Mönchengladbach Werkstattkonzert mit Skandal-Film

Mönchengladbach · Der Mönchengladbacher Komponist und Dirigent Miro Dobrowolny präsentierte das ART Ensemble NRW im BIS-Kulturzentrum. Im Mittelpunkt standen zwei Filmvorführungen aus der Stummfilmzeit.

 Das ART Ensemble NRW ist mit seinen Werkstattkonzerten vom Rathaus ins BIS-Kulturzentrum gezogen. Die Musiker spielten unter anderem zu Stummfilmen.

Das ART Ensemble NRW ist mit seinen Werkstattkonzerten vom Rathaus ins BIS-Kulturzentrum gezogen. Die Musiker spielten unter anderem zu Stummfilmen.

Foto: Jürgen Körting

Wer musikalisch Außerordentliches, überhaupt künstlerisch Ungewohntes erleben wollte, war am Sonntagabend richtig im Saal des Kulturzentrums BIS. Dass die Stuhlreihen beim ersten Werkstattkonzert des ART Ensembles NRW nur spärlich besetzt sein würden, war voraussehbar. Die Minizahl von 25 Zuhörern zeigt jedoch, dass das äußerst anspruchsvolle Konzept des Mentors der Konzertreihe, Miro Dobrowolny, trotz dreier Highlights im Programm nicht aufgegangen ist.

Wer gekommen war, erlebte unter dem Titel „Surreal – Irreal“ neben zäher Alltagskost der Neue-Musik-Community ein berührendes Erinnerungsstück an den Ersten Weltkrieg aus der Feder von Ensemblechef Dobrowolny und zwei filmmusikalische Raritäten: So improvisierte Theodor Pauß, geboren 1969, am präparierten Flügel spannend zu einem schwarzweißen Stummfilm der Surrealismus-Ära, „Vormittagsspuk“ von Hans Richter aus dem Jahr 1928.

Ein Jahr jünger, also ein nun 90-jähriger Kino-Jubilar, ist der Film „Ein andalusischer Hund“ (Un chien andalou) des spanischen Regisseurs Luis Bunuel (1900 – 1983), den dieser 1928/29 gemeinsam mit dem surrealistischen Maler Salvador Dalí drehte. Die krassen Filmszenen, darunter das angedeutete Durchtrennen eines Auges oder die massive sexuelle Belästigung einer jungen Frau, haben auch nach so langer Zeit noch Aufrege-Potenzial.

Das Besondere an der Präsentation: Sieben Musiker spielten dazu eine von Theodor Pauß für das Filmszenar neu komponierte Musik. Diese zeichnete aus, dass sie sich geschmeidig den Bildaussagen unterordnete, ohne auf eigenständiges Profil zu verzichten. Will sagen: Der Vorrang der Bilder vor dem Ton wurde in keinem Augenblick infrage gestellt. Dieses Prinzip hat bis heute Geltung.

Am eindrucksvollsten war die Musik an diesem Abend ganz bei sich, als Miro Dobrowolny seine „Soldier Tales“ auf Soldatentexte des Ersten Weltkriegs dirigierte. Dafür hatte er Hunderte Feldpostbriefe von französischen und deutschen Soldaten aus dem Stellungskrieg um das Schlachtfeld Verdun ausgewertet. Diese trug Dobrowolny während der Aufführung mit zwei Violinen, zwei Bratschen, Cello und Klavier als Sprecher vor. Das ging unter die Haut, besonders als im Finale der Choral von Leuthen („Nun danket alle Gott“) des preußischen Heeres im Siebenjährigen Krieg zitiert wurde und schließlich die Marseillaise in einer verfremdeten Fassung erklang.

Die Aufführung wurde durch den Auftritt des Tenors Kairschan Scholdybajew vom Theater Krefeld/Mönchengladbach famos aufgewertet, der im zweiten Satz markante Aussagen gegen den Krieg und blinden Kadavergehorsam von Soldaten sang: „Ich sterb‘ für keinen Kaiser nicht, bin tot ich, salutier‘ ich nicht“ lautete ein von einem grotesken Marschrhythmus untermalter Vers. Komponist Dobrowolny hatte die Textvorlage einem Gedicht des Publizisten Karl Kraus aus dem Umfeld von dessen Tragödie „Die letzten Tage der Menschheit“ entnommen.

Die nächsten Werkstattkonzerte des ART Ensembles NRW im BIS-Zentrum sind am Sonntag, 7. Juli, 18 Uhr und am Freitag, 13. Dezember, 20 Uhr.

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