Theater Mönchengladbach-Rheydt Ein dekadentes Leben im Käfig

Mönchengladbach · Gelangweilter Prinz soll verheiratet werden, haut ab, trifft die ihm Zugedachte, verliebt sich. „Leonce und Lena“ tarnt sich als Lustspiel, ist in Wirklichkeit eine bitterböse Satire. Jetzt zu sehen im Theater Mönchengladbach-Rheydt.

 Eine Szene aus dem Theaterstück.

Eine Szene aus dem Theaterstück.

Foto: Matthias Stutte

Das Stück ist schnell, witzig, schrill, hintergründig, abgrundtief böse, vulgär und ätzend satirisch. Die freie Regisseurin Anja Panse will es so. Da kennt sie kein Pardon. Der Schriftsteller und Revolutionär Georg Büchner, der das Stück 1836 mit 22 Jahren kurz vor seinem frühen Tod schrieb, hätte an der Inszenierung genau deshalb seine helle Freude gehabt. Die Akteure spielen leidenschaftlich, sie lieben ihre Rollen – setzen sie bis zur Überzeichnung in Szene.

Da ist Prinz Leonce, herrlich dekadent verkörpert von Philipp Sommer. Er langweilt sich in seinem Staat Popo fast zu Tode. Liegt ausgestreckt auf seinem Diwan, sagt: „Mein Leben gähnt mich an.“ Da sind die vier Hofschranzen (Paula Emmrich, Henning Kallweit, Michael Ophelders und Ronny Tomiska), die buckelnd und fiepsend ihrer Herrschaft dienen. Da ist König Peter, in Panses Fassung von Esther Keil gespielt. Unfassbar grässlich benimmt sie sich, sie tut fiese Dinge, schlägt um sich, kreischt hysterisch, jammert, ist zugleich unausstehlich wie bemitleidenswert. Großartig, Esther Keil!

Prinz Leonce soll Prinzessin Lena (Carolin Schupa) aus dem Reiche Pipi heiraten. Will er aber nicht. Die Energie abzuhauen, gibt ihm sein unkonventioneller Diener Valerio, den Paul Steinbach in schmuddeliger Kluft und mit langen strähnigen Haaren polternd und unangepasst (klasse!) spielt. Nicht seinem Hof, sondern ausschließlich sich selbst dient er. Und kommt damit gut durchs Leben.

Anna Siegrot hat mit ihrem Bühnenbild Großes geschaffen. Das Königreich Popo existiert in einem Kokon aus heller Gaze, abgeschnitten von der Welt da draußen. Lediglich Valerio ist in der Lage, in beiden Welten zu agieren. Er nimmt Leonce mit in die Realität eines dunklen Waldes. Sturm peitscht, die Natur ist in Aufruhr. Von oben schwebt ein Spiegelkäfig in das Chaos. Lena und ihre Gouvernante Rosetta (Jannike Schubert, als weibliches Pendant zu Valerio ähnlich mutig und kämpferisch wie dieser) entkommen dem Gefängnis. Und es passiert, was passieren muss: Lena und Leonce verlieben sich, wollen heiraten.

Zu diesem Zweck kehrt Leonce mit seiner Braut zurück nach Popo. Erfüllt damit den Wunsch von König Peter, sich endlich einmal freuen zu dürfen. Es wird getraut, ein Kind kommt auf die Welt, Leonce dreht durch, und Lena will verzweifelt ausbrechen. Flehend steht sie an der Gaze-Mauer. Es gibt kein Entrinnen. Das Ende ist tatsächlich bitter.

„Leonce und Lena“ ist ein gesellschaftspolitisches Stück, geschrieben von einem radikal-kritischen Geist. Georg Büchner offenbarte schon als Schüler und später als Student seine revolutionären Gedanken. Er schloss sich der Gesellschaft für Menschenrechte an und veröffentlicht 1834 seine Flugschrift „Hessischer Landbote“, in der er unter der Parole „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ die hessische Landbevölkerung zur Revolution gegen die Unterdrückung aufrief. Sein vordergründig als Lustspiel daherkommendes Stück ist in Wirklichkeit beißende Kritik an der höfischen Dekadenz und Arroganz. Damit zeigte Büchner seine Verachtung für die Borniertheit der Herrschenden, und er macht sich lustig über die provinzielle Kleinstaaterei zur Zeit des Deutschen Bundes. Das Stück ist Parodie, ist Satire, ist bitterböse. Dass die dramatisch und teils vulgär überzeichneten Szenen nicht jedem Theaterbesucher gefielen, war in der Pause zu hören. Tatsächlich hatten sich im zweiten Teil die Reihen etwas gelichtet. Dennoch gab es reichlich Premierenapplaus. Inge Schnettler

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