbevölkerung. Woher rührt diese offenbar zunehmende Entwicklung bei Schmerzpatienten?

Krolle Während der Anteil der Tumor-Patienten über die Jahre altersabhängig leicht ansteigt, kletterte der Anteil der Rückenkranken deutlich. Speziell die Arthrose hat altersbedingt stark zugenommen. Dieser Trend hat bereits in den 1950er-Jahren eingesetzt und hat sich bis heute nicht umgekehrt.

Wie wirken sich chronische Schmerzen auf das Lebensgefühl, aber auch auf das soziale Verhalten der Betroffenen aus?

Krolle Das lässt sich am Bild einer Spirale erklären. Häufig führen chronische Schmerzen zu allmählichem sozialen Rückzug. Wenn dann noch der krankheitsbedingte Verlust des Arbeitsplatzes hinzukommt, kann dieser Rückzug leicht in eine Depression münden.

Früher hatten die Ärzte Schwierigkeiten, immer die richtige Diagnose zur Ursache der Schmerzen zu stellen. Hat die Forschung da zu neuen Erkenntnissen geführt?

Krolle Wir wissen heute über das Wesen des Schmerzes mehr als vor 20 Jahren und wir werden in Zukunft immer mehr dazu in Erfahrung bringen. Was uns und den Patienten jedoch zu schaffen macht, ist die auch technisch verursachte Gefahr der Überdiagnostik. Nehmen Sie die Kernspin-Untersuchung: Die dort gelieferten Bilder sind außerordentlich exakt und aussagekräftig. Aber sie können auch in die Irre führen. Ein Beispiel: Bei einer MRT wird festgestellt, dass der Patient einen Bandscheibenvorfall hat. Aber das trifft auf fast jeden Menschen über 40 zu und doch haben nicht alle Rückenschmerzen. Die Bild-Diagnostik ist eben nicht alles, sie ist nur ein Mosaikstein auf dem Weg zur Diagnose, meist gibt es ein ganzes Bündel anderer Ursachen. Wir legen heute sehr großen Wert darauf, die näheren Lebensumstände der Patienten einzubeziehen, daher legen wir ihnen detaillierte Fragebogen vor. Bei chronischen Beschwerden muss der Arzt den Ursachen sorgfältig auf den Grund gehen.

Welche therapeutischen Maßnahmen sind bei chronischen Schmerzen am erfolgversprechendsten?

Krolle Schmerztherapie ist eine variantenreiche, eine multimodale Therapie. Der erste Schritt liegt in der allgemeinen Aktivierung, wenn nötig mit Medikamenten, Maßnahmen zur Ernährungsumstellung, Krankengymnastik und Massage, Osteopathie, Ultraschall, Elektrophorese und weiteren Angeboten der Physikalischen Therapie. Dazu kommen Entspannungstechniken, Gespräche und Psychotherapie.

Was können Bürger tun, um das Entstehen einer Schmerzkrankheit zu vermeiden? Gibt es eine aussichtsreiche Schmerz-Prävention?

Krolle Generell sind Menschen, die angstfrei in einem stabilen sozialen Umfeld leben und regelmäßig essen, trinken, arbeiten, Sport treiben und schlafen, geschützter als andere. Es verhindert vielleicht nicht die Entstehung von Schmerzen wie zum Beispiel bei Arthrose, Migräne oder nach Gürtelrose, macht es aber in Verbindung mit einer gezielten Therapie erträglicher.

DIRK RICHERDT FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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